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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


13.

Kühe verschwinden auf den Ruf einer Stimme von best Alpen unb kehren nach drei Sagen wieder zurück.


Joh. Scheuchzer, Naturansichten des Schweizerlandes, sammt seiner Reise über die schweizerischen Gebürge. Pag. 251. Zürich 1746.

Wenn die Sennen auf den Alpen sind, geschieht es Zeiten, daß in der Nacht eine Stimme gehört wird, gleich der eines Sennen, wenn er die Kühe ruft, welcher Stimme dann die Kühe, unter Anführung der Meisterkuh, alsobald nachgehen. Ruft nun der Hirt sie mit seiner wahren Stimme



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nicht wieder zurück, so kommen sie fort, daß man sie nicht finden kann. Drei Tage hernach finden sie sich aber auf ihren gewöhnlichen Weidplätzen auf den Alpen, mit angefüllten Eutern, wieder ein. Oft auch, und namentlich bei Nacht, wenn Sturm, Regen und Hagelwetter eingetreten ist, befällt sie eine solche Unruhe, daß sie wie toll über Stock und Stein davon fliehen und kein Rufen der Sennen sie mehr zurückbringt. Dies ereignet sich jedoch bisweilen auch am Tage, obwohl sich kein äußerer Grund davon entdecken läßt. Dann aber hält ihren Lauf selbst der tiefste Abgrund nicht auf, in blinder Hast stürzen sie darauf zu, ein Sprung und zerschmettert liegen sie in der Tiefe. Einstmals soll sich ein kühner Hirtenknabe, als solche Wuth über seine Heerde kam, an den Schweif der hintersten seiner Kühe angehängt haben und mit derselben verschwunden sein. Nach drei Tagen kehrte er jedoch mit ihr wieder auf die Alp zurück. Niemals hat er aber sagen wollen, wo er gewesen und was er während seiner Abwesenheit Alles gesehen und erlebt.

Eine getreue und lebhafte Schilderung jener Scene voller Angst und Schrecken, welche, unter dem Namen das Rücken der Kühe bekannt, je zu Zeiten ganze Alpwirthschaften in Bewegung und Verwirrung setzt, findet sich in Tschudis Thierleben der Alpenwelt, S. 528. Als treffendes Naturbild, entworfen von kundiger Meisterhand, das gleichzeitig die Bildungsmotive unsrer Sage auf den ersten Blick verräth, erlaube ich mir, es derselben anzureihen. Es heißt;"So vertraut die Sennen mit ihrem Vieh sind und so gerne eine Kuh dem Namen, mit dem sie gerufen wird, folgt, so gibt es doch auch fast in jedem Sommer Stunden der vollen Anarchie, in der alle Ordnung in der Heerde reißt und der Senn sie fast nicht mehr zu halten weiß. Wir meinen die Stunden der nächtlichen Hochgewitter, die den Alpbewohnern wahre Notha und Schreckensstunden sind. Noch liegt die Heerde in der Nähe der Hütte und die Hirten ruhen, von des Tages Hitze und Last ermüdet, im ersten Schlafe. Da leuchtet's fern am Horizonte und das nahe Schneefeld steht Minuten lang wie von glühender Lava übergossen . Schwärzer hangen die schweren, breitgeballten Wolken über den



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Gipfeln und von Westen her beginnt eine tolle Jagd gelblichen Gewölkes mit leicht zuckenden Strahlen. In der fernen Tiefe ruht das schwarze Land in Todesstille. Die Kühe wachen auf und werden unruhig; warme Windstöße fegen zwischen den Felsenköpfen her und rauschen sachte in den Alpenrosengebüschen und niedrigen Bergföhren. Die Wasser der Gletscher werden lebendig, in der Ferne beginnt es dumpf zu rollen, die obern Lüfte kämpfen, zuckt immer lebhafter und feuriger über den höchsten Alpengipfeln. Die Kühe stehen auf und sammeln sich, die dumpfbrüllende Heerkuh gibt das Zeichen zum Aufbruch und bald ist die Heerde dicht um die Hütte geschaart. Noch liegt über dem Plateau drückende Schwüle; einzelne schwere Tropfen fallen schräg auf das Hüttendach, unter dem noch die Sennen ruhig fortschnarchen. Da flammt aus der nächsten lichten Wolke wie eine feurige Schlange der schwefelgelbe Blitz in den Felsen her wie Gift beißt's in die Augen — ein heller Kanonenschlag schmettert nach, die Wolken flammen ringsum auf, die Donnerschläge überstürzen sich, der Himmel dröhnt, die Hütte wankt, die Firne beben; in hellen Strichen rauscht der dichte Hagel auf die Weide nieder. Hoch auf brüllen die getroffenen Thiere; mit aufgeworfenen Schwänzen und dicht geschlossenen Augen rennen sie zitternd nach der Richtung des Sturmwinds auseinander. Jetzt springen die halbnackten Sennen. die Milcheimer über die Köpfe gestürzt, unter die zerstäubende Schaar, johlend, fluchend, lockend und die heilige Mutter anrufend. Aber das tolle Vieh hört und sieht nichts mehr. In schauerlichen Tönen halb stöhnend, halb brüllend, rennt es blind, mit vorgestrecktem Kopfe, den Schwanz in den Lüften, gerade aus. Die Sennen wissen sich nicht zu helfen, bald schwarze Nacht, bald blendendes Feuer; der Hagel klappert auf dem Eimer und zwickt die nackten Arme und Beine mit scharfen Hieben, während alle Elemente im greulichen Aufruhre sind.Endlich ist ein Theil der Heerde gesammelt; die Winde haben die gefährlichen Wolken über die Wetterscheide hinausgetrieben; dem Hagel folgt ein dichter Regen, die Kühe stehen bis an's Knie in Koth, Hagelsteine und Wasser um die Hütte her, und von Fels zu Fels hallen die vereinzelten Schläge des fernern Donners nach — aber eine oder zwei der schönsten Kühe liegen zuckend und halb zerschmettert im Abgrund. Kommt das Hochgewitter nicht so unerwartet, so beeifern sich die Sennen, das Vieh sorgfältig zu sammeln. Es bietet einen eigenen Anblick, wenn es sich, wie sie es nennen, "erstellt". Mit starren Augen und hängendem Kopfe stehen die heftig zitternden Thiere im Haufen. Ueberall gehen die Hirten umher, reden freundlich zu, loben und schmeicheln, und da mag es noch so heftig blitzen und krachen, der Hagel noch so stark auf die Heerde hereinwettern, - keine Kuh weicht mehr vom Fleck. Es ist, als ob diese armen, gutmüthigen Thiere sich sicher vor allem Unglück



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wüßten, wenn sie nur des Sennen Stimme hören! Ein andrer Fall von Anarchie unter den Heerden, von Tschudi ebenfalls angeführt, der jedoch weniger bekannt und auch schwerer zu erklären ist, kömmt vor, wenn man die Unvorsichtigkeit begeht, das halbverdaute Futter und den Inhalt der Gedärme einer todt gefallenen oder sonst geschlachteten Kuh auf den Boden fallen zu lassen. Sicher kommen dann sämmtliche Kühe, sogar die, welche in der größten Ferne weiden, wie toll nach jener Stelle des Bodens herbeigelaufen und es beginnt ein allgemeiner Hörnerkampf, der nicht selten mit dem Tode eines dieser Thiere endet. Selbst wenn der Inhalt jener Eingeweide weggekehrt oder fußtief im Boden vergraben worden, so wird doch jede Kuh der Heerde diese Stelle nur mit der größten Unruhe betreten." "Das, schließt Tschudi, sind Thatsachen, die sich mit der größten Regelmäßigkeit wiederholen, aber natürlich in der Regel mit aller Sorgfalt vermieden werden." Sollen wir uns wundern, wenn der einfache Alpbewohner in allen diesen Naturfühlen, deren Tiefe oftmals selbst der Gelehrteste unter den Gelehrten nicht ganz ergründen kann, das geheimnißvolle Walten einer überirdischen Macht erblickt, von der er, seinen Träumen hingegeben, sich die seltsamsten Bilder der Phantafie entwirft ? Gewißlich nicht!
Copyright: arpa, 2015.

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