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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


Das Fabelhafte

Nachdem im ersten Bande der große Gehalt an Mythen und die feinere Dichtung der Lebensweisheit, im zweiten Bande dann die an dichterischen Spielformen so auffallend reiche und doch an Wesenstypen wieder sehr begrenzte Welt der Ungeheuer abgespiegelt wurde, bleibt es dem dritten Bande vorbehalten, die eigentlichen "Fabeln" und "Märchen" der Kabylen unter einem andern Gesichtspunkte zusammenzufassen.

Im vorliegenden Bande habe ich mich bemüht, die Stoffe so zu gliedern, daß die eigentliche , , Stilverwandtschaft" hervortritt.

Die westliche Kulturwelt (Europa, Westasien, Afrika) bietet, abgesehen von den eigentlichen Mythen und von den mystischen Dichtungen und Sagen, dreierlei verschiedene Märchentypen. Die primitive ist die Tierfabel, die ja im Reinecke Fuchs auch bei uns noch lebendig ist, die aber in vorherrschender und die Dichtungen überhaupt charakterisierender Form im Westen nur den Afrikanern und zwar den dunkelfarbigen eigen ist, in ihrem Überwiegen dem Norden zu aber abnimmt. Liegt hier eine klare erkennbare Linie südnördlicher Tendenz vor, so zeigen die Märchen selbst eine solche westöstlicher. Die Märchen der westlichen Welt sind schlicht, einfach, ungezwungen. Ihre Schönheit ist im nördlichen Europa die reinste; ihre Einfachheit aber auch in Afrika und zwar zumal im westlichen eine selbstverständliche. Diesen schlichten Formen des Westens stehen die bunten des Ostens gegenüber, die am deutlichsten in der Sammlung Tausendundeiner Nacht ihre an maurisches Arabeskenwerk erinnernde Verschlingungen zeigen, die aber in ihrem Übergreifen nach Westen nicht nur den Pentamerone zeitigten. Das östliche Märchen ist komponiert und schmuckreich. Als nordische Dichter begannen, kunstreiche Märchen zu schaffen, verfielen sie unwillkürlich in Formen, die den östlichen nachkommen, und zwar nicht nur deshalb, weil die orientalischen Märchen damals ein großes Einflußgebiet schon erobert hatten, sondern deshalb, weil eben an die Stelle der selbstverständlichen Märchen und ihrer traditionellen Wesenheit, die "Kunst, Märchen zu erzählen", getreten war.

Die Frage ist nun, auf welchen Punkten dieser Entwicklungslinien die kabylischen Märchen und Fabeln ihr Heimatrecht haben.

Die kabylischen Tierfabeln (Teil 1) zeigen eine echt afrikanische Klarheit. Der Fabelheld ist aber, wie bei allen Nordafrikanern und den Völkern der Südspitze (auf deren kulturelle Beziehung zu den



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"Berbern" ich schon Bd. 1 S. 8 hinwies)* der Schakal, während bei den farbigen Afrikanern Mittelafrikas andere Tiere, im Osten und Süden der Hase den Reinicke repräsentiert. Der Schakal ist physiognomisch entschieden als Bruder unseres Reinecke Fuchs anzusehen; der Hase ist aber als Fabelheld weit nach Osten hin bis zu den Mongolen usw. heimisch. — Nach dieser Probe steht die kabylische Fabel also der europäisch-deutschen näher als der mittelafrikanischasiatischen.

Die eigentlichen Märchen habe ich in zwei Gruppen zusammengefaßt und den Gegensatz okzidentaler Schlichtheit und orientalisch bunten Arabeskenreichtums damit zum Ausdruck gebracht. Natürlich ist die Trennung nur eine äußere, denn innerlich gehen die For-. men ineinander über. — An der Spitze der "schlichten Märchen" marschieren die Kettenerzählungen, dann folgen so einfach natürliche Bildungen, daß sie auch aus dem nordwestlichen Europa stammen könnten. Auch mancherlei, zumal dem Norden angehörige Stoffe, die an den gestiefelten Kater, an den großen und kleinen Klaus, an Däumeling, an den tapferen Schneider (hier ein Holzhacker) erinnern, bestätigen diesen Eindruck verwandter Wesensart.

Am andern Ende dagegen fallen Stoffe wie Alladins Wunderlampe, der singende Vogel usw. auf, die Kunstfertigkeit der Verschlingungen wächst und Märchen wie Nr. 141 und 142 sind ganze Gewebe fein verbundenen Fadenwerkes. Bemerkenswert ist hier auch jene ritterliche Erscheinung, die als "Fans" in vielen Märchen östlicher primitiver Dichtkunst zumal im nächsten Bande (Kordofan) noch deutlicher hervortritt und die der vornehmen Gesinnung der vornehmen Wüstensöhne und Wüstenfürsten entspricht. Aber trotzdem zeigt sich in allem ein Hinneigen zur Schlichtheit auch in der Behandlung solcher Stoffe. Der Prunk des Hofes Arun al Raschids hat hier keinen wesentlichen Einfluß gewonnen und die Konstruktion des Dichtwerkes wird nicht durchaus durch eine übermäßige und schwülstige Ausschmückung, durch magische Wände und wunderbare Übermäßigkeiten ersetzt.

Der grundlegenden Eigenart nach ist die kabylische Volksdichtung mehr okzidental als oriental.


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