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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


48. Von dem Mai-Bunder - und Hungerbrunnen.


Cysat, Beschreibung des Vierwaldstetter See's. S. 247.

Auf den Bergen der Schweiz gibt es Brunnen, welche im Mai, sobald das Vieh auf die Weide gessen wird, zu fließen anfangen; werden sie aber von demselben verlassen, versiegt auch ihre Quelle wieder. Von ihnen erzählen die Hirten, daß sie von Bergmännchen oder den Toggeli gehütet werden, welche auf diese Art für das durstige Vieh in den heißen Sommertagen sorgen. Solche Brunnen kommen sehr häufig vor. Einer der bekanntesten ist der auf der Engstlen-Alp im Amte Oberhasli. Dieser fließt nicht nur vom Frühjahr an bis zum Herbst, sondern auch nur des Tages regelmäßig zwei Mal, des Morgens früh um acht und des Nachmittags um vier Uhr, zu welcher Zeit man das Vieh zur Tränke zu führen pflegt. Von ihm heißt es unter Anderm auch noch, daß sobald man absichtlich etwas Unreines in sein Wasser wirft, dasselbe oftmals mehrere Tage lang ausbleibt, während der Unrath, welchen die Thiere selbst hineinfallen lassen, seinen Lauf nicht im Geringsten stört. Außer den Mai- oder Wunderbrunnen gibt es aber auch noch eine andre Art Brunnen. Dies sind die sogenannten Hungerbrunnen, und hievon gibt es wiederum zwei Arten: die einen fangen an zu fließen, sobald eine Hungersnoth im Anzuge ist, während die andern austoben und sich nicht eher wieder mit Wasser zu füllen beginnen, als bis der Nothstand zu Ende gehen will.

Das Intermittiren der Duellen, das zu dem Aberglauben obiger Sage Anlaß gegeben hat, ist eine völlig naturgemäße Erscheinung, die durch folgende zwei Ursachen Erklärung findet: entweder ist sie durch die



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zur Zeit der Schneeschmelze überfüllten Wasseradern im Innern der Berge bewirkt, deren gewöhnlicher Abzug nicht mehr ausreicht, so daß sich dieselben neue Abflußgänge suchen müssen, oder es ist Wasser, das sich aus den auf den Alpen gelegenen Seen, wenn sie einen höhern Wasserstand als gewöhnlich haben, von dort sich befindlichen Löchern aufgesogen, durch innere Gebirgsgänge nach den tiefer gelegenen Gegenden ergießt. Der Aberglaube aber selbst ist sehr alt und hat sich auf uns aus dem Heidenthume verpflanzt, in welchem dem Wasser, dem reinen, bald quellenden, bald versiegenden Elemente, nicht nur weissagende Kraft zugeschrieben, sondern auch ein besonderer Kultus gewidmet war, der besonders an der Stelle geübt wurde, wo es aus dem Schooße der Erde entsprang *). Eine Menge abergläubischer Gebräuche, heutigen Tages noch bei uns geübt, sind ein Zeugniß dieses heidnischen Kultus, dessen baldige Vermischung mit christlichen Elementen sich deutlich und unverkennbar aus ihnen ergibt. So wurde unter Beziehung auf Christus und das Kreuz, Wasser, das in der heiligen Weihnacht, so lang die Glocke zwölf schlägt, gesammelt ward und dem man besondere heilsame Kräfte zuschrieb, Heilwag genannt, ein Wort, welches sich, außer bei Anderen, auch bei Anshelm in seiner berner Chronik 1. 308 vorfindet. Ganz ähnliche Kräfte hatte auch am ersten Ostertag, jedoch nicht um Mitternacht, sondern früh Morgens vor Sonnenaufgang geschöpftes Wasser. Wasser aber, Sonntags vor Sonnenaufgang an drei fließenden Brunnen in ein Glas gesammelt, vor dem dann eine Kerze angezündet ward (Grimm, Mythologie der Deutschen. S. 329), war Zauberwasser zu unchristlicher Weissagung **) diensam. Daß aber der Aberglaube obiger Sage nicht



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nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland, England, Frankreich und andern Ländern daheim ist, zeigt, daß der Wasserkult ein allgemein verbreiteter war. Von den Duellen und Brunnen anderer Länder, an welche sich jene Orakelkraft, annahende Theurung oder das Ende derselben zu verkünden, bindet, sei hier der unter dem Namen die "theure Zeit" bekannte Brunnen an der Chaussee von Eutin nach Qedlmburg erwähnt; das "Theuerbrünnlein" bei Schweinefurth; der "Hungerborn " bei Hüselrieth im Hennebergischen; die Hungerquelle hinter dem Schloßgarten in Baden; die Hungerquelle in Halle auf dem Markte beim rothen Thurme; der Hun gerbrunnen im Elsaß zwischen Ingersheim und Katzenthal und der Hungry pit bei Billington in England ec. Von den Hungerbrunnen in der Schweiz sei noch der Hungerbrunnen bei Wangen unweit Zürich und der Seltenbach bei Eglisau angeführt, von welchem die Sage geht, ihr Wasser ergieße sich bei anbrechender theurer Zeit, trockne aber bei anhaltender Witterung aus. Von dem letztern wird als eine mit der Sage übereinstimmende Thatsache erzählt, daß er vor den Hungerjahren 1690 und 1791 vier Jahr hinter einander geflossen sei, und ersteren will ein Pfarrer des Dorfes Wangen von dem Antritte seines Amtes im Jahr 1686 bis zu dem Jahr 1705, wie dieser an Scheuchzer berichtet, seiner genauen Beobachtung unterworfen haben, deren Resultat ebenfalls mit der Volkssage so ziemlich übereinstimmend gewesen sei. Die weissagende Kraft des Wassers findet übrigens noch vielfach Bestätigung. So unter Anderm in folgender Sage.da sitzt, so stat der Zaubermaister hinder im und spricht in etliche unerkannte Wort, und haißt das rain Kind die Wort nachsprechen. Was die Wort bedeuten , kan noch kain Maister ussgelegen, dann das der Mensch mit sölichem verporgen Worten sich selb Gott benimbt und sich dem bösen Tewfel gibt. Wenn nun der Maister den Knaben also vor im hat, so haißt er in sehen, was er sech, und Sagt dann nach dem Schatz, Diebstal oder sunst wornach er will. Die Ainfalt des Kindes macht das es spricht, es sech dieß oder das, darin vermist sich ban ber bös Tewfel und laßt erscheinen oft das Unwar für das War. (I. Grimm, Deutsche Mythologie. Anhang S. LX.)
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