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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


19. Was die Wildhaufer von der Wildenburg erzählen.


Die Schweiz in ihren Ritterburgen. Il. S. 441.

Bei Gambs in der toggenburgischen Gemeinde Wildhaus im Kanton St. Gallen liegen auf einem Felsen die Trümmer der Wildenburg. großer finsterer Thurm ist das einzige merkliche Ueberbleibsel dieser einst so starken Veste. Hohe, schroffe und nackte Felsen, zwischen deren Zacken spärlich hier und da eine düstere Tanne hervorlugt, bilden seine Umgebung — eine schauerlich wilde Gegend, der geeignete Wohnort jener gespenstischen Spuckgestalten, die der Sage nach dort ihren Sitz aufgeschlagen haben. Die Wildhauser erzählen ;

"Im Schutt und Sand der Wildenburg liegen ungeheure Schätze, gehütet von zehn der häßlichsten Kobolde und Gnomen. Das sind die Zwingherren, die zum Schrecken des Volkes auf der wilden Burg wohnten, und die zu ewiger Strafe, Tyrannen zur warnenden Lehre, in den schrecklichsten



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Gestalten nun ihr zusammengestohlenes Gut Tag und Nacht bewachen müssen. Um Mitternacht, zur Geisterstunde, wenn kein Sternlein glimmt, kriechen sie aus ihren Höhlen hervor, springen herum, leuchten wie Irrwische, raufen sich die Haare, toben und heulen, daß es den Leuten in der Nachbarschaft Mark und Bein erschüttert und die Alpen bewegt. Zu gewissen Zeiten ändern sie ihre Gestalt, die nie ihres Gleichen hat. Das Eine dieser Ungeheuer ist jung und frisch, das Andere alt und kränklich, wieder Eines ganz schwarz; bald erscheinen sie als Riesen, bald als Zwerge, voll Höcker und so fort, zuweilen aber auch als Schweine, Hunde, Katzen und Tiger und als langgehörnte Böcke, die bei jedem Athemzug Höllendampf von sich blasen. Wenn die Quatember- oder andere heilige Zeiten herannahen, spucken sie in der Gegend weit umher. Dem wildenburger See entlang, wo mancher Berggeist schon ertrank, wandelt eine alte Matrone, die, wird sie Jemand gewahr, eifrig sich die Hände reibt, und Sagt und winselt. Dem Wanderer nahe, rümpft sie die Nase und zugleich wird sie zu einem sich immer und immer verlängernden Rüssel, womit sie nach Beute hascht. Glücklich, wer dann im Schleier der Nacht Schutz und Rettung findet.

"Weiter vorwärts stößt man wieder auf einen gewaltigen Mann mit großem breitgeränderten Hute, und eingehüllt in eine weite schwarze Kutte, vollkommen ähnlich einem schwarzen Mönche. Zuletzt steht noch mitten in der Straße ein Ungethüm mit Zigeunerbart und Räuberblick, welches den Weg verrammelt.

Alle diese Ungeheuer zusammen leben in ewigem Hader. Tritt einmal ein ruhiger Augenblick ein, so sitzen sie um ihre reichen Kessel, zehnmal größer als die, worin man Käse kocht, und zählen schäckernd ihr Gold. Plötzlich werfen sie dann Alles wieder hin, sich selbst mit geballten Fäusten schlagend,



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und so quälen sie sich, bis endlich die ausgestandene Pein ihre verübte Grausamkeiten sühnen wird.

"Nach ihren Schätzen waren schon manche lüstern, aber von den Einheimischen hat keiner das Her;, sich mit den mächtigen Gnomen zu schlagen, die an der eisernen Pforte der grauenvollen Gewölbe Wache halten. Da geschah es, daß aus den Laguneninseln des adriatischen Meeres viele Menschen auswanderten und sich in alle Winkel der Erde zerstreuten . In Wildhaus, wohin sie auch kamen, kannte man sie unter dem Namen Venediger und sie wurden als Hexenmeister und Tausendkünstler geehrt und gefürchtet.

"Ein solcher hatte auch Lust, die häßlichen Geizhälse in der Burg zu plündern, wollte aber -vorerst auf ein Mittel denken, wie er sie blenden könnte. Nach langem Grübeln besann er sich endlich wieder, wie man die Ungeheuer mit der weißen Ziegenkrautblume. wie man sie nennt, banne, die jedoch unglücklicher Weise höchst selten wächst. Dieß hielt ihn aber nicht ab, die höchsten Alpen zu durchsteifen, bis er sie fand. Nun machte er sich muthig auf den Weg zur berüchtigten Höhle, Beim wildenburger See stieg er in den unterirdischen Gang hinab, der vor Zeiten in die Burg führte, und nach wenigen Minuten stand er an einer großen, eisernen, mit schweren Barren kreuzweise belegten Thüre, die sich ihm, auf die Berührung mit seiner Zauberpflanze, krachend öffnete. Und er betrat eine leere Felsenkammer, und finster, wie die schwarze Nacht, nur zuweilen vom Strahle des Goldes, wie von einer Wetterleuchte feurig durchblitzt. Furchtlos und ohne Rast legte er nun Hand an's Werk, raffte von den zahllosen Goldklumpen, die an den Wänden herumlagen, was sich tragen ließ, zusammen, und versprach sich schon im Voraus, recht bald wieder zu kommen, als ihm auf einmal, als er eben abziehen wollte, mit leisem Wimmern ein unsichtbares Wesen zuflüsterte: "Laß's Best ' nicht liegen, laß's Best ' nicht



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liegen! !" Darob erschrack der goldgieme Mann ; folgsam, nach gegebenem Rathe, besah er noch einmal seine reiche Beute und eilte damit schaudernd von dannen. Erst beim schmetternden Schlusse der Thüre erinnerte er sich, daß er das Beste vergessen habe, die weiße Ziegenkrautblume! — Von nun an wagte sich Niemand mehr dahin, lieber grub man sich Gold im Gebirge, dessen Eingeweide an diesem köstlichen Metalle so reichhaltig gewesen sein sollen, daß einst ein anderer Venediger, der sich durch seine Zaubereien das Leben verwirkt hatte, eine goldene Kette um die Stadt Lichtensteig zu schmieden versprach, wenn er begnadigt würde."

Zauberpflanzen, fähig Schlösser und Thüren zu sprengen, kannte man schon im Alterthum. Eine derselben war das Mohrenkraut, welcher man auch noch die Kraft zuschrieb, Seen, Flüsse und Sümpfe austrocknen zu können. Spottend erwähnt seiner Plinius: non satius fuit, Aemilianum Scipionem Carthaginis portas herba patefacere, quam machrinis claustra per tot annos quatere? Siccentur hodie Aetiopide Pontinae paludes tantumque agri suburbanae reddatur Italiae (Lib. XXVI. Cap. 4). Wie aus Terenz, Virgil und Horaz hervorgeht, wurde dieses Kraut, welches bei den Griechen Hierabotane und Peristereon, bei den Römern aber auch Verbenaca genannt wurde, zu Opfern und anderen gottesdienstlichen Handlungen gebraucht. Die Verwandtschaft der Ziegenkrautblume unserer Sage mit diesem Kraute der Alten, das nach deren Angabe weder im Lichte des Mondes, noch der Sonne, sondern nur im Scheine des Hundesterns mit der linken Hand vermittelst eines eisernen Instrumentes aus der Erde gegraben werden durfte, ist nicht zu verkennen. Zu dieser Verwandtschaft gehört auch die Springwurzel, welche einige andere Sagen an die Stelle der Ziegenkrautblume, oft nur auch Wunderblume genannt treten lassen und die nach Albertus Magnus nur dann zu erlangen ist, wenn man das Nestloch eines Spechtes, einer Elster oder eine Wiedehopfs während der Abwesenheit seines Inhabers mit einem Keil oder einem Strick verschließt. Kehrt der Vogel heim und findet sein Nest verschlossen , fliegt er auf der Stelle fort, um die Springwurzel *), von



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der er allein weiß, wo sie wächst, zu holen. Bald kehrt er die Springwurzel im Schnabel zurück, schnell aber, noch ehe er sein Nest berührt, muß man da ein weißes oder rothes Tuch unter dem Baum, auf welchem sich dasselbe befindet, ausbreiten und die Springwurzel fällt aus dem Schnabel des erschreckten Vogels auf das Tuch herab. Grimm, an die Verwandtschaft des Wortes herba (kraut) mit verbum (Wort) denkend, erkennt in ihr einfach das Zauberwort, dessen magische Kraft ebenfalls Schloß und Riegel sprengt.Die Wildenburg, deren Erbauung sich in die älteste Zeit verliert, verdankt, da sich ein eigentlich wildenburgisches Geschlecht nirgends in den Jahrbüchern vorfindet, ihren Namen wahrscheinlicherweise der wildromantischen Gegend, in welcher sie gelegen. Ihr erster bekannter Besitzer war ein Freiherr von Sax, von dem sie in die Hände des mächtigen Dynastengeschlechts der Grafen von Toggenburg überging, noch später war sie das Besitzthum des Abtes Ulrich VIII von St. Gallen. Keiner der Besitzer scheint jedoch die Burg selbst bewohnt zu haben; aller Muthmaßung nach war sie der Sitz grausamer Vögte und Lehensleute, deren Andenken sich in obiger Sage erhalten hat und die noch zu einer anderen Sage, mehr historischen Inhalts, Veranlassung gaben, welch c für den dritten Theil dieser Sammlung aufgespart sein soll.
Copyright: arpa, 2015.

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