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ARNOLD BUCHLI

Schweizer Legenden

GUTE SCHRIFTEN ZÜRICH 1967


ST. NIKOLAUS VON TSCHAMUT

Wenig unterhalb des letzten Hauses von Tschamut lehnt sich hart an der Talstraße nach Selva eine alte Kapelle gegen den Felshang. Jetzt hat man sie hübsch hergerichtet einem Gelübde zufolge, das ein junger Mann getan, als er droben auf Meighels in eine Gletscherspalte stürzte. Da unten zwischen den Eiswänden



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gelobte er, das zerfallene Kirchlein wieder zu Ehren bringen zu lassen, wenn er aus der furchtbaren Gefahr errettet würde. Und er wurde gerettet und die Kapelle zu St. Nikolaus erneuert.

Dabei ist leider eine uralte hölzerne Bildtafel verloren gegangen. Darauf war ein Begebnis festgehalten, das die Erinnerung des Volkes bewahrt.

Einmal gegen den Frühling hin waren zwei alte Leutchen von Selva, Mann und Frau, damit beschäftigt, auf einem Handschlitten Dünger zu führen auf ihre Wiese in Val Martin hinter den Hügeln von Crestas. Der Boden war noch gefroren, der Wieshang aber sehr abschüssig, und mit einmal sausten sie auf ihrem Schlitten, den sie nicht mehr zu lenken vermochten, abwärts, die Lehne hinunter gegen den Rhein. Schon sahen sie dem tödlichen Absturz entgegen, als das Gefährt plötzlich auf dem Felsen, der sich dort über dem tief unten dahinschäumenden Fluß erhebt, stehen blieb, wie von einer starken Hand aufgehalten. Und zugleich erblickten die beiden zitternden Alten oben auf dem Hügel den heiligen Nikolaus, der seine Rechte mit dem Stabe über sie ausstreckte.

Sie blieben unverletzt, die guten, alten Leutchen. Nicht einen Kratzen, nicht die geringste Schürfung trugen sie davon. Die Frau hatte in der höchsten Not ein Stoßgebet um Hilfe an den Schutzpatron der Kapelle von Tschamut gerichtet.

Das Ereignis war auf eine einfache Holztafel ohne Rahmen gemalt und diese in der Kapelle aufgehängt worden zum Gedächtnis der wunderbaren Errettung vom sicheren Tode. Die neue Zeit jedoch hat die rührende, ungelenke Sprache der altertümlichen Malerei nicht mehr verstanden und sie beseitigt.

Wie manches Mal im Laufe der Jahrhunderte das Dörflein Selva zwischen seinen Bergen von der Lawine heimgesucht worden ist, wer wüßte das zu sagen? Darum ging man im Winter nicht gerne auf der Straße von Rueras aufwärts, wenn es nicht sein mußte.

Einmal war aber ein Bauer von Tschamut doch genötigt, zur Winterzeit sich hinunter nach Selva zu begeben, wo er mehrere



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Tage zu tun hatte. Die Seinen waren indessen in großer Angst um ihn, da er länger ausblieb, als sie erwartet hatten. Denn man fürchtete die Lawine.

Jetzt machte er sich eines Morgens auf den Weg. Er schlug aber den steileren Fußpfad ein, der unter den Hügeln von Crestas entlang führt; der war weniger lawinengefährlich als die Landstraße über Carmiola. Glücklich kam er bis zur Kapelle unterhalb Tschamut und ging hinein, um ein Dankgebet zu sprechen dafür, daß er auf seinem Heimweg wohlbehalten so weit gelangt war.

Als er wieder aufstehen wollte, wurde es plötzlich ganz finster in dem Kirchlein. Der Mann weiß sogleich, was das bedeutet: Nun ist die Lawine gekommen! Und er ist nicht verschüttet worden, weil er in die Kapelle getreten, deren Mauern ihm Schutz geboten. Wäre er vorbeigegangen, so hätte ihn die Lawine zugedeckt.

Wie viel inniger wird er jetzt St. Nikolaus gedankt haben!


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