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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


4. Der Schakal und der Igel

Eines Tages traf der Schakal den Igel (imüsi oder immissi).Der Schakal sagte zum Igel: "Mein Igel, wir wollen zusammen arbeiten. Wir wollen zusammen ein Bohnenfeld bestellen." Der Igel war damit einverstanden. Der Schakal und der Igel bestellten zusammen ein Feld mit Bohnen. Im Sommer wuchsen die Bohnen. Im Herbst war eine ausgezeichnete Bohnenernte reif.

Der Schakal und der Igel begannen zu arbeiten. Während der Arbeit stießen sie auf einen Topf Butter (usir) und einen Topf Honig (thamend). Sie sagten: "Den Topf wollen wir jetzt beiseite stellen. Wenn wir heute abend mit der Arbeit fertig sein werden, nehmen wir ihn mit nach Hause und teilen den Inhalt." Sie stellten die beiden Töpfe beiseite und gingen gemeinsam der Arbeit nach. Weitergehend, blieb der Schakal von Zeit zu Zeit stehen und blickte sich um. Der Igel sagte: "Was hast du? Was blickst du dich immer um ?" Der Schakal sagte: "Bei mir zu Hause ist ein neugeborenes Kind. Ich soll nach Hause kommen und ihm einen Namen geben." Der Igel sagte: "So kehre doch um, geh nach Hause, gib dem Kinde einen Namen und kehre zurück." Der Schakal kehrte um. Der Igel ging weiter.

Der Schakal ging nicht nach Hause. Er ging dahin, wo sie die zwei Töpfe mit Butter und Honig hingestellt hatten. Er nahm sie hervor. Er fraß die Butter auf, bis nur noch ganz wenig im Topf war. Er fraß den Honig auf, bis nur noch ganz wenig im Topf war. Er nahm die Butter erst heraus, füllte den Topf bis oben mit Erde und strich den Butterrest darüber. Er nahm den Honig heraus,



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füllte den Topf bis oben hin mit Erde und strich den Honig noch darüber. Dann kam er zum Igel zurück.

Als der Igel ihn wiederkommen sah, fragte er den Schakal: "Welchen Namen hast du dem Kinde gegeben ?" Der Schakal sagte: "Ich gab ihm den Namen Belghá (d. h. ,bis auf den Boden')."

Der Schakal und der Igel arbeiteten den Tag über, und am Abend hatten sie alles abgeerntet. Der Schakal sagte am Abend: "Wir wollen die beiden Töpfe mit Honig und Butter stehen lassen, bis wir mit der ganzen Erntearbeit fertig sind. Heute wollen wir die Ernte hereintragen und morgen wollen wir sie dreschen. Bist du damit einverstanden?" Der Igel sagte: "Ja, ich bin einverstanden." Der Schakal sagte: "Dann soll einer die Arbeit des Heimtragens besorgen, der andere kann dann die Arbeit des Dreschens (ätherüith) verrichten. Willst du mit der Arbeit des Heimtragens beginnen ?" Der Igel war einverstanden. Der Igel trug die ganze Ernte heim.

Am andern Tage sollte die Arbeit des Dreschens verrichtet werden. Der Schakal sagte zum Igel: "Nach dem Dreschen muß einer mit der Gabel das Stroh hochwerfen, so daß die Körner herausfallen. Für diese Arbeit bist du zu klein, deshalb wird es besser sein, ich übernehme sie und du übernimmst die Arbeit des Dreschens, die du ebenso gut verrichten kannst wie ich. Bist du hiermit einverstanden." Der Igel sagte: "Ich bin einverstanden." Der Igel drosch an dem Tage das ganze Korn.

Am andern Tage sollte das Hochwerfen des Strohes mit der Gabel ausgeführt werden. Der Schakal sagte zum Igel: "Heute muß nun das Stroh mit der Gabel hochgeworfen werden, damit die Körner herausfallen. Es muß aber auch gleich für Maulesel gesorgt werden, die die Körner in die Mühle tragen. Da du nun in dieser Gegend wenig bekannt bist, während ich hier viele Freunde habe, die mir gern zu Gefallen sind, so wirf du mit der Gabel das Stroh hoch, so daß die Körner herausfallen, während ich in der Nachbarschaft herumgehe und mich nach ein paar Tragtieren umschaue. Bist du damit einverstanden?" Der Igel sagte: "Ich bin damit einverstanden." Der Igel warf dann mit der Gabel alles Stroh hoch, so daß die Körner herausfielen.

Der Schakal sagte am andern Tage: "Du hast die Arbeit des Hochwerfens des Strohes sehr gut gemacht. Nun wollen wir die Ernte teilen. Einer soll das Stroh nehmen und einer die Körner. Ich mache dir den Vorschlag, daß du das Stroh nimmst. Bist du damit einverstanden ?" Der Igel wurde böse und sagte: "Ich habe den ganzen



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Sommer gearbeitet, während du nichts getan hast; ich habe die Ernte heimgetragen, ich habe gedroschen, ich habe das Stroh hoch-. geworfen, während dieser Zeit hast du nichts getan. Und nun verlangst du von mir auch noch, daß ich mit dem Stroh mich abfinden soll ?" Der Schakal sagte: "Komm, wir wollen die Brüder fragen."

Der Schakal und der Igel gingen zu den Brüdern und legten denen die Frage vor. Die Brüder sagten: "Veranstaltet einen Wettlauf (t'hesila). Fangt dort hinten an. Wer zuerst an dem Haufen der Körner ankommt, soll die Körner erhalten. Wer zu zweit ankommt, muß mit dem Stroh zufrieden sein." Der Igel rief heimlich seinen Bruder und sagte zu ihm: "Verstecke du dich hier am Körnerhaufen in der kleinen Grube. Du mußt der erste sein, der bei dem Wettlauf ankommt."

Der Igel ging mit dem Schakal zusammen zu dem Platz, wo der Wettlauf seinen Anfang nehmen konnte. Der Schakal sah auf die kurzen Beine des Igels und sagte: "Ich laufe fünfmal so schnell als du." Der Schakal und der Igel begannen gleichzeitig zu laufen. Der Schakal begann mit langen Sprüngen. Der Igel lief einige Schritte hinterher und ließ sich dann in einen Graben rollen. Der Schakal lief so schnell er konnte. Als er fast an dem Körnerhaufen angekommen war, trat der Bruder des Igels aus der Grube hervor und sagte: "Ich bin schon da!" Da riefen alle Tiere: "Dem Igel gehören die Körner."

Darauf sagte der Igel zu dem Schakal: "Nun komm mit mir. Wir wollen den Topf mit Butter und den Topf mit Honig untersuchen. Wir wollen sehen, wieviel darin ist. Bist du damit einverstanden ?" Der Schakal sagte: "Ich bin damit einverstanden." Der Igel und der Schakal gingen dahin, wo sie den Topf mit Butter und den Topf mit Honig untergestellt hatten.

Der Igel kratzte ein wenig auf der Butter, da kam die Erde zum Vorschein. Der Igel kratzte ein wenig an dem Honig, da kam ebenfalls die Erde zum Vorschein. Der Igel sagte zum Schakal: "Das hast du gemacht." Der Schakal sagte zum Igel: "Nein, das hast du gemacht." Sie einigten sich darauf, daß sie gemeinsam zu einem weisen Manne gehen und diesem die Sache entscheiden lassen wollten.

Der Igel und der Schakal kamen zu dem weisen Manne. Der Ige sagte: "Der Schakal und ich bestellten gemeinsam ein Bohnenfeld. Wir fanden bei der Arbeit einen Topf Butter und einen Topf Honig. Wir stellten beide Töpfe beiseite. Der Schakal ging zurück, um einem Kinde den Namen zu geben. Als er wieder zu mir kam, fragte



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ich ihn, wie er das Kind genannt habe. Er sagte ,Belgha' (bis auf den Boden). Heute wollten wir beide nachsehen, was in den Töpfen ist. Da fand ich, daß sie ganz mit Erde und nur obenauf mit Butter und Honig überstrichen sind. Ich behaupte, der Schakal hat alles gefressen. Der Schakal macht mir den gleichen Vorwurf. Entscheide die Sache."

Der Mann sagte: "Wenn ihr euch heute abend zum Schlafen niederlegt, lege jeder von beiden sich zwei Topfscherben unter. Die Scherben dessen, der den Honig und die Butter fraß, werden morgen früh mit Butter und Honig bedeckt sein." Der Igel und der Schakal gingen. Als sie sich abends zum Schlafen niederlegten, legte sich jeder zwei Topfscherben unter. Dann schliefen sie ein. Gegen Morgen wachte der Schakal auf. Er sah, daß die Topfscherben unter ihm mit Honig und Butter überdeckt waren. Er sah, daß der Igel noch schlief. Er ging hin und vertauschte seine Topfscherben mit denen des Igels. Dann legte er sich wieder nieder.

Als der Igel am Morgen erwachte, sah er, daß die Topfscherben unter ihm mit Honig und Butter bedeckt waren. Da sagte er zum Schakal: "Du hast nachts die Topfscherben vertauscht!" Der Schakal wollte den Igel schlagen. Er traf in die Stacheln und schlug sich die Hand blutig. Der Schakal wollte den Igel beißen. Der Igel steckte seine Stacheln heraus. Der Schakal biß sich das Maul blutig. Dann rollte der Igel sich ganz zusammen und auf den Schakal zu. Er stieß den Schakal auf allen Seiten, und wo er traf, begann der Schakal zu bluten. Der Schakal lief endlich über und über blutend von dannen.

Der Igel behielt die Ernte. Der Schakal schwor, nie wieder mit dem Igel zu streiten.


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