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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


Kanton Bern.

1. Sintram und Baltram, die Drachentödter.


Jac. Man. Oestreichische Historien.


Kirchen, mund. subterr. L. VIII. p. 94.


Cysat, Beschreibung des Vierwaldstätter See's. S. 175.


Scheuchzer, Beschreib. der Naturgeschichte des Schweizerlandes. Bd. 1. S. 227.


Conr. Justingers berner Chronik, herausg. von Wyß und Stierlin 1819. S. 8.

Ohnweit der Stadt Bern liegt die Stadt Burgdorf. Ihre Gründer waren die Brüder Sintram und Balsam, zwei mächtige und tapfere Herzöge von Lentzburg.

Da kam es, daß auf dem neben der Stadt Burgdorf liegenden Berg ein ungeheurer Drache einst sein Lager aufgeschlagen hatte, und ringsum in der Gegend unter Leuten und Vich einen merklichen Schaden anrichtete. Als nun einmal beide Brüder auf der Jagd die Klüfte der Berge durchstreiften, kamen sie auch an die Höhle, in der das Ungethüm hauste. Kaum hatte dieses die Ritter wahrgenommen, als es sich auch sofort mit wilder Hast auf sie stürzte und Balsam , den jüngeren der Brüder, bei lebendigem Leibe verschlang. Sintram setzte aber dem Ungeheuer gar heftig mit Schwert und Lan zu, so daß es ihm gelang, dasselbe zu tödten, worauf er ihm den Bauch aufschlitzte, in welchem sich sein Bruder noch lebend vorfand.



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An dem Orte wo die beiden Brüder das wunderbare Abenteuer bestanden, erbauten sie ihm um Gedächtniß eine Kapelle, die sie der heiligen Margaretha weihten. In dieser Kapelle, die sich noch heutigen Tages vorfindet, kann man die Abbildung *) jenes merkwürdigen Ereignisses sehen.

Als Zeitalter dieser Sage geben die meisten Schriftsteller das Jahr 712 an. Conrad Justinger erwähnt sie mit kurzen Worten wie folgt: "Die Veste zu Burgdorf ist eine gar alte Stifte und vor viel Jaren gebuwen von zweyen Gebrüdern; hieß einer Sintram, der andere Baltram, und warent Herzogen von Lentzburg, die in dem großen Loche, so bei der Veste oben in dem Felsen ist, einen großen Wurm und Tracken zu Tode erflugen." Nach Wagner hielten sich in diesem Loche zwei Drachen auf. Siehe seine Historia nat. Helv. curiosa p. 246,Der Glaube an die Existenz der Drachen oder Lindwürmer, der den Voreltern fast aller Völker gemein war, verpflanzte sich aus dem heidnischen Alterthum auf das Mittelalter, und findet sich noch heute hier und da vor. Gewöhnlich malt sie der Volksglaube als ungeheure große Schlangen mit Schuppenpanzern, Krokodilsrachen, mächtigen Fledermausflügeln und Löwen- oder Vogelklauen. Fällt dieser Schmuck der Einbildungskraft, so bleibt uns das Bild einer gewöhnlichen Schlange oder eines Krokodils übrig. Die bedeutende Größe, in der man diese Thiere noch heute im Innern von Amerika und Afrika antrifft (Schlangen von 50 Fuß und Krokodile von 26 Fuß sind nichts Seltenes), hat wohl den Glauben an diese phantastischen Wesen zuerst veranlaßt. In der erwähnten natürlichen Form und Gestalt mögen früherhin Drachen auch in den schweizerischen Bergen existirt haben, so daß man der Sintram- und Baltramsage gleich allen andern Sagen dieser Gattung, an denen die Mythologie der Alpen sehr reich ist, eine naturhistorische Basis unterlegen kann, wenn man in ihnen mehr sehen will, als eine Allegorie, zur Ehre der Helden erdacht, die sie gewöhnlich verherrlichen. Ein näheres Eingehen auf den Drachenglauben anderer Völker mag der Analogie wegen hier am Platze sein.Die merkwürdigsten mythologischen Drachengebilde finden wir bei den Griechen des Alterthums. Wer kennt nicht den lernäischen Drachen, welcher von Herkules getödtet ward. Er hatte mehrere Köpfe, von denen



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der eine unsterblich war. Sobald Herkules diesen Kopf abschlug, wuchsen dafür sofort zwei andere wieder, so daß seine Tödtung erst gelang, als Jolaus, der Gefährte des Hercules, so lange mit Feuerbränden die blutende Wunde berührt hatte, bis keiner mehr aus ihr herauswuchs; den unsterblichen Kopf bedeckte Herkules mit einem Stein. Ein anderer, ebenfalls von Hercules getödteter Drache war der hesperische mit hundert Köpfen. Er schlief nie, weßhalb er zum Wächter der Hesperiden-Gärten bestellt war. Ein dritter war der von der Medea (eine berühmte Zauberin, Tochter des Stetes und der Hecate, Schwester der Circe) getödtete colchische Drache, welchen der gräuliche Typhon (ein Ungeheuer der Urzeit, bald als verderblicher Sturmwind, bald als vulcanischer, Flammen speiender Erdriese aufgefaßt) mit der schönen Echidna zeugte, welche bis zum Unterleibe die reizendste Jungfrau war, von da aber in einem Schlangenleib endigte. Ihn erhielt Äetes, der König von Griechenland, vom Mars zum Geschenk, damit er das goldene Vlies bewache, das nach seiner Tödtung dem Jason als gewünschte Siegesbeute zufiel. Ein vierter Drache, der aus der griechischen Mythologie der Erwähnung werth ist, war noch Python, der deucalionische Drache, der aus dem Schlamme der deucalionischen Fluth erwuchs. Er bewachte das Orakel der Themis am castalischen Ouell am Parnassus-Gebirge und wurde von Apollo getödtet. Zu seinem Gedächtniß, da er göttlichen Ursprungs war, stiftete dieser Gott die pythischen Spiele. — Das Wächteramt, mit dem die griechische Mythologie ihre Drachengebilde bekleidet, finden wir in der mythologischen Vorstellung fast aller Völker des heidnischen Alterthums wieder. Wo wir hinblicken, sind sie scheuslich gestaltete Ungeheuer, mit welchen kühne Helden abenteuerliche Kämpfe bestehen, deren Siegespreis die von ihnen gehüteten Schätze sind. Daß man sie aber bei den alten Griechen und Römern, doch dann mehr in natürlicherer Schlangengestalt, auch für heilbringende Thiere hielt, lesen wir bei Aelianus, de animalibus L. IL c. II, Festus l,. IV., Macrobius Saturn. L. l. c. XX. und Andern. Als solche waren sie Apollo und Aesculap geweiht- Auch bei den alten Preußen und Lithauern galten die Schlangen als heilige Thiere. Ihrem Gott Potrimpos (die zweite Person in der nordischen Trias : Perkunos, Potrimpos und Pikollos) ernährten diese Volksstämme in einer irdenen Urne eine große Schlange, welche mit Milch gefüttert wurde und immer unter Aehren verborgen war, während den Wenden ihr Zirnitra (vollst. Czerni tracica : schwarzer Drache) höher als alle Götter galt. Ihrer Standarte eingefügt, bereitete er Untergang ihren Feinden. Aehnlich sind in der Merlinsage zwei Drachen als Palladium Brittaniens angeführt, die es, in den tiefsten Tiefen der Erde eingekerkert, gegen die Invasion fremder Eroberer schützten. An dem Tage aber, wo sie aus ihrem Kerker befreit, sollte das Palladium seine Kraft verlieren, eine Prophezeiung,



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die, als auf Vortigers Geheiß ihnen ihr unterirdisches Gefängniß geöffnet wurde, mit dem Einfall der Sachsen in Brittannien in Erfüllung ging. So erzählt auch Colin de Plancy von dem großen goldenen Drachen, welcher zur Zeit, als Konstantinopel noch christlich war, den Dom der Georgskirche schmückte: eine alte Ueberlieferung melde, daß jede Stadt, über welche dieser Talismann seine Flügel ausbreite, gedeihen und niemals durch den Feind genommen werde. Dies habe sich, nachdem im Jahr 1292 jener goldene Drache einer Reparatur wegen von dem Dome herunter genommen worden sei, mit der im Jahr 1204 erfolgten Eroberung durch Balduin von Flandern vollständig bestätigt, und später von den Flamändern mit sich geführt, habe derselbe, erst nach Biervliet und dann nach Brügge gebracht, die gleiche talismanische Kraft ausgeübt. Aus der Edda sei noch Fâfnir erwähnt. Er lag in der Gnitaheide auf Gold, das daher Fâfnis boeli (des Fafnir Lager) hieß. Er spie Feuer und Gift, war aber mehr von Schlangennatur, da er nur zu kriechen, nicht zu fliegen vermochte.Der Drachenglaube des Mittelalters weicht von der mythologischen Vorstellung, die sich das heidnische Alterthum von diesen Wesen machte, nur wenig ab. Sie blieben wie früher die Hüter von Schätzen in gleich schrecklicher Gestalt, ein Aberglaube, der heutigen Tages noch nicht gänzlich ausgerottet So erzählt sich nach Stöber (Sagen des Elsasses S. 3) das Volk in den Bergen dieses Landstrichs noch immer von Schätze hütenden Drachen. "Im Dorfe Riedheim bei Buchsweiler trägt ein fliegender Drache Getreide und andere Früchte von einem Speicher zum andern. In der benachbarten Freigrafschaft, Franche-comté, haust die vouivre, , ein Drache mit einem einzigen, aus einem Karfunkel (escarboucle) gebildeten Auge; sie legt dasselbe manchmal ab, und wer es dann erhaschen kann, ohne das es die vouivre bemerkt, dem fallen große Reichthümer zu. Meistens aber finden die Unternehmer des kecken Versuches einen elenden Tod." — Im Mittelalter findet man sie auch oftmals als Wächter von Brunnen. Dieß, so wie die verschiedenen Sagen von den heilsamen Kräften der Drachensteine, von denen bei der luzerner Drachenstein-sage die Rede sein wird, sprechen dafür, daß man sie auch in diesem Zeitalter für heilbringende Thiere hielt. Was aber den schweizerischen Sagenkreis speciell betrifft, so finden sie sich in diesem als Hüter von Reichthümern und Schätzen nur selten vor. Dieses Amt ist hier größtentheils gespenstischen und fabelhaften Wesen anderer Art übertragen, deren Bekanntschaft wir späterhin machen werden.Zum Schluß möchte ich noch der Verehrung gedenken, welche die Chinesen den Drachen bezeigen. Die Kleider des Kaisers von China und seiner hohen Beamten sind mit Stickereien bedeckt, die solche Thiere vorstellen. Ebenso sind die chinesischen Schiffe mit aus Holz geschnittenen Drachen verziert, was jedoch nur auf ausdrückliche Erlaubniß des Kaisers



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geschehen darf; dagegen finden wir in alten rabbinischen Schriften, daß den Juden verboten war, die Gestalt von Drachen bildlich darzustellen. Wahrscheinlich wegen der im alten Testament veränderten Bedeutung des Wortes, das hier mehr symbolisch den Inbegriff aller Abscheulichkeit, wohl gar den Teufel selbst bezeichnet. Von welcher Art der Drache gewesen, von dem der Prophet Daniel erzählt, ist schwer zu enträthseln.
Copyright: arpa, 2015.

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