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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


2. Sagen vom Türlerfee.


Mündlich und schriftlich aus Zürich.


Vgl. I. I. Reithard's Geschichten und Sagen aus der Schweiz S. 140 u. 145.


I.

Auf der südlichen Seite des Albis liegt der Türlersee. Nicht immer sollen seine gluthen den Fuß des Albis bespült haben. Trockenen Weges schritt man einst dort einem lies lieben Thal zwischen grasreichen Wisen und fruchtbaren Feldern einher. Dieses Thal gehörte dem Besitze der Freiherren von Schnabelburg, deren Schoß hoch oben auf einer Spitze des Albis stand, und Felder und Wiesen; darin wurden von einem der Pächter dieser Edellente; welche eine alte Chronik Grafen nennt, verwaltet und bewirtschaftet. Einer deser Pächter, so erzählt nun die Sage, soll seine Tochter deren Schönheit die Aufmerksamkeit des Burgherrn auf sich gezogen



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hatte, diesem gegen den Besitz jener Felder und Wiesen verschachert und die im Geleite des Vaters sich ungefährdet wähnende Tochter dem Grafen auf dem Schlosse selbst zugeführt haben, wo ihm das auf so schändliche Art erworbene Besitzthum schriftlich und urkundlich zugesichert worden sei. Kaum aber sei er, diese Urkunde in den Händen, zu dem neuen Eigenthum heimgekehrt , so habe sich ein fürchterlicher Orkan erhoben, Berge seien geborsten und hätten die Zugänge des Thales ausgefüllt , welches Wasserströme vom Himmel, den unnatürlichen Vater sammt seinem neuen Besitz für immer von der Erde vertilgend, von da an in den See umgewandelt hätten, welcher es jetzt ist. Der Graf aber habe reuevoll die Tochter freigegeben, welche den Schleier genommen und als Nonne gestorben sei.


II.

Ein fahrender Schüler, ber in Salamanca die Zauberei erlernt hatte, kam einst auf seinen Fahrten durch die Welt, die er mit Hülfe des Teufels unternahm, auch au den Türlersee. Zu dieser Zeit wohnte dort eine Frau Namens Chriemhild , welche sehr schön, dabei aber auch sehr bös und neidischen Gemüthes war. Ihr Haß und Neid war aber besonders gegen ihre Nachbarsleute gerichtet, deren Felder und Wiesen sich immer bei weitem fuchtbarer zeigten als ihre eigenen. Da nun das schändliche Weib schon längst gewünscht hatte, einmal ihre Bosheit an dem Gut ihrer Nachbarn auszulassen, so kam ihr die Ankunft des fahrenden Schülers, durch dessen Kunst sie Wiesen und Felder derselben wo möglich noch unfruchtbarer, die ihrigen, zu machen hoffte, eben recht. Dieser, in sündiger Liebe zu dem schönen Weibe entbrannt, willigte auch alsbald in das böse Verlangen ein und machte sich eines Nachts daran, einen großen Graben zu ziehen, ver



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mittelst welchem er das Wasser aus dem Türlersee auf die Wiesen und Felder jener Nachbarn leiten wollte, um sie so zu überschwemmen und ihren warmen, fruchtbaren Boden in kalten, nassen Moorgrund zu verwandeln. Bald wäre auch das boshafte Werk gelungen, nur noch wenige Spatenstiche fehlten und das Wasser wäre in den Graben eingebrochen, da kam aber von ungefähr ein frommer Pilgrim des Wegs daher, der das Schändliche des Unternehmens sofort erkannte und den fahrenden Schüler sammt dem bösen Weibe mit der Kraft seines heiligen Willens auf den Glärnisch verbannte, wo beide verdammt sind auf dem mittlern, mit ewigem Eis bedeckten Gebirgsstock einen Garten anzulegen; erst wenn dieser Garten, den das Volk das Vreneligärtli oder den St. Verenagarten nennt — jener Pilger soll nämlich die heilige Verena gewesen sein — vollendet ist, wird die Erlösung der Beiden erfolgen. Das wird aber wohl niemals geschehen, eben so wenig als den Verdammten bei Lebzeiten die Vollendung des Grabens gelang, der von dem bösen Weibe noch heut den Namen "Chriemhildengraben" führt.

Das in der ersten Sage erwähnte Schloß der Freiherren von Schnabelberg später Besitzthum der Herren von Eschenbach und Schwarzenberg, ward im Jahr 1309 von den Söhnen Kaiser Alberts I. mit Hülfe des Abtes von St. Gallen in Folge der Theilnahme seines Besitzers an dem Kaisermord zerstört. Bei dieser Gelegenheit soll die ganze Besatzung um das Leben gekommen sein, ein einziger Knabe nur entrann dem Blutbade, dessen unschuldiges Lächeln selbst die den Tod ihres Vaters rächende Kaiserstochter rührte. Dieser Knabe soll der Stammherr der gegenwärtigen Fürsten von Schwarzenberg gewesen sein. Aehnliches wie vom Türlersee erzählt man übrigens auch vom Bichelsee im Kanton Thurgau, jedoch mit dem Unterschied, daß hier die Verwandlung eines Waldes, welcher dieser See früher gewesen sein soll, zum Schutz des Eigenthums einer Wittwe und zweier Waisen vor den Verfolgungen eines habsüchtigen Ritters erfolgt. Noch sei hier der in der Nähe des zürcher Pfarrdorfes Henggart zwischen Neftenbach und Andelfingen gelesene Haarsee erwähnt, von dem unter den Bewohnern jener Gegend die Meinung verbreitet ist, daß er ähnlich



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dem Maia, Wunder und Hungerbrunnen (s. S. 97 ) fruchtbare oder theure Zeiten verkünde. Seine Trockenheit im Frühjahr ist für erstere, sein Wasserreichthum für letztere das untrügliche Zeichen, eine Wahrnehmung, welche man auch von einem zwischen Bülach, dem zürcher Abdera, und dem Dorfe Neerach liegenden See geltend macht.
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