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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


6. Zwei Sagen von der Teufelsbrücke bei Pont-Ia-ville.


Die Schweiz in ihren Ritterburgen. T. il. S. 287.


I.

In dem Wirthshaus zu Pont-la-ville saßen eines Abends mehrere Männer beisammen und besprachen sich über die Nothwendigkeit einer- Brücke über die Sane, deren Wogen wischen Felsen und Klippen dort im wilden Strudel schäumen und toben, wie an keiner andern Stelle ihres Bettes. Vieles wurde hin und her gesprochen. Alle sahen die Wohlthätigkeit eines solchen Baues ein, alle aber verzweifelten auch an ihm, da bei der Armuth der Gemeinde die Ueberwindung der sich darbietenden Schwierigkeiten eine reine Unmöglichkeit zu sein schien. Da trat plötzlich ein Fremder, nach seinem grünen Wams zu schließen, ein Jägersmann, der an einem andern Tisch, in seinen Mantel gehüllt und den großen spanischen Hut mit der Feder darauf tief in das Gesicht gedrückt, ihrer Rede schon längst gelauscht hatte, an sie heran und erbot sich: er wolle ihnen eine solche Brücke bauen und das in kürzester Frist. Auch wolle er alles nöthige Material zu dem Bau liefern und da es ihm weder um Lohn noch um Ehre thun sei, verlange er für das Alles blutwenig , so gut wie nichts; man solle ihm nur das erste lebende Wesen, welches über die Brücke nach ihrer Vollendung gehen



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würde, als Eigenthum versprechen. Gefiele ihnen der Handel , so sollte ihm Einer aus der Gesellschaft als Zeichen des Einverständnisses den Handschlag geben.

Nach kurzem Berathen ging man auf den Vorschlag ein. Der Handschlag ward geleistet. Der aber, der dies that, erschrack und erblaßte, als er seine Hand in die des Fremden legte, und als derselbe kur; darauf sich entfernt hatte, erzählte er, er habe in seiner Rechten ganz deutlich die Krallen des Teufels gespürt. Jetzt erst wurde den Anwesenden klar, welch sündigen Vertrag man eingegangen. Furcht und Besorgniß um ihr Seelenheil ergriff sie. Unter ihnen war aber ein Schneider, ein gar schlauer Geselle, dessen Mutterwitz schon Manchen aus der Verlegenheit gezogen hatte. Dieser sagte auch jetzt: liebe Freunde, beruhigt euch, bin ich mit Manchem schon in meinem Leben fertig geworden, werde ich wohl auch mit dem Teufel fertig werden.

Obgleich die Uebrigen sich durch diese Versicherung etwas getröstet fühlten, denn der Schneider war, was sonst gegen die Gewohnheit der Schneider ist, ein Mann, der niemals versprach, was er nicht ausführen konnte, so kennte man sich doch an jenem Abend in banger Erwartung der Dinge, welche der kommende Tag bringen würde, und keiner von ihnen konnte da, wie sonst, daheim die gewohnte Ruhe finden, was übrigens, bei dem fürchterlichen Wetter, das die ganze Nacht hindurch tobte, so wie so unmöglich gewesen wäre. Erst gegen Morgen legte sich der Sturm. Golden ging die Sonne hinter den Bergen auf und schaute mit neugierigem Blick über ihre Gipfel in das Thal herab und siehe! der Teufel hatte sein Wort gelöst: in kühnen Bogen wölbte sich über die dahin brausende Sane die versprochene Brücke. Freude und Jubel war da unter den Bewohnern jener Gegend, nur die, welche um das Bündniß mit dem Teufel wußten, konnten sich des so prächtig ausge



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führten Werkes nicht recht erfreuen. Nicht lange aber sollte ihr Kummer, ihre Besorgniß dauern: war der Teufel ein Mann von Wort, so war es der Schneider auch. Einen großen Sack auf dem Rücken, kam er pfeifend und singend lustig einhergegangen, drängte die Menge, welche sich schon auf die Brücke stürzen wollte, zurück, warf dafür seinen Sack darauf, den er mit einem schnellen Ruck geöffnet hatte, und aus welchem jetzt sechs Ratten und sechs Mäuse in eiliger Sucht heraus sprangen, die, von eben, so viel Katzen verfolgt, in wilder Jagd über die Brücke hinwegeilten. Mit freudigem Muthe folgte ihnen der Schneider, ein Kruzifix in der Hand, das er, einen heiligen Segen sprechend, auf dem mittelsten der Brückenpfeiler aufpflanzte Als der Teufel, welcher in der Hoffnung auf die ihm vertragsmäßig zugesprochene Beute am andern Ende der Brücke in derselben Gestalt wie am vorigen Abend auf der Lauer lag, dies erblickte und sich so getäuscht sah, ward er teufelstoll, nahm sofort seine wahre Höllengestalt an und riß mit seinen Krallen von der jähen Felswand Felsblock auf Felsblock, welche er alle nach der Brücke warf, um sie wieder zu zerstören. Die Macht des auf ihr aufgepflanzten Kreuzes vereitelte jedoch seine Absicht . Ohne Schaden anzurichten, fielen die Felsblöcke zu beiden Seiten der Brücke in die Sane, wo sie, ihr von Stunde an ein schützender Wall, heute noch liegen.


II

Bevor der heilige Donat, Erzbischof zu Besançon, das Greyerserland zum Christenthum bekehrt, hatte dort ein ungeheurer Riese seinen Wohnsitz aufgeschlagen, welchen das Volk jener Gegend in seiner heidnischen Verblendung als Götzen verehrte und anbetete. Dieser Riese war der Riese Gargantua. Größer als die himmelstürmenden Titanen, soll dieser Riese mit dem einen Fuße auf der Spitze des



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Birrenberges, mit dem andern auf der des Gibloux gestanden und sich niederbeugend die Sane so vollständig ausge- trunken haben, daß ihr Bett drei Tage hindurch Socken blieb. Während dieser drei Tage habe er, so erzählt die Sage, mit seinen gewaltigen Händen von den Felsen links Felsblöcke abgebrochen und mit denselben das Fundament und die Grundpfeiler zu der Brücke bei Pont-la-ville gelegt, so daß den Menschen ihre Vollendung dann ein Leichtes gewesen sei.

Die schon mehrmals angedeutete verwandtschaftliche Beziehung zwischen Teufel und Riesen leuchtet in obigen zwei Sagen, indem sie ein und dasselbe Werk der Urheberschaft Beider zuschreiben, auf das Deutlichste hervor; auch tritt uns hier als Repräsentant der rohen Naturkräfte *) ein sonst im schweizerischen Sagenkreis seltenes reinmythisches Riesengebild in der Person des Riesen Gargantua entgegen. Teufel und Riesen treten als Baumeister, dieses Amt sich gegenseitig übertragend, sehr häufig in der Volkssage auf. Gewöhnlich verwendet sie die Sage bei der Ausführung von kolossalen Bauten **), die Jahrhunderte überdauern oder



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ihrer merkwürdigen Struktur wegen auffallen; Teufel wie Riese aber werden dabei von den Menschen immer um den von ihnen ausbedungenen Lohn betrogen. So erzählt ein deutsches Mährchen ganz ähnlich wie oben: Der Teufel soll einem Bauer ein Haus bauen und dafür seine Seele erhalten; aber ehe der Hahn kräht, muß der Bau vollendet sein, da sonst der Bauer frei, der Teufel aber verfallen ist. Bald naht das Wert seinem Ende, ein einziger Ziegel fehlt nur noch auf dem Dache, da ahmt der Bauer den Hahnenschrei nach, plötzlich krähen alle Hähne in der Runde und der Bauer hat seine Seele gerettet. Alterthümlicher lautet eine nordländische Sage: König Olaf von Norwegen ging in tiefen Gedanken zwischen Berg und Thal; er hatte im Sinn, eine Kirche zu bauen, deren gleichen sich nicht finden sollte, allein er sah, daß er den Bau nicht zu Stand bringen könnte, ohne sein Reich sehr zu beschweren. In dieser Kümmerniß begegnete ihm ein Mann, seltsamen Ansehens, und fragte, worüber er so nachdenksam wäre? Olaf offenbarte ihm sein Vorhaben, und der Riese (Troll) erbot sich binnen gewisser Zeit ganz allein den Bau zu vollbringen. Zum Lohn bedung er sich aber Sonne und Mond, oder den heiligen Olaf selbst. Olaf ging darauf ein, entwarf aber einen solchen Plan zu der Kirche, dessen Ausführung ihn unmöglich däuchte: die Kirche sollte so groß sein. daß sieben Priester auf einmal dann predigen könnten, ohne einander zu stören, die Pfeiler und Zierrathe auswendig und inwendig sollten aus hartem Flins gearbeitet werden u. s. w. Bald stand eine solche fertig da, bloß Dach und Spitze fehlten. Neu bekümmert über den eingegangenen Handel wandelte Olaf wieder durch Berg und Thal; auf einmal hörte er in einem Berg ein Kind weinen und eine Riesenfrau es mit diesen Worten stillen: "ziß, ziß, morgen kommt Wind und Wetter, dein Vater, heim und bringt mit sich Sonne und Mond, oder den heiligen Olaf selbst!" Olaf, froh über diese Entdeckung, denn mit des bösen Geistes Namen war seine Macht vernichtet, kehrte nach Hause; alles war fertig, die Spitze eben aufgesetzt. Da rief Olaf: "Bind och Beder! du har satt Spiran sneder!" *) sogleich fiel der Riese mit erschrecklichem Krach von dem Kamm der Kirche herab und zerbrach



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in viele Stücke, die lauter Flinssteine waren (I. Grimm, Myth. d. Deutschen. S. 317). Die gleiche Sage erzählt man auch in Norwegen, wo der Riese jedoch S kalle heißt und zu Nidaros die prächtige Kirche erbaute, und in Schonen von dem Riesen Finn, dessen Werk die Kirche zu Lund ist und der vom heiligen Laurentius in Stein verwandelt ward. Was obige Sage von dem Riesen Gargantua betrifft, so ist dieselbe das Ueberbleibsel einer altceltischen Volkssage , die von Rabelais und Fischart verherrlicht ward, ihrer Ursprünglichkeit aber längst verloren ging. Vielleicht, daß spätre Zusammentragungen sie in ihrer Vollkommenheit wieder herstellen. Schlüßlich sei hier noch einer Sage gedacht, die Scheuchzer in seiner Naturgeschichte der Schweiz, Thl. II. S. 98 von der Teufelsbrücke über die Reuß im Kanton Uri erzählt und die mit No. I fast gänzlich gleichlautet.
Copyright: arpa, 2015.

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