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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


11. Die Thalherren im Enziloch.

Im Kanton Luzern ist eine wilde Thalschlucht, das Enziloch benannt. Dasselbe bevölkert die Phantasie des Volkes ob seiner Wildheit mit den Geistern aller derjenigen, welche reich und mächtig in ihrem Leben, ihre Macht und ihren Reichthum zur Unterdrückung der Armen, der Schwachen und Unmündigen mißbrauchten. Wenn der Sturmwind des Nachts diese enge Schlucht durchheult, und die Aeste der Schen und Tannen krachend macht, so sagen die Bewohner jener Gegend : "Sie bringen einen neuen Thalherren her !" So nennen sie die Geister, welche das Enziloch bewohnen,



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und dort zur Strafe eichene Stämme auf das Grat hinauf wälzen müssen, welche, sobald die Höhe kaum erreicht ist, donnernd in die Schlucht wieder zurückstürzen.

Die Thalherren im Enziloch sind eine Reproduktion der Herren von Rothenthal (s. S. 35). Reithardt, der die ihnen auferlegte Strafe der des Sisyphus vergleicht (s. seine Geschichten und Sagen aus der Schweiz, S. 597), hat ihr schrecklich Schicksal in folgendem hübschen Gedicht dramatisirt:
Die Thalherren im Enziloch.
Ei, Vater, Vater! Höre doch,
Wie's toset und krachet im Enziloch,
Als stürzten Stämme und Blöcke schwer.
"Mein Knabe, sie bringen Einen her"
Sie bringen Einen 2 Und wen denn, tuen?
Mein Vater. ich kann dich nicht versteh 'n;
Wer ist der Eine 2 Erzähl mir's geschwind !
— "Ein neuer Thalherr, mein gutes Kind '
— s ist irgend ein arger Bösewicht,
"Doch was er verschuldet, ich weiß es nicht;
Nur Eines weiß ich: daß in der Welt
Er mächtig gewesen und hoch gestellt.
"Ein Zwingherr vielleicht, der ungerecht
Im Leben gedrückt den armen Knecht;
Ein Schirmvogt, welcher — arg gesinnt —
Die Wittwe betrog, das Waisenkind;
"Ein Strolch, der aus dem Paradies
Des Ueberflusses den Armen stieß;
Ein Richter, ber um schändlich Geld,
In Gunst oder Haß den Spruch gefällt.
Ein Geizhals, der des Blutes Rest
Den Händen fleißiger Pflüger entpreßt ;
Ein Pfaff, der predigend Gottes Wort,
In Wollust lebte und Seelenmord —
"Traun', irgend ein großer Sünder ist's,
Der Gottes vergaß und Jesu Christ's,
Und eichene Stämme nun, zur Buß ',
Auf jenen Grat dort wälzen muß;



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Und hat er beinah' erreicht die Höh ',
"Dann ist's, als ob ihm die Eich' entfloh,
"Und paßt er noch so sorglich auf —
Sie wälzt sich zurück in polterndem Lauf.
So rollen der Stämme tausend zu Thal.
"Die Thalherren versuchen's nun abermal,
"Versuchen zum Dritten und Vierten ihr Glück,
"Doch immer rollen die Stämme zurück.
"Sie hasten und tasten, sie pusten und glühn ',
"Bis ihnen knisternde Funken entsprüh'n
"Dann stampfen sie grimmig, bis ihrem Gestampf
Thalnebel entsteigen und Wetterdampf.
"Das ist der "Thalberren" schrecklich Gericht;
"Sie finden die Ruhe des Grabes nicht
"Und büßen durch ein unendlich Leid,
"Die kurze, irdische Herrlichkeit."
Auf ähnliche Art straft der Volksglaube im Wallis betrügerische Advokaten , welche verdammt sind, nach ihrem Tode Wolken und Dünste weben, während die lieblosen Reichen die Strafe der Danaiden erleiden, nur daß sie statt Wasser Rhonesand in durchlöcherten Geschirren bergan tragen müssen.
Copyright: arpa, 2015.

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