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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


5. Vom Hauri.


E. Vogt, im Gebirg und auf den Gletschern. S. 159.


i.

Ein guter Geist ist das Hauri, in seinem Wirken ähnlich dem Toggeli, aber mächtiger. Die schönsten Alpen sind sein Wohnsitz. Sein Lieblingsaufenthalt ist aber die Steinbergalp am südöstlichen Abhange des Hochgant, wo eine Stelle seinen Namen führt. ES liebt die Menschen und schützt sie vor dem wilden Treiben der bösen Geister der Gebirge. Wenn diese sich im Frühjahr mit dem schmelzenden Schnee zurückziehen, streift es über die Triften und Halden mit lauen Fittich dahin und lockt die Erstlingsblumen aus dem starren



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Boden und bereitet dem Hirten eine fröhliche Ankunft auf der Alp und Futter für seine Heerde. Und wenn dann die Glocken der Kühe läuten und die Schellen der Ziegen ersingen, dann hüpft es seinen Lieblingen entgegen, und kitzelt wohl zuweilen die Thiere, daß sie in muthwilligen Sätzen, aber ohne Schaden ;u nehmen, den Berg hinaufspringen. Es erleichtert dem Hirten die Last der schweren Lebensmittel und Geräthschaften, unter deren Bürde er keucht, und breitet einen leichten Duft über das Gebirge, daß ihn der ungewohnte Glanz der Strahlen nicht blende. Dann geht es wieder den Thieren voran und zeigt ihnen die besten Weideplätze , wo Brändli wächst und Alpengarbe und warnt sie vor schädlichen Kräutern. Es will aber seine Wohlthaten im Stillen thun und wird böse, wenn man von ihm spricht, selbst wenn man es lobt, und wer solches mißachtet, von dem zieht es seine Hand ab, dessen Kühe fressen schlechte Kräuter, geben wenig Milch und werden mager ; dessen Ziegen klettern an unzugängliche Orte, wo sie nicht vor noch rückwärts können, und der ungehorsame Hirte muß Tag und Nacht in den Bergen umherstreichen, sie zu suchen und auf halsbrechendem Wege sie herabtragen in wegsamere Gegenden. Deshalb spricht der Oberländer nicht gern vom Hauri, denn er ist seines Schutzes benöthigt. Im Winter hört des Hauri Sorge für das Vieh auf den Alpen auf. Dann wacht es über den verderblichen Anschlägen der Geister des Gebirges, welche die Menschen bedrohen, und warnt diese, da es nicht mächtig genug ist, sie selbstthätig gegen die vereinte Macht der Kobolde zu schützen. Drum hört man, wenn die Kobolde eine Lawine zusammengescharrt haben, um sie auf die Wohnungen hinabzuschleudern, eine klagende Stimme in den Lüften, welche die Bedrohten warnt. Oft ruft die Stimme den Namen, oft ist es nur ein eigenthümlicher wimmernder Laut, der in den Lüften stöhnt und von der Stelle



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her sich vernehmen läßt, von welcher die Gefahr droht. Und wenn er sie auch noch nie gehört hat, so erkennt der Bedrohte doch gleich, daß es keine menschliche Stimme ist, die ihn ruft, kein menschlicher Klageton, fonda ein Laut, der nicht seines Gleichen angehört. Zaudert er dennoch sich zu retten, so warnt das Hauri zum zweiten Male. Zum dritten Male aber ist es nicht mehr der vorherige Laut, Erd und Himmel scheinen dann Wehe schreien, ein heulendes Gewimmer bricht aus allen Schlünden, aus allen Thälern des Gebirgs hervor, die ganze Luft ächzt in ängstlicher Klage, wie ein Gewitterschein fleucht das Hauri über die bedrohte Stelle — und ihm unmittelbar folgt das Graus der Zerstörung, ganze Berge von Schnee wälzen sich dumpf donnernd von den Höhen herab und hohnlachend stürzen sich, auf losgerissenen Felstrümmern reitend, die sie zu wilden Sätzen anspornen, die Geister des Gebirges auf die Stätte der Verwüstung.


IL

Als vor einigen Jahren eine Lawine das Grimselspital verschüttete, da hörte der Knecht, der einsam den Winter über das Haus hütet, das Hauri. Klagend rief es vom Juchliberge her; — die Hunde sprangen unruhig auf, öffneten sich selbst die Thüren und flüchteten hinaus in das Freie. Der Knecht im Glauben, ein Wanderer rufe um Hülfe, eilte ebenfalls vor die Thüre. Draußen schien hell und freundlich die Sonne, um den Juchliberg aber schwebte es in der Luft, er konnte nicht recht deutlich sehen, was. Kein Wanderer zeigte sich in der Nähe noch Ferne. Er rief die Hunde, die ziellos umherschweiften und kehrte mit ihnen in die Stube zu seiner Arbeit. Da erschallte der Ton zum zweiten Male. Abermals suchte erden vermeintlichen Wanderer, der seine Hülfe angerufen, abermals vergebens; am Juchliberge



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aber flimmerte ein röthlicher Schein. Er kehrte wieder in das Haus. Erst als der Himmel über ihn mit schrecklichem Getöse zusammenzubrechen schien, erst dann erkannte er, aber zu spät, wer ihm gerufen. Wie Strohhalmen waren die Sparren des Daches geknickt und unermeßliche Erdlasten vor die Thüre gewälzt, so daß jeder Ausgang gesperrt schien. die Festigkeit der Mauern hatte das Haus vor gänzlicher Zerstörung, ihn vor augenblicklichem Tode gewahrt. Allein im Fliehen hatte das Hauri den Deckel des Kamins aufgeklappt und ihm so einen Rettungsweg eröffne. Er kletterte durch den Schornstein an das Tageslicht, als die Kobolde ihn begraben glaubend, ihren Triumph auf dem Aargletscher feierten, zog die Hunde nach und brachte die Mahr in das Thal. Erkennt jetzt die Stimme des Hauri, aber er erzählt die Geschichte nicht gern, denn er möchte seine Gunst, die sich so offenbar gezeigt nicht verscherzen.

Unstreitig gehört das Hauri zu denjenigen Sagenstoffen, deren Bildungsmotive sich auf gewisse Naturerscheinungen gründen und deren Personificirung nach heidnischer Anschauungsweise einfachen Gemüthern heute noch mehr Reiz gewährt, als die nackte und kalte Darlegung ihrer wirklichen Ursachen. Das Blumen und Blüthen hervorlockende und Menschen und Thiere neu mit Kräften belebende Hauri ist die personificirte warme Jahreszeit, der Sommer, welcher den Winter bekämpft, und in dieser Beziehung finden sich zwischen ihm und gewissen heidnischen Gottheiten, welchen eine gleiche Aufgabe gestellt war, mancherlei verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte. So repräsentirte die nordische Gottheit Thor ebenfalls den Sommer, der mit seinem Hammer (Donnerkeil) die Frostriesen besiegte, und der durch alle Zeit schöpferisch waltende Odin die zwölf Monate des Jahres, nach denen er je nach ihrer verschiedenen Aeußerungsweise auch zwölf verschiedene Namen führte. Als Sieger über die Dämone der Finsterniß, die er im Frühjahr bekämpfte, nannte man ihn Herian (Heerführer Aehnlich aber dem Verhältniß, in welchem Odin zu den Dämonen der Finsterniß steht, ist die Stellung, welche dem Hauri gegenüber den bösen Geistern des Gebirges angewiesen ist, deren Herrschaft im Winter beginnt und gegen deren Treiben es den Menschen schützend



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und warnend zur Seite steht, womit die Verwandtschaft zwischen diesen zwei Wesen bestätigt wäre.
Copyright: arpa, 2015.

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