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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


3. Der Schakal und der Löwe

Der Schakal nahm nun eine Kuhhaut und begab sich auf einen Hügel, auf dem er von allen Seiten aus gesehen werden konnte. Dort zerschnitt er die Haut und machte sich ein paar Sandalen (eschifar-e-). Mit den Sandalen ging er dann wieder auf dem Hügel hin und her, so daß alle Welt ihn sehen konnte.

Der Löwe (isum) kam an dem Hügel vorüber. Er sah den Schakal. Er sah die schönen Sandalen und sagte: "Schakal, kannst du mir nicht auch so schöne Sandalen machen?" Der Schakal sagte: "Das will ich wohl sehr gerne tun. Aber die Haut, aus der ich meine Sandalen gemacht habe, ist trocken geworden, und ich kann aus ihr nichts mehr machen. Bringe mir aber eine fette Kuh hierher. Ich will sie dann töten und dir ein schönes Paar Sandalen aus der Haut machen. Je fetter die Kuh und je frischer die Haut, desto besser hält die Sandale."

Der Löwe brachte eine fette und schöne Kuh herbei. Der Schakal sagte: "Diese ist sehr gut. Wir wollen sie nun häuten. Aus dem Fleisch können wir uns einige gute Gerichte machen." Der Löwe tötete die Kuh. Der Schakal zog ihr dann die Haut ab. Der Schakal schnitt die Sandalen zurecht und sagte dann: "Nun fehlen mir nur



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noch Schnur und Nadel. Willst du mir Schnur und Nadel besorgen?" Der Löwe sagte: "Das sollst du sogleich haben." Der Löwe sprang fort, holte Nadel und Faden und gab beides dem Schakal.

Der Schakal sagte zum Löwen: "Nun lege dich hin und strecke die Füße von dir. Ich will dir nun Maß nehmen und die Sandalen festmachen." Der Löwe legte sich hin und streckte die Füße von sich. Der Schakal stach den Löwen einmal versuchsweise in den Fuß und sagte: , Nicht wahr, das ist nicht schlimm? Das kannst du schon sicher gut vertragen. Auf die Weise kann ich die Sandalen fester machen." Dann begann der Schakal die Sandalen auf die Sohlen des Löwen fest aufzunähen. Der Löwe stöhnte vor Schmerz. Der Schakal sagte: "Laß nur! Wenn es jetzt auch ein wenig schmerzt, so wird es nachher für dich desto schöner und angenehmer sein und nicht jeder Dorn wird dich belästigen!"

Nachdem der Schakal die Sandalen auf die Sohlen des Löwen festgenäht hatte, sagte er: "So, nun ist alles in bester Ordnung. Nun begib dich dort in die Sonne, lege dich auf den Rücken und halte die Sohlen nach oben. Dann werden die Sandalen schön trocken werden und der Schmerz wird bald nachlassen." Der Löwe wollte aufstehen. Aber als er auf die Fußsohle trat, mußte er vor Schmerzen schreien. Er schnappte voller Wut nach dem Schakal. Der Schakal aber rief: "Was, bin ich nicht dein Vetter?" Der Schakal nahm das Fleisch der Kuh auf und lief fort.

Der Löwe hielt in seinen Schmerzen die Füße in die Sonne. Er hoffte, es würde besser werden. Die frische Haut zog sich aber zusammen und der Schmerz wurde noch größer.

Nach einiger Zeit kamen zwei Rebhühner (thäthkurt) vorbei. Die zwei Rebhühner fragten: "Was hast du, Vetter Löwe?" Der Löwe sagte: "Kommt heran und seht, was für einen Streich mir der Schakal gespielt hat." Die zwei Rebhühner kamen ein wenig näher. Sie sahen aus der (angemessenen) Entfernung hin und sagten: "Was ist das?" Der Löwe sagte: "Der Schakal hat mir Schuhe an die Füße genäht. Ich bin ganz krank. Könnt ihr das wieder heilen?" Die beiden Rebhühner sagten: "Schwöre uns, daß du uns heute und auch später nichts antun und uns nicht fressen willst. Dann wollen wir dich wohl heilen." Der Löwe schwor: "Ich will nie wieder einem Rebhuhn etwas tun. Ich will nie wieder ein Rebhuhn fressen."

Die Rebhühner kamen heran. Sie gingen zur Quelle und trugen im Schnabel und auf den Flügeln Wasser herbei. Das Wasser tropften sie auf die wunden Füße des Löwen. Als die in der Sonne eingezogenen



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Wunden etwas gelöst waren, zogen sie mit den Schnäbeln die Schnüre heraus. Dann rieten sie dem Löwen, sich aus der Sonne in den Schatten zu legen. Der Löwe erhob sich. Er brüllte vor Schmerz. Er schnappte mit dem Maule nach den zwei Rebhühnern und sagte: "Wenn ich es nicht abgeschworen hätte, würde ich euch jetzt verschlingen." Die Rebhühner flogen nun (mit lautem Geräusch) von dannen. Das laute Surren erschreckte den Löwen. Er sagte: "Fast hätte ich meinen Schwur verletzt. In Zukunft wird das Surren der Rebhühner mich erschrecken."

Und so erschrickt der Löwe heute immer, wenn neben ihm ein Rebhuhn auffliegt.


Copyright: arpa, 2015.

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