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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


5. Die böse Mutter.


Albert Schott, Alpenrosen 1838. S. 134.

Ein Mann von Matt im Sernftthal hatte von seiner ersten Frau zwei Knaben, die nach dem Tod ihrer Mutter eine gottlose Stiefmutter bekamen. Als der Vater eines Tages über Feld gegangen war, gerieth das Haus unversehens in Brand, und da das Feuer sehr schnell um sich griff, konnte man nicht daran denken, sehr viel retten. Die Frau nahm also mit Hülfe der Nachbarn von ihrem Hab und Gut das Beste fort, die Kinder ließ sie verbrennen. Der Mann, der bald darauf zurück kam, empfand zwar über den Verlust seiner ' Wohnung große Betrübniß, aber untröstlich ward er, als er 'erfuhr, daß sein Weib beim Retten die Knaben für geringer geachtet hatte, als Betten und Vieh. Er ließ sie heftig darüber an, sie aber suchte sich durch falsche Vorwände herauszuhelfen, und als er ihr nicht glaubte, betheuerte sie, wenn sie lüge, wolle sie zeitlich verrinnen und ewig verbrinnen. Da mußte er freilich schweigen.

Nicht lange hernach starb das Weib und ward auf den Kirchhof des Dorfes begraben, der um die Kirche her auf einem sanften grünen Hügel liegt. Gras und Blumen wuchsen auf ihrem Grab, wie auf anderen, und unten rauschte



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der Sernft vorüber. Man hatte des Brandes schon vergessen, da kam in einer Nacht der Föhn, der wehte so heiß um die Eisfelder des Bündnerbergs und des Hausstocks, daß alle Bächlein wie Waldströme von den hohen Felsen in die Wiesenthäler herabstürzten und der Sernft als ein tobender Strom Tannen und Felsblöcke dahinführte. Der Hügel, auf dem das Pfarrhaus und die Kirche von Matt noch liegen , erstreckte sich damals bis an das Ufer des Bachs und war mit seinen Nuß- und Ahornbäumen lieblich anzuschauen, jetzt stürmte das Wasser so gewaltig gegen ihn, daß ein Stück nach dem andern losging und in den Wellen verschwand. Die Särge der Todten wurden aus ihrer Ruhe gerissen, und man befürchtete schon den Einsturz der Kirche; aber ehe es so weit kam, hatte die Fluth das Grab des bösen Weibes gefunden, der Sarg schwebte eine Zeit lang auf den Wellen, ging dann in Stücken und zemann mit Allem, was darin war. Da war der göttliche Wille erfüllt, und die Wasser verliefen sich so schnell, als sie gekommen waren; aber noch zeugt die öde, steinbedeckte Fläche wischen Hügel und Bach von der Strafe des Meineids.

Obige Sage beruhet auf einem historischen Faktum, welches sich zu Ende des 16. Jahrhunderts ereignete. Jahrbücher aus jener Zeit theilen nämlich mit, daß die wilden Bergwasser des Sernftbaches, der die tiefen Klüfte des Sernfthales durchtobt, zu jener Epoche einen Theil des Friedhofes zu Matt hinweggerissen *) habe, wobei mehrere Särge hinweggerissen *) Eine Sage, welche vom Gottesacker von Hasle geht, mag hier beiläufig Erwähnung finden. Es heißt nämlich, daß dort die Todten zweimal sterben, indem sie noch im Grabe ertrinken müssen (der Gottesacker von Hasle liegt am Fuße eines Hügels in ziemlich wasserreichem Grund). Ein altes Spottlied auf die Hasligemeinde sagt in Bezug auf diese lokale Beschaffenheit:
Si wei mir geng e Frau gä
U kent mit Manier!
E Hasli-Jungfer wit i nit,
Zweumah sterbe mag i nit!



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winden und selbst Kirche und Bfarrhaus des Ortes bedroht war. Selbst das Faktum eines Hausbrandes, bei welchem drei Kinder umgekommen sein sollen, findet sich geschichtlich vor. Es heißt nämlich: Im Jahre 1576 brannte das Haus des Landvogts Giesing ab, während sich derselbe im Welschland befand. Bei diesem Ereigniß fanden seine drei taubstummen Kinder elendiglich ihren Tod. Da nun die Frau, welche die Stiefmutter der Kinder war, viele Habseligkeiten gerettet hatte, machte ihr der von seiner Reise zurückgekehrte Landvogt die bittersten Vorwürfe, daß sie nicht zuerst an die Kinder gedacht habe, worauf dieselbe Antwort, welche obige Sage der bösen Mutter in den Mund legt, und die gleiche Strafe erfolgt sci, welche dieses Weib nach seinem Tode ereilte.

Copyright: arpa, 2015.

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