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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


55. Der Schatz im Berge.


Mündliche Mittheilung. I. R. Wyß.

In einem Berge am Gerzensee liegen viele reiche Schätze verborgen. Alle diese Schätze sind auf einem großen vierrädrigen Wagen geladen, dessen Rasseln und Knarren man zu gewissen Zeiten ganz deutlich vernehmen kann. Wer aber den Schatz sich zu eigen machen will, muß am Ostertag um Mitternacht sich an jenem Berge mit Roß und Rind einfinden: denn zu dieser Zeit rückt die Deichsel des Wagens aus der Wand des Hügels heraus, und wer, ehe eine Stunde um, die Thiere anspannen und den Wagen nur eine kleine Stecke herausbringen kann, dem gehört er von diesem Augenblick sammt allen Schätzen darauf an; mrd aber dabei auch nur ein einziges Wort gesprochen, so fährt der Wagen prasselnd in den Berg wieder zurück und dem unvorsichtigen Schwätzer droht sonst noch viel Unheil und Schaden.

Die Aussicht, so mit einem Schlag großen Reichthum zu erlangen, hatte, trotz der damit verbundenen Gefahr, einst einen Bauer verlockt, das Wagniß zu unternehmen. Dazu hatte er sich zu seinen wei Rossen, die er schon besaß, noch zwei andere, junge, feurige Thiere, sowie vier kräftige Rinder angeschafft und sich mit neuem, starkem und festem Riemenzeug , Ketten und Seilen versorgt. So ausgerüstet, begab er sich in der Gesellschaft eines Geisterbanners in der nächsten Osternacht nach dem Hügel, wo der Wagen mit dem Schatz der Sage nach liegen sollte. Dort angelangt, konnte er kaum das Herannahen der Mitternacht erwarten. Da endlich schlug es zwölf. Ein Krachen, das vom Abhange des Hügels ausging, folgte dem letzten Glockenschlag, und eine Deichsel, drei Spannen dick, an der Spitze wie Schwefelfeuer



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leuchtend, sauste mit Pfeilesschnelle, zwischen dem Bauer und dem Geisterbanner durch, aus der Erde heraus. Obschon erschrocken, sprangen die Männer doch hastig auf sie zu. Schnell waren die Thiere angespannt und von kräftigen Peitschenhieben angespornt zogen sie dampfend an. Ihrer vereinten Kraft konnte die Last nicht widerstehen, sie setzte sich in Bewegung. Ruck und noch ein Ruck, die Erde klaffte immer mehr und mehr, schon sah man die Vorderräder des Wagens, schon den goldenen Glanz der auf ihm aufgeschichteten Reichthümer, schon rückten die Hinterräder nach, in deren Speichen die Schatzgräber jetzt helfend eingriffen — da rief der Bauer, den Bann des Stillschweigens brechend, tiumphirend aus: hoho, jetzt haben wir ihn hald! Dies aber kaum gesagt, so erfolgte ein Donnerkach, von unsichtbaren Geisterhänden erfaßt, ward der vorlaute Schwätzer weit hinweggeschleudert, daß er sinnlos zu Boden siel, der Wagen aber fuhr unter schrecklichem Gerassel sammt dem Geisterbanner, Roß und Rindern im Nu in den Hügel zurück , der sich hinter ihm augenblicklich wieder schloß. Erst am andern Morgen erwachte der Bauer aus seiner Ohnmacht. Der Verlust der Thiere, wohl auch die ausgestandene Angst und der Schrecken hatten ihn jedoch so arg mitgenommen, daß er später irrsinnig ward und als Selbstmörder sein Leben endete.

Sagen wie die obige finden sich fast bei allen germanischen, celtischen und slavischen Volksstämmen vor. Aehnlich der Sage vom Goldsonnen (S. No. 26, S. 63) binden sie sich gewöhnlich an alte Lokalitäten, in denen ehemalige Opferstätten oder einstige Begräbnißstellen unserer heidnischen Vorfahren, welche den Todten ihre Schätze mit in das Grab zu geben pflegten, zu erkennen dem Alterthumsforscher nicht schwer fällt. Hier scheinen wir es mit einer Opferstätte zu thun zu haben: denn der mit Schätzen beladene Wagen erinnert zu lebhaft an die Opferwagen, als daß man hier auf das letztere fallen könnte. Eben so häufig aber als die in



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obiger Sage enthaltene Thatsache ist, ebenso übereinstimmend sind gewöhnlich fast alle sie begleitenden Nebenumstände. Immer, wenige Ausnahmen nicht gerechnet, bei denen sich der Schatz wie beim Goldsonnen auch am Tage zeigt, sind es gewisse Nächte (Osternacht, Johannis-, Allerseelen und Christnacht), in welchen der Schatz sich der Oberfläche der Erde nähert und es dem Sterblichen vergönnt ist, sich seiner zu bemächtigen. Daß hierbei tiefes Stillschweigen Bedingung ist, mag ebenfalls ein vom Opfergebrauch im Volksglauben erhaltener Ueberrest sein, während das von den Hütern des Schatzes oftmals begehrte Unterpfand oder Lösemittel (Siehe No. 32, S. 71), welches in einem schwarzen Bock, in einer Katze ec. ec. zu bestehen pflegt, das Opfer selbst ist.
Copyright: arpa, 2015.

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