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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


46. Frau Ube die Gute.


Alpenrosen. Jahrgang 1823. S. 213.

In jener uralten Zeit, in der noch in den Thälern des berner Oberlandes die Sitte herrschte, daß sich die Jungfrauen von allen Jünglingen streng zurückzogen, kam zu jedem sich folgenden Menschengeschlechte aus dem wildesten Hochgebirg eine steinalte, graue, von den Jahren gebeugte Frau, die Frau ude die Gute hieß, und von dem Augenblick an, daß Menschen jenes Gelände bewohnten, daselbst gehaust hatte, wenn auch Niemand das Obdach kannte, wo sich die Alte während der Zeit ihres Fernseins aufhielt. Frau Ude die Gute sah scharf und war an seltenen Künsten reich, ob sie schon lebenssatt, Saftlos und mehr todt als lebendig zu



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sein das Aussehen hatte. Geschäftig trippelte sie von Hütte zu Hütte, lud alles Hausvolk an die Thür, griff den Mädchen an's Kinn, sah sie mit blinzelnden Luchsaugen an, und endigte jedesmal mit dem Reimen :

Du, du, du, ja du !
Dießmal wieder Ruh l —
Hätt' ich keine funden mehr,
Litt ich siebenmal so schwer.

Dann nahm sie lachend das Mädchen bei der Hand, zu dem sie den Spruch gesagt, und trippelte weiter, und allemal ohne zu Sagen, ohne mißzugehen, ohne zu zaudern, geradehin nach dem Hause des Reichsten und Besten und Schönsten der Jungesellen im Thal, und dem legte sie die Hand des Mädchens in die Rechte, sah ihn nickend an, und hinterließ im Herzen des Junggesellen eine Liebe voll Innbrunst zu dem Mädchen, das sie dergestalt ihm vorgeführt hatte. Und allemal war eine glückliche Ehe zwischen den Beiden; das gesammte Thalvolk jubelte, Jedermann lud sich zur Hochzeit ein, und niemals hat irgend ein Vater, irgend eine Mutter die Wahl der Frau Ude für Sohn oder Tochter abgelehnt: denn jedesmal war das Mädchen als die Reinste unter den Reinen im ganzen Thalgelände erfunden, der Jüngling als der Beste von den Besten.

In der Frau Ude, der Guten, der Ehestifterin unserer Sage, ist die nordische Gottheit der Frigg oder Freia nicht zu verkennen, die als Göttin der Liebe auch Stifterin der Ehen war, wie das mit ihrem Namen zusammenhängende deutsche Zeitwort "Freien" ergibt. Das deutlichste Erkennungszeichen liegt jedoch in dem Namen Frau Ude, die Gute, selbst. Frigg oder Freia war nämlich Odins Gattin, als solche hieß sie auch Frau Gode, Frau Guode, Frau Gaue; in letzterer Form findet sie sich noch in einem Reim vor, dessen Absingen, da sie nicht allein die die thierische Fruchtbarkeit befördernde Gottheit, sondern auch die den Schoos der Erde befruchtende Erdgöttin war, noch heutigen Tages



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in einigen Gegenden Niederdeutschlands bei der Erntearbeit Gebrauch ist. Dieser Reim heißt:
Frau Gaue, haltet ju Fauer,
Düt Jar up den Wagen,
Dat ander Jar up der Kare.
Identisch mit der Freia aber ist die ägyptische Gottheit der Isis und Holda oder Holla, die ursprünglich freundliche, milde und gnädige Göttin der alten Deutschen, welche letztere, ähnlich der Frau Ude, sich in Mittel- und Niederdeutschland in der Frau Holle, in den obern deutschen Gegenden aber, sowie in Oesterreich, Baiern, Schwaben, Elsaß und in der Schweiz in der Frau Berchta oder Bertha erhalten hat, auf welche letztere zurückzukommen ist.Gode war in Deutschland der Name für Odin; daher der Godensberg bei Bonn und der noch im Jahr 1159 urkundlich angeführte Wuodenesberg in Hessen, in der Nähe der von Bonifacius umgestürzten heiligen Eiche, welcher, die zwischen der Frau Ude und der Frau Gode stattfindende Verwandtschaft bestätigend, später Udenesberg, Gudensberg benannt wurde. Daß aber die schöne, mit herrlichen Reizen ausgestattete Freia in unserer Sage zu einem alten, von der Last der Jahre gebückten Mütterchen zusammenschrumpfte, ist ein Schicksal, das sie mit der Holda theilt, welche oftmals auch als häßliche, großzahnige und langnasige Alte gedacht wird.
Copyright: arpa, 2015.

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