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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


22. Der Kuhreigen.


A. Henne, Schweizerischer Merkur, Jahrgang 1832. S. 68.

Aehnliches begegnete einem jungen Aelpler aus Ragatz auf der dorttgen Alp Bardiel, welcher jedoch den Muth hatte, herabzusteigen und zwischen dreierlei farbigen Schotten geistesgegenwärtig die grüne zu wählen, worauf ihm einer der Geister bedeutete: hättest du anders gewählt, du wärst zerrissen worden, wie das Gstüpp in der Sonne" *). Sie ließen ihn sich eine Gabe ausbitten. Erbat, sie möchten ihn so singen lehren, wie er einen aus ihnen vor dem Käsen singen gehört. Es geschah, und das war der erste Kuhreigen im Oberlande.

Der Kuhreigen oder Kuhreihen (französisch Rann des vaches), dessen Namensabstammung sich wohl am sichersten durch den Umstand erklärt, daß die auf der Alp zusammen weidenden Kühe, sobald sie den Gesang hören, eine hinter der andern herbeieilen, ist so alt wie die Hirten selbst, welche zuerst die Berge und Thäler der Schweiz mit ihren Heerden bevölkerten **). Dieses hohe Alter, das melodisch echoartig Nachhallende seiner Töne, weder aus artikulirten Lauten, noch aus Worten gebildet, sein zauberhafter Einfluß endlich, welchen er auf Menschen und Thiere



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ausübt, konnte wohl zu dem Glauben veranlassen, daß er ein Geschenk höherer Wesen, der Berggeister sei, deren Sprache im nordischen Volksglauben ja das Echo ist. Daß Schweizer, entfernt von ihrem Vaterlande, bei Anhören des Kuhreihen eine Sehnsucht nach der Heimath bestel, die nicht gestillt mit dem Tode endete *), weiß Jedermann, doch auch Fremde ergreift das Melancholische dieses Gesanges, dessen Wirkung das ihn gewöhnlich begleitende Alphorn bedeutend erhöht, dessen dumpfklagender Ton ebenfalls seine Sage hat. Sie lautet ungefähr wie folgt:


Die Erfindung des Alphorns.

Das erste Alphorn erfand ein Jüngling auf der Wengeralp. Er schenkte es seiner Geliebten, welche nicht weit von ihm auf einer anderen Alp weidete. Sich selbst verfertigte er ein zweites. Jeden Morgen, wenn der erste Strahl der Sonne die Firnen röthete, entlockte er ihm helle freudige Töne seinem Mädchen zum Morgengruß, die ihm bald mit dem Alphorn, das ihr der Jüngling geschenkt, einstimmend in seine fröhlichen Weisen dankend Antwort gab. Mehrere Frühlinge trieben sie dieses Spiel, und es nahte die Zeit, wo sie Mann und Frau werden sollten, nur noch wenige Tage zählten sie bis zu diesem Augenblick. Da eines Morgens tönte es wieder hell und lustig herüber von der Alp des Hirten, aber keine fröhliche Weise hallte zurück, dumpfe, traurige Alphorntöne kündeten mit Geisterstimme: Das Mädchen, das du liebest, ist nicht mehr, sie schläft



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den Todesschlaf ! Schmerz, unsäglicher Schmerz zog da in die Brust des Hirten ein, die einige Augenblicke zuvor noch so freudiger Hoffnung voll; trostlos entsank das Alphorn seinen Händen und siel zerschmettert hinab in den Abgrund, an dessen Rand der Unglückliche stand; da noch einmal warf er einen Blick der Sehnsucht nach der Alp, auf der die Hütte stand, welche die sterblichen Ueberreste der Geliebten umschloß, richtete dann, einen Schritt vorwärts tretend, seine Augen nach oben und folgte dem Alphorn in die Tiefe nach. Seit jener Zeit haben sich viele Hirten Alphörner aus Weidenrinden gewunden, aber keinem derselben konnte je wieder eine lustige und fröhliche Weise entlockt werden, den dumpfen, traurigen Ton, der einst jenem Hirten den Tod der Geliebten verkündet, behielten sie von nun an für immer bei.
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