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ARNOLD BUCHLI

Schweizer Legenden

GUTE SCHRIFTEN ZÜRICH 1967


DES KÖNIGS TRAUM

Zu Jerusalem war der erste christliche König, Balduin von Flandern, vom Aussatze befallen worden. Als keine Arznei und kein frommes Werk mehr zu helfen vermochten, stiftete er dem heiligen Lazarus einen Orden.

Da träumte ihm einst, er befinde sich allein in dem neuerbauten Gotteshause, den Herrn der Heerscharen um seine endliche Genesung anzuflehen. Plötzlich stand der Heilige mit einem grünen Kreuze in der Hand vor ihm und winkte, er möchte ihm folgen. Darauf führte er ihn über einen hohen Berg in ein rauhes Land und darin zu einem kleinen Frauenkloster, dessen Insassen



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ihn gar freundlich empfingen. Sie begleiteten ihn in ihre Kirche und baten Gott die ganze Nacht, daß er das Leiden von dem Könige nehme. Während des Gebetes wurde ihm Linderung seiner Schmerzen. Er sah, wie seine Haut sich erneuerte, und da er erwachte, setzte er festes Vertrauen in seine Heilung.

Voll Begierde, das Land und das Klösterlein kennen zu lernen, wo man im Traume für ihn Genesung erbeten hatte, befahl er, alle Pilger zu Jerusalem danach auszufragen. Unter diesen war auch ein Urner, ein Edelmann aus dem Geschlechte derer von Beroldingen. Als dieser vernahm, daß der König nach einem Lande mit schrecklich hohen Gebirgen, die selbst im Sommer mit Schnee bedeckt seien, forsche, ließ er sich zu ihm führen.

Balduin beschrieb ihm die Reise, die er in seinem Traume gemacht, nannte den schmalen Pfad, der den Felsen entlang und über eine Brücke führe, unter welcher die Wasser zu Staub zerschmettert gen Himmel steigen und gewaltige Steinblöcke den Weg zu versperren drohen. Da brach der Beroldinger in einen Freudenruf aus: «Herr, ich zweifle nicht, das ist der St. Gotthardsberg, dort ist mein Vaterland!» Und wie der König weiter das schmale Tal schilderte, welches zwischen den mächtigen Felsenhöhen liege und die Dörfer beschrieb, durch die er gekommen sei, da rief der Ritter immer freudiger: «Herr, das ist das Urnerland, meine Heimat!» Und als Balduin fortfuhr zu erzählen, wie ihn der Weg zu einer Burg und darauf zu einem Kloster geführt habe, das an einem See zwischen hohen Gebirgen gelegen, da war des Kreuzfahrers Erstaunen und Jubel noch größer, und er fragte mit Eifer: «Herr, das ist Attinghusen, das ist Seedorf, dort bin ich zu Hause! Habt Ihr denn nicht auch etliche geistliche Frauen gesehen? » Ihm antwortete der König: «Mich empfing eine stattliche Frau mit bräunlicher Hautfarbe, großen, schwarzen Augen und einer gebogenen Nase. Neben ihr schritt eine junge Nonne von seltener Schönheit. Aber deren linke Hand verunzierte ein rotes Mal.» Bei diesen Worten des Königs stürzten dem Ritter Tränen aus den Augen. «0 Herr», sagte er, «das ist meine Tochter Hedwig, und die stattliche Frau



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ist die Äbtissin, eine geborene von Rhäzüns. Zweifelt nicht mehr, das ist Seedorf in meinem lieben Heimatland!» Da fielen der König und alle seine Begleiter auf die Knie und dankten Gott, denn nun waren sie gewiß, daß der Ort gefunden sei, wo Balduin Heilung werde.

Ohne Verzug brach er auf und kam in Begleitung des Ritters von Beroldingen nach langer Meerfahrt und Reise über das wilde Gebirge nach dem Lande Uri. In Seedorf empfing ihn der ganze Konvent des Klosters, so wie er es im Traume gesehen hatte. Und nachdem die Frauen die Nacht hindurch für ihn gebetet und Psalmen gesungen, fing seine verdorbene Haut zu heilen an, und er genas in kurzer Zeit.

Er bat die Nonnen, sie möchten doch die Regel des heiligen Lazarus annehmen, und gründete ein Haus und ein großes Spital für die Ritter des Ordens. Darauf verließ er das Kloster, um sich von Kaiser Heinrich die Freiheiten und Rechte für seine neue Stiftung bestätigen zu lassen.

Auf dem Wege dahin kam er unweit von Zürich an den Ort, wo später das Klösterlein Gfenn stand. Dort hielt sein Pferd an und wollte nicht weiter, weder mit Lieb, noch mit Gewalt. Das nahm der König für ein Zeichen, daß er auch hier ein Kloster gründen solle. Darum schickte er nach Seedorf, damit zwei Frauen kämen, den Bau zu überwachen. Als er vom kaiserlichen Hoflager zurückkehrte, um wieder nach Jerusalem zu fahren, war dieser schon im Gange, und mit Freuden vernahm er, daß ihn die Edeln in der Umgebung mit reichen Spenden förderten.


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