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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


6. Mon den bösen Geistern des Gebirgs.


Vogt, im Gebirg und auf den Gletschern, S. 167. Mündliche Mittheilung.

Wie es unter den Geistern des Gebirges gute, den Menschen freundlich gesinnte Wesen gibt, so trifft man unter ihnen aber auch auf solche, die ein Schrecken dem Aelpler, nichts als Tod und Verderben drohen. Sie führen keinen besondern Namen. Man nennt sie nur die Bösen. Wenn die Alpen unter der Last des Winterschnees begraben liegen, Menschen und Vieh in das Thal herabgezogen sind und in den zugeschneiten Hütten die Männer beim flackernden Kienspan Holzwaaren schnitzen, und die Weiber an der altmodischen Spindel zupfen, beginnt ihre Herrschaft. Dann steigen sie aus ihren Sommerpalästen, den unzugänglichen Höhen des Finsteraarhorns, der Jungfrau und ihren Nachbarn, tiefer herab in die niederen Gegenden, sammeln sich in den Schlünden und Tobeln der Felsen, scherzen mit der Wuth der Elemente, heulen grausame Zaubergesänge, zu welchen der Sturm aufspielt, und ergötzen sich mit lustigen Spielen und knabenhaftem Zeitvertreib. Oft stellen sie sich auf die vereisten Firsten und fordern höhnend einander heraus, necken sich in lächerlichen Entgegnungen und werfen einander Schneelasten: zu, ungeheure Lawinen, wie Knabenschneebälle, und hat ein Wurf den Gegner gesoffen,, daß er kopfüber von der Felskante stürzt, vergraben unter dem himmelanwirbelnden Schneegestöber und den losgerissenen Felstrümmern, dann jauchzt föhlich der ganze Chor der Zuschauer und klatscht in die Hände,



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daß es wiederhallt an den Thalwindungen wie Kanonendonner und Gewittersturm. Da sie aber hassen Alles was Leben hat, üben sie auch gern und häufig die Jagd. Mit lautem Halloh jagen sie dann pfeifend, klappernd und rasselnd hinter den scheuen Gemsen drein, über Höhen und Tiefen, Schlünde und Felsspitzen in wüthender Eile die geängstigten Thiere Seib end, und wenn sie sich lange genug an der windschnellen Flucht des Gewildes belustigt haben, so schleudern sie es zerschmettert hinab von den hohen Felskanten in die grausen Tiefen der Gletscherschlünde. Ihr größter Haß trifft aber die Menschen, Wehe daher dem Wanderer, der zu solcher Zeit sich in ihr Bereich wagt. Ihm droht der sichere Tod. Sie locken ihn durch schönes Wetter und hellen Sonnenschein, dann aber, wenn sie ihn von allen Seiten umgarnt, spiegeln sie ihm falsche Bilder in den Lüsten vor, führen ihn irre durch bekannte Gestalten der Berggipfel, die sie aus Nebel weben, oder um ihn mit dichten Wolken, fallen ihn an von allen Seiten mit wildem Schneegestöber und Hass ivetta und wenn sie sich sattsam geweidet an der Verzweiflung des Verirrten und seiner Todesangst, so lassen sie ihn verschmachten in den wüsten Tobeln, die sonst nie ein Sterblicher betritt, oder stürzen ihn in einen Abgrund, in dem man oft erst nach Jahren seine zerscheren Gebeine findet. Vor allen aber unter den Menschen hassen die bösen Geister der Gebirge den Bergmann und den Gräber nach Krystallen, welche das Innere ihres Besitzthums, die Berge, nach edlen Metallen durchwühlen und ihre Wohnungen, die Krystall höhlen, ihres schönsten Schmuckes, der Stralen *) berauben . Diese lassen sie bald in enge Spalten geklemmt, bald in Schachten und Höhlen, deren Eingang sie verschütten, unter den gräßlichsten Qualen einem langsamen Tod entgegen



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schmachten. Oft aber vereinigen sie sich auch zu gemeinschaftlichen Angriffen gegen die Menschen im Thale, indem sie ungeheuere Schneelasten, Felstrümmer und Eisberge auf ihre Wohnungen wälzen, Alles was lebt unter dem Schutte der Lawine begrabend. Der Mensch drängt jedoch diese bösen Geister son Jahr zu Jahr mehr zurück in das unwirthbare Gebirge, faßt Fuß in ihrem Reich, bezieht die Triften der mit feinem Vich und wirtschaftet da oben, als wären Sasa die Herren des Gebirges; darum zürnen die Geister unversöhnlich.

Dasselbe, was in der vorhergehenden Erläuterung hinsichtlich der Entwickelung der Sage vom Hauri aufgestellt wurde, gilt auch von den bösen Geistern des Gebirges. Wie dort die Phantasie der Alpenbewohner die erwärmenden und belebenden Einflüsse der Natur im Frühjahr und im Sommer einem wohlthätig wirkenden Wesen, zuschrieb, müssen die zur Winterzeit in ihr Dasein oft mit vernichtender Kraft eingreifenden Naturereignisse Aeuserungen der Macht böser, den Menschen feindlich gesinnter Dämonen sein — kurz, wie das Hauri die mildere Jahreszeit des Sommers repräsentirt, können wir in den bösen Geistern des Gebirges den personificirten Winter sehen. Aehnlich wie Tag und Nacht standen sich in allen mythischen Vorstellungen von jeher Sommer und Winter feindlich gegenüber. Sommer und Tag erfüllten die Menschen mit Freude, Winter und Nacht mit Angst und Schreien. Die Edda stellt Sommer und Winter als Riesen dar. "Sumar (Sommer) war der Sohn des Svâsudhr, welcher Name von svâs (carus, proprius, domesticus) herstammt: er ist ein seliger, freundlicher Mann, nach dem alles Frohe und Liebliche heißt (svâslegt, blîtt). Der Vater des Betr (Winters hingegen führt den Namen Vindlôni oder Vindsvatr (der windbringende, windkühle) und dessen Vater hieß Vâsadhr, der feuchte, nasse: ein grimmiges, kaltbrüstiges Geschlecht." (I. Grimm, Mythologie der Deutschen . S, 436.)
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