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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


6. Die Ridelgrete.


Aus Bern mitgetheilt.

Im Kanton Uri nicht weit von Andermatt steht ein weißer Steinblock. An der Stelle, wo derselbe liegt, soll Shea: ein Haus gestanden haben, in welchem ein altes Weib gewohnet, die blos eine Kuh als Eigenthum, aber immer mehr Nidel *) hatte, als: fünfzig der besten Kühe zur Zeit der Sommerfahrt geben; darum man sie Nidelgret ' nannte. Eines Tages aber schlüpfte ein neugieriger Küher in ihren Stall und versteckte sich im Trog, um die Alte beim Melken zu belauschen. Da sa? er sie, einen großen Gebs, in welchem ein kleines Krüglein Rahm, vor sich hinstellen und hörte sie. wunderliche Zeichen machend, immer vor sich binmurmetn : "Hezengut und Sennen gott , von jeder Kuh zwei Löffel voll !" Der Gebs füllte sich aber sofort bis an den Rand mit dem schönsten Rahm, worauf die Alte ihn auf den Rücken nahm und den Stall verließ, Der Küher aber, der sich den Spruch wohl gemerkt hatte, lief voller Freuden nach Hause, um seine Kraft probiren. Mit zwei Löffeln aber nicht zufrieden, murmelte er "Hexengut und Sennen oll, von jeder Kuh zwei Kübel voll !" Da aber floß der Rahm in solchen Strömen zu, daß sich bald Stall und Wohnung des Kühers damit füllte, so daß er gar elendiglich in demselben ersoff. Auf den Sparren des Dachs oben aber saß die Nidelgret' und rief: Der thuts mir nimmer nach !" Kaum hatte sie jedoch dies gesagt, so kam eine dunkle Wolke mit fürchterlichem Sturmwind über das Glatt gefahren, welches die Hütte des Kühers und die ihre mit sich hinweg nahm. An



Schw.Sagebuch-209 Flip arpa

der Stelle der letzteren stand aber von dieser Zeit jener weiße Steinblock. Darin steckt sie mit des Kühers Leib, welchen sie bis zum jüngsten Tag hüten muß.

Daß fremden Kühen die Milch zu entziehen mit zu den Vorstellungen von dem Hexenwesen gehört, sahen wir schon S. 118 in der Erläuterung zu Catillon la Toascha: daher die Benennungen Milch- und Molkendiebin Milchräuberinnen, welche man den Hexen, zu denen auch unsere Nidelgrete zählt, hier und da beilegt. In Hexenprozessen kommt öfters das Geständniß vor, daß sich Hexen und Hexenmeister bei Ausübung des Milchdiebstahls verschiedener Geräthschaften bedienten, welche jedoch gewöhnlich nicht benannt sind. I. Grimm (s. seine deutsche Mythologie, S. 617) erwähnt aus baierischen Akten des sogenannten Mäuse- oder Fackeln (Ferkel-) Machens: "Die Hexe hat ein dunkelgelbes, hartes, unbiegsames, vierbeimges Werkzeug, sie bildet aus einem Tuch die Gestalt einer Maus oder eines Ferkels, hält jenes Geräth darunter und spricht:Lauf hin und komm wieder zu mir! dann läuft das Thier lebendig davon; wahrscheinlich, um ihr etwas von anderen Leuten herzuholen, zuzutragen." Schwedische Ueberlieferungen bezeichnen dieses Gefäß, übereinstimmend mit unserer Sage, als Melkgefäß (Mulctrale). Dasselbe war aus neunerlei gestohlenen Webknoten zusammengeflochten, welches drei aus dem kleinen Finger hineingetropfte Blutstropfen und gewisse Zaubersprüche in Bewegung setzten. Auf die Aehnlichkeit zwischen Göthe's Zauberlehrling und dem Küher in unsrer Sage, der wie jener durch Anwendung des abgelauschten Zauberspruchs die Geister wohl in Bewegung zu setzen, aber nicht wieder zu bannen verstand, brauche ich wohl nicht aufmerksam zu machen.
Copyright: arpa, 2015.

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