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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


9. Karl der Große unb die Schlange.


Heinrich Brennwalds, Propstes zu Embrach geschriebene Chronik.

Als Kaiser Karl der Große sich mit seinem Hofstaat in der alten Stadt Zürich aufhielt und das Chorhemnyaus, zum Loch genannt, bewohnte, ließ er an dem Orte, wo Felix und Regula, die heiligen Märtyrer, von der thebäischen Legion enthauptet worden waren, eine Säule mit einer Glocke aufrichten und im Lande bekannt machen, daß der, so wider Andere Recht begehre, an dieser Glocke ziehen solle, wann er, der Kaiser, zu Tische sitze, und Jedem, der da Recht begehre würde Recht werden, wenn er solches habe.

Da nun begab es sich, daß, als der Kaiser eines Tages bei Tafel saß und er den Ton der Glocke gehört hatte, die Diener, denen er befohlen, nachzuschauen, wer da Recht begehre mit der Meldung zurückkehrten, daß an der Säule Niemand zu erblicken sei. Als aber hierauf die Glocke noch zu öfteren Malen ertönte und dem Kaiser immer die gleiche



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Meldung überbracht wurde, da befahl er den Dienern nochmals nachzuschauen, das Mal aber wohl Acht zu haben, was sich an der Säule noch ferner ereignen möge. Da nun die Diener dies thaten und sich in einen Hinterhalt legten, um unbemerkt zu sein, sahen sie einen Wurm sich der Säule nähern, der sich um den Strick daran schlang und die Glocke also anzog, daß sie läutete. Als nun der Kaiser dies Wunder, das man ihm treulich berichtet hatte, vernommen, erhob er sich alsbald von der Tafel und ging hin, um dem Wurme Recht zu sprechen gleich den Menschen.

Da nun, als der Kaiser auf den Platz zu der Säule kam, wo die Schlange war, neigte sich diese vor ihm als dem Herrn, dann aber schaute sie ihn an, bittend, als wollte sie sagen: Folge mir!" Dies verstand der Kaiser gar wohl und gütig wie er war, war er auch sofort bereit, der Aufforderung des Wurmes nachzukommen. Als aber die Schlange die Bereitwilligkeit des Kaisers sah, machte sie sich alsbald auf und kroch, dem Kaiser den Weg zeigend, vor ihm her nach dem Gestade des Sees dem Orte, da sie ihr Nest hatte. An diesem Orte aber angekommen, zeigte sich bald die Ursache dieser merkwürdigen Begebenheit: denn siehe, eine Kröte von ungemeiner Größe saß in dem Neste, brütend über den Eiern der Schlange. Da befahl der Kaiser, die Kröte hinwegzunehmen und fällte ihr, als frechen Eindringling in fremdes Eigenthum , das Urtheil, daß sie bei lebendigem Leibe verbrannt werde - ein Urtheil, das auch alsbald vollzogen wurde. Als aber einige Tage nachher der Kaiser wiederum bei Tische saß, stellte sich die Schlange plötzlich nochmals bei Hofe ein, und kroch, als man sie vor den Kaiser gelassen, auf die Tafel, an der er saß, stieß den Deckel von seinem Pokale und ließ in denselben einen kostbaren Edelstein als Zeichen ihrer Dankbarkeit fallen, worauf sie, nachdem sie sich wie um Abschied vor dem Kaiser geneigt hatte, verschwand und niemals wieder erblickt wurde.



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Den Stein aber, den der Kaiser von der Schlange erhalten , hob er als eine große Kostbarkeit zum Angedenken an das Wunder auf und schenkte ihn endlich seiner Gemahlin zum besondern Liebespfande. Dieser Stein aber hatte die Kraft eines Liebestrankes; denn von der Zeit an, da die Kaiserin den Stein besessen, hat ihr Gemahl sie niemals verlassen können und ist derselbe immer in große Betrübniß verfallen, wenn er nicht bei ihr war. Daher auch die Kaiserin diesen Stein, dessen Kraft sie wohl erkannt hatte, in ihrer letzten Krankheit, als sie zum Sterben kam, nicht von sich ließ und unter ihrer Zunge verbarg, da sie nicht wollte, daß er in die Hände eines anderen Weibes komme, welches der Kaiser alsdann hätte lieben müssen, während er ihr, der Todten, vergessen hätte. So wurde die Kaiserin einbalsamirt und mit dem Wunderstein begraben. Da aber der Stein auch noch nach ihrem Tode seine Wirkung nicht verlor, ließ der Kaiser, ihr Gemahl, sie wieder ausgraben und sich nachführen überall, wo er hinging. Dies dauerte achtzehn Jahre, bis einer von den Hofleuten, der die Kraft des Steines kannte, ob der fortdauernden Anhänglichkeit des Kaisers an die Leiche seiner Gemahlin muthmaßete, der Stein möge an derselben verborgen sein; worauf er sie auch durchsuchte, bis er endlich das Kleinod unter der Zunge der Todten fand, welches er nun für sich verwahrte.

Als dieses geschehen, ging die große Liebe, welche der Kaiser bisher für seine Gemahlin gehegt hatte, auf jenen Hofbedienten über, so daß er ohne diesen nicht mehr leben konnte. Einige Zeit nachher begab es sich aber, daß dieser Ritter auf einer Reise nach Köln, wegen eines gefaßten Unwillens, den Stein an einem "stinkenden Ort" bei einem Brunnen hinwarf, so daß hernach ihn Niemand mehr finden konnte. Mit dem Stein war jedoch auch die Liebe des Kaisers zu dem Ritter geschwunden, an deren Stelle jetzt ein fortwährendes



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Verlangen nach dem Orte kat, wo der Stein lag, so daß der Kaiser dort eine Stadt zu gründen beschloß, welche fortan sein Wohnsitz sein sollte.

Einer der schönsten Züge in dem Charakter Karls des Großen war seine Gerechtigkeitsliebe. Sie hat die Sage, welche met Vorliebe an der Lebensgeschichte dieses Herrschers haftet, in der Allegorie von der dankbaren hülfesuchenden Schlange verewigt, deren mythischster Theil jedenfalls der Edelstein ist, das Zeichen der Dankbarkeit der Schlange. In ihm ist die Schlangenkönigin, welche das arme Hirtenmädchen von dem kranken Stollenwurm erhält (s. S. 49) und Alles das wieder zu erkennen, was beim Drachenstein von Luzern (s. S. 171-174) von mit wunderbaren Kräften begabten Steinen gesagt wurde.Eine der obigen sehr ähnliche Sage, welche gleichzeitig an den Küfer von Luzern in der Dracheuhöhle (s. S. 168) erinnert, findet sich in "Mathäus Paris größerer Geschichte der Engelländer". Sie lautet: "Ein Venetianer, Namens Vitalis, fiel in eine Grube und traf daselbst einen Löwen und eine Schlange an, welche ihm jedoch, als er das heilige Zeichen des Kreuzes gemacht hatte, Nichts zu Leide thaten. Endlich wurde er von einem Bauer sammt den Thieren aus der Grube erlöst, worauf die Schlange am andern Tag, als der Bauer bei seiner Mahlzeit saß, zu diesem in seine Hütte kam und ihm einen kostbaren Edelstein auf den Teller legte und, ohne Jemand Leides zu thun, sich wieder entfernte." Wir sehen also die gleiche Sage, die sich dort die Hallen eines kaiserlichen Palastes als Aufenthalt erwählte, hier in der Hütte eines Bauers wieder. Hier wie dort aber hat sie einen historischen Grund, bei der einen Variante allerdings nur das von dem Erzähler Mathäus Paris in das Jahr 1195 verlegte Reiseabenteuer eines Venetianers, dagegen aber bei der andern den urkundlich außer Zweifel gestellten Aufenthalt Karls des Großen in Zürich *). Daß der "stinkende Ort", wohin der Ritter den Edelstein in seinem Unwillen wirft, die Schwefelquellen Achens sind und die Stadt, die der Kaiser daselbst zu bauen beabsichtigt Schen **) ist,



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bedarf keiner weitern Erläuterung; dagegen dürfte hier die Legende von der Erbauung der Kathedrale zu Machen am Platze sein, und dies um so mehr, als diese Kirche mit dem in unserer Sage erwähnten zürcher Chorherrnhaus, zum Loch genannt, in enger Verbindung stand, indem die von Karl dem Großen über sie eingesetzten Chorherren von ihm mit denen des Stiftes zu ; Zürich zu einer unauflösbaren Brüderschaft vereinigt waren. Wolf in seinen deutschen Märchen und Sagen erzählt sie nach der Chronique de Pphil Mouskes ed. de Reiffenberg. Bruxelles 1636. wie folgt:"Der König war eines Tages in der Gegend, wo nun Aachen steht, und da jagte er, denn es war nichts als Wald daselbst zu finden. Der König erschaute einen Hirsch; seine Gefährten hatten sich von ihm verloren und der König jagte allein mit seinen Hunden, welche sprangen. Auf einem Pferde saß der König, das war schwarz und reich an Muth. Das Pferd trat mit einem Fuß in den Bach einer Duelle *), welche unfern entsprang; das Wasser war heiß, darum erhob es den Fuß und eilte zurück von dem Wasser und stieß ihn in den Staub, denn das Wasser war sehr heiß. Als der König das merkte, da stieg er ab; au er sein Pferd hinken sah, fühlte er mit seiner Hand an den Fuß und das Pferd litt es gern. Er fand den Huf sehr heiß, tauchte seine Hand alsbald ins Wasser und fand es heiß; also erkannte er, daß das Pferd den gehobenen Fuß zur Rechten hatte. Der König stieg in den Bügel und ging dem Laufe des Baches aufwärts nach, zwei Hufen Landes lang, und da fand er die Duelle, welcher der Bach entsprang, aber dieselbe war voll von Feuer. Nachdem er das, Wasser mit der rechten Hand gefühlt hatte, schaute er zur Linken und fand eine andere Duelle, welche klar war und kalt und heilsam; er befühlte sie init seiner nackten Hand und verwunderte sich sehr.Der König schaute sich ein wenig um und sah nahebei einen großen Palast, der war verdorben und alt und verfallen und voll Gesträuch und dichtem Gezweige. Reich und schön war er gewesen, aber das Alter hatte ihn zerstört. Granus, der Bruder Nero's, der den heiligen Petrus tödtete und Paulus und seinen Bruder Agrippa, hatte ihn gegründet; er war König in dem Lande gewesen. Seit alten Zeiten lag der Palast da und



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hatte große Zimmer. Karl bat Gott den Herrn, daß er ihm rathe, was er an dem Orte zu thun habe, und also that er.Da sagte ihm eine Erscheinung, daß er der heiligen Frau Maria dort eine Kapelle bauen solle und der König vergaß es nicht. Den Stein ließ er von weitem kommen und die Kapelle bauen, so schön, wie keine war in der Welt, und er ließ sie rund machen nach dem Hufe seines Pferdes *), welches das Wasser drunten heiß fand. Auf diese Weise ließ er sie bauen, daß in der Welt keine schönere Kirche war. Und mit Märtyrern und Beichtigern, welche er von fern und nahe zuholte, und mit Kelchen und Kreuzen, und Kleidern und Golo, und Glocken und schönen Büchern, welche viele Marten und Pfunde kosteten, schmückte der reiche König sie sehr und ließ nichts daran fehlen. Und von dem Apostel (Papst) Adnan, welchen er entbot, um wohl zu thun, Baronen und Fürsten und Bischöfen, Primas, Aebten und Erzbischöfen und Rittern und Herren von gutem Rufe, wurde sie zu Ehren unserer Frauen geweiht und geheiligt und benedeit und geordnet von dem Papste, welchen der gute König mit reichem Geleite dazu entboten hatte.Und der arme Karl entbot dahin Barone und König und Herzog und Graf und Fürst und Hohe und Niedere und Arm und Reich und Cardinäle und alle Priesterschaft. Und als der Ort geweihet war, da bat und gelobte er der Priesterschaft und allen Baronen, daß für immer die Erben des Reichs an diesem Orte gekrönt und zu Königen gemacht werden sollten und von da nach Rom zur Weihe gingen, um gekrönt zu werden als Könige und Kaiser von jenem Tage an.Das bestätigte der Papst dem guten Könige, den er sehr liebte, und die Barone und Alle, die zugegen waren, thaten desgleichen. Und damit dies dauernd sei, hing der Kaiser sein Siegel daran, um es besser zu sichern und daß Keiner es fälschen möge."Wie gern der christliche Glaube in seiner Kindheit der heidnischen Vorstellung folgte und den Bau seiner Tempel und heiligen Gebäude wunderbaren Erscheinungen verdankte, beweist, außer obigen, noch folgende Sage:



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Gründung des Frauen - Münsters zu Zürich.


P. Langins.


Bluntschli, Memorabilia Tigurina, S, 142.


Brennwald, Chron. Mscr.


I. I. Hottinger, helvetische Kirchengeschichten, r. l. ö. 433.

"König Ludwig il, Kaisers Karl des Großen Sohn-sohn, der gleich seinem Vater dem König Ludwig sich gern in Zürich aufhielt, hatte zwei Töchter, Hildegardis und Bertha. Diese zwei Töchter, welche sehr fromm waren, lagen ihrem Vater mit Bitten an, auch in der kleinen Stadt Zürich, die bis zu dieser seit noch kein größeres der Gottesverehrung geweihtes Baus besaß, ein Kloster zu bauen, und gaben hierzu als passendsten Ort die Stelle an, wo die Kapelle des heiligen Stephan und Cyriacus stand, welche Stelle aber der König, als er sie besichtigte, für solchen Bau zu eng und sumpfig erfand. So glaubte der König, anders aber war der Wille Gottes: denn siehe! am andern Morgen fand man ein grünes Seil von wunderbarem unbekannten Stoffe als Zeichen, daß Gott der himmlische Baumeister selbst diesen Platz, seine Größe und Ausdehnung für den künftigen Bau bezeichnend, für gut befunden, an ,dieser Stelle ausgespannt. Also ward das Frauen Münster erbaut nach dem Wunsche Hildegardis und Bertha's, der frommen Töchter des Königs Ludwig , denen ihr Vater das unfern gelegene Schloß Baldern als Wohnung anwies. Oftmals von diesem Schlosse wandelten später die Jungfrauen herab, um in jenem Kloster ihre Andacht zu verrichten ; oftmals geschah dies sogar bei Nacht, dann aber stellte sich jedes Mal am Thore des Schlosses ein großer Hirsch ein, welcher, flammende Leuchten an seinen Hörnern, den beiden Pilgerinnen den Weg zeigte *)."Beide Töchter des Königs Ludwig waren Aebtifsinnen am Frauenmünster **). Bertha folgte der Hildegard ***), welche schon im achtundzwanzigsten Jahre starb, in diesem Amte nach. Das grüne Seil soll bis zur Reformation im Münster über dem Hochaltar gehangen haben; Bullinger dagegen berichtet in seinem Chron, Mscr. Lib. 4 e. 12 es sei nebst anderem "Narrenwerk" in einem Sarg gelegen und, nicht über vier bis fünf Klaftern lang, später in des Bürgermeisters Diethelm Röusten's Haus als Glockenseil benutzt worden.
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