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VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

II. BAND

DAS UNGEHEUERLICHE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA


33. Der Sohn der Teriel

Ein Vater hatte vier Töchter. Eines Tages wollte er auf die Reise gehen, da rief er sie alle vier zusammen und sagte: "Meine Kinder, ich werde eine Wanderung machen, die wird mich einige Zeit von Hause fernhalten. Ihr werdet mich längere Zeit hindurch nicht sehen; dafür möchte ich euch aber, wenn ich zurückkomme, eine rechte Freude bereiten, und darum sage mir eine jede, was sie sich von mir wünscht." Die erste Tochter wünschte sich ein Kleid von besonderer Farbe, die zweite wünschte sich ein Kleid von anderer Farbe, und die dritte wünschte sich ein Kleid von wiederum abweichender Farbe.

Die vierte Tochter sprach keinen Wunsch aus. Der Vater sagte:



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"So sprich du doch auch und sage mir, was du dir wünschst." Die vierte Tochter sagte: "Mein Vater, das, was ich mir wünsche, ist zu schwer zu erlangen." Der Vater sagte: "Du kannst es doch aber sagen." Die Jüngste sagte: "Es ist zu schwer." Der Vater sagte: "Sprich doch!" Die Jüngste sagte: "Ich wünsche mir eine Taube, die allein auf einer Wiese tanzt." Der Vater wanderte von dannen.

Der Vater war lange Zeit auf Reisen. Der Vater kam an viele Orte. Er kaufte das Kleid, das die erste sich gewünscht hatte, das Kleid nach dem Wunsche der zweiten, das Kleid, das die dritte erbeten hatte. Aber eine Taube, die allein auf einer Wiese tanzte, konnte er nirgends finden. Und wo er auch nach einer solchen Taube fragte, nirgends konnte man ihm Auskunft geben, wo es eine solche Taube, die allein auf einer Wiese tanzte, gäbe.

Der Vater war mit seinen Angelegenheiten in Ordnung, und der Geschäfte wegen hätte er nach Hause reisen können, denn es war alles auf das beste geglückt. Der Vater hatte aber immer noch die stille Hoffnung, daß ihm irgend jemand in größerer Entfernung eine Auskunft über eine Taube, die allein auf einer Wiese tanzt, würde geben können. Und deshalb wanderte er noch ein wenig weiter über sein eigentliches äußerstes Reiseziel hinweg. Er hatte sich vorgenommen, noch einen Tagesmarsch weit bis zur Grenze eines großen Waldes zu gehen und dann heimzukehren. Er ging über eine Wiese auf den Wald zu. Er sagte: "Dort am Walde werde ich umkehren." In dem Augenblick, als er das sagte, sah er vor sich auf der Wiese eine Taube, die ganz von allein tanzte, und es schien fast so, als ob außer ihm, dem Vater der vier Töchter, und der Taube, überhaupt niemand in der Gegend wäre.

Der Vater sah die Taube. Der Vater schlich an die Taube heran. Der Vater sprang auf die Taube und suchte die Taube zu erhaschen. Die Taube entschlüpfte aber, flog zu einer andern Stelle und tanzte da weiter. Gleichzeitig sprach aber eine laute Stimme zu dem Vater die Worte: "Laß das!" Der Vater sprang dennoch hinter der Taube her und suchte sie zu greifen. Die Stimme aus der Erde sagte aber wieder und diesmal sehr eindringlich: "Laß das!" Der Vater war tief erschrocken, zumal das zweitemal die Stimme aus der Erde noch viel lauter war als das erstemal.

Der Vater sagte in seinem Schrecken: "Ich beschwöre dich bei Gott, mir zu sagen, wer da aus der Erde spricht!" Die Stimme antwortete: "Asphor'ulehóa!" (Dies ist der Name des Sohnes einer Teriel, also eines menschenfressenden, menschenähnlichen, weiblichen



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Wesens.) Der Vater war erschrocken. Aber der Wunsch, die Bitte seiner jüngsten Tochter zu erfüllen, war stärker als die Furcht. Der Vater ging doch wieder einige Schritte hinter der tanzenden Taube her. Die Stimme sagte: "Laß das!" Der Vater sagte: "Sei freundlich und gewähre mir, daß ich die Taube dir abkaufe. Eine solche von allein tanzende Taube ist der Lieblingswunsch meiner jüngsten Tochter." Die Stimme sagte: "Ich verkaufe meine Taube nicht. Aber gibst du mir für die Taube deine Tochter zur Frau, so soll mir das recht sein!"

Der Vater erschrak noch mehr und sagte: "So sollte ich meine Tochter dem Sohne einer Teriel geben?! So sollte ich meine Tochter in die Gefahr bringen, gefressen zu werden?!" Asphor'ulehóa sagte: "Wenn das deine einzige Befürchtung ist, so schwöre ich dir, daß deine Tochter nicht gefressen werden soll. Sie soll, solange sie folgsam ist, es bei mir besser haben als bei irgendeinem Menschen." Der Vater hörte die Stimme. Der Vater wußte, daß Asphor'ulehóa große Macht hatte. Der Vater sah die tanzende Taube. Der Vater dachte an den Wunsch seiner Tochter. Der Vater sagte: "So gib mir die Taube. Sage mir aber, in welcher Gestalt du kommen wirst, um meine Tochter zu holen."

Asphor'ulehöa sagte aus der Erde: "Ich werde eines Tages als Kamel kommen. Sage deiner Tochter nur, daß sie, wenn das Kamel kommt, mit der tanzenden Taube auf dessen Rücken steigen soll, weil das ihr für das Leben Segen bringen würde." Der Vater versprach es. Der Vater konnte nun die Taube ohne weiteres greifen. Er nahm sie und kehrte mit allen für seine Töchter bestimmten Geschenken heim. Die Mädchen waren über die Rückkehr des Vaters und über die schönen Geschenke sehr glücklich. Am erfreutesten war die Jüngste, die sich von ihrer Taube nicht mehr trennte.

Kurze Zeit nach seiner Heimkehr erkrankte der Vater und rief seine vier Töchter. Er sagte: "Eines Tages wird ein Kamel kommen. Es wird euch nur Glück bringen, wenn ihr, die Älteste beginnend, über den Rücken dieses Kamels steigen werdet. Du, meine Jüngste, sollst die Letzte sein, die dies tut. Nimm deine Taube mit dir. Versprecht mir, daß ihr danach handeln werdet!" Die Töchter versprachen, die Worte des Vaters nicht außer acht lassen zu wollen. Dann starb der Vater.



***
Eines Tages kam das Kamel. Das Kamel legte sich sogleich vor ihrem Gehöft nieder, so daß die Mädchen erkannten, daß es das



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Kamel war, von dem der Vater gesprochen hatte. Die Älteste ging hinaus, um das zu tun, was ihr Glück bringen sollte. Sie bestieg das Tier von der einen Seite. Das Kamel blieb gelassen liegen. Sie stieg nach der andern Seite wieder herunter. Die Zweite folgte. Das Kamel rührte sich nicht. Die Dritte stieg hinauf und herunter, und das Kamel lag schier unbeweglich da. Die Vierte kam mit ihrer Taube heran und stieg hinauf. Kaum saß die Jüngste auf dem Rücken des Kamels, so sprang das Tier auf und lief mit ihr davon.

Das Kamel lief weit, weit fort und hielt nicht eher an, als bis es vor einem großen, sehr schönen Gehöft angekommen war. Vor dem Gehöft stand das Kamel still, legte sich nieder und gab dem Mädchen so ein Zeichen, abzusteigen. Das Mädchen stieg ab, trat mit seiner Taube in das Gehöft und fand, daß alles sehr wohl vorbereitet für sie sei, daß aber kein Mensch in der Nähe war. In dem Gehöft war alles vorhanden, was für das Leben notwendig war, und so richtete es sich das Mädchen ein.

Abends hatte das Mädchen noch Licht brennen. Es klopfte und eine Stimme sprach: "Lösche das Licht aus!" Das Mädchen löschte das Licht aus. Die Tür ward geöffnet. Es kam in der Dunkelheit ein Wesen herein, das das Mädchen nicht erkennen konnte und legte sich auf das Lager neben sie, um gleich darauf einzuschlafen. Als das Mädchen morgens erwachte, war der Schlafgenosse wieder weggegangen und hatte keinerlei Spur hinterlassen, woran man hätte erkennen können, ob es ein Mensch oder ein Kamel oder sonst ein Wesen gewesen sei. Das Gleiche wiederholte sich am andern Tage und ebenso am dritten und vierten und immer wieder, und die jüngste der vier Töchter hatte nach Monaten noch keine Ahnung, wer es sein könne, der mit ihr nachts das Lager teile.

Die drei ältesten Schwestern suchten lange Zeit, wo wohl ihre Jüngste geblieben sei, und soviel sie auch nach dem Hause Asphor'ulehóas fragten, so konnte ihnen doch kein Mensch Auskunft geben. Eines Tages gingen aber zwei der Schwestern weit über das Land und kamen so zu dem schönen Gehöft der jüngsten Schwester, die ihnen bereitwillig alle Räume öffnete und alle Schätze zeigte. Die älteren Schwestern sagten: "Wie ergeht es dir nun also?" Die Jüngste sagte: "Es geht mir sehr gut. Asphor'ulehóa ist sehr gut zu mir. Nur bekomme ich ihn nie zu sehen. Solange ich hier wohne, wird mir allabendlich gesagt, ich solle das Licht auslöschen, und erst dann betritt mein Gatte den Raum. Wenn ich am andern Morgen aber erwache, so ist er regelmäßig schon wieder fortgegangen."



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Die Schwestern sagten: "Sei nicht töricht, sondern vergewissere dich doch einmal, was für ein schreckliches Ungeheuer dein Mann und der Spender aller dieser schönen Schätze ist. Du brauchst nachts nur einmal dem Befehle nicht zu gehorchen. Lösche das Licht nicht aus, sondern decke es mit einem Topfe zu. Wenn das fremdartige Wesen dann neben dir schläft, was du an den Atemzügen hören kannst, so nimm den Topf fort, und dann siehst du das Geschöpf einmal bei Licht. Dann wirst du ja wissen, an was für ein Ungeheuer du gekommen bist."

Nachdem die älteren Schwestern diesen Rat gegeben hatten, verließen sie ihre Schwester wieder. Die jüngste Schwester fühlte sich aber in dem großen Gehöft noch einsamer als sonst. Die erste Nacht verging wie alle bisherigen. Die junge Frau blies das Licht aus. Als sie am folgenden Morgen erwachte, sagte sie: "Nun ist mein Gatte schon wieder fort, ohne daß ich eine Spur von ihm sehen kann. Wahrlich, meine beiden Schwestern haben recht; ich muß mich einmal überzeugen, wie er beschaffen ist; ich werde verfahren, wie meine Schwestern es mir geraten haben." Die junge Frau stellte sich dann neben den Ölleuchter einen Topf.

Das Licht der jungen Frau brannte abends noch, als es wie stets klopfte und die Stimme von draußen sprach: "Lösche das Licht aus." Die junge Frau löschte das Licht nicht aus, sondern sie stülpte einen Topf darüber. Asphor'ulehóa kam im Dunkeln herein. Er streckte sich auf sein Lager. Er schlief ein. Die junge Frau hörte an den regelmäßigen Atemzügen, daß ihr Gatte schlief. Vorsichtig hob sie den Topf in die Höhe und beleuchtete ihren Gatten.

Die junge Frau erschrak, so schön war Asphor'ulehóa. Noch nie hatte sie einen so schönen Jüngling gesehen. Seine ganze Gestalt war aber bedeckt mit ganz kleinen Kinderchen (ein Mann erklärt, es wären Malaika gewesen, also arabisch Engel); sie saßen immer zu zweien zusammen und waren sehr emsig beschäftigt mit ihren kleinen Händen. Die junge Frau erschrak über die Schönheit ihres Gatten und über die Emsigkeit der kleinen Wesen. Dann fragte sie zwei der kleinen Wesen: "Was macht ihr da?" Die beiden kleinen Wesen antworteten: "Wir spinnen ein Kleid für Asphor'ulehóas Frau, wenn sie das Licht auslöscht." Die junge Frau fragte die nächsten zwei: "Und was macht ihr zwei da?" Die beiden kleinen Wesen antworteten: "Wir spinnen ein Kleid für Asphor'ulehöas Frau, wenn sie das Licht auslöscht." Die junge Frau fragte ein Paar nach dem andern, bis sie zu dem letzten Paar der kleinen



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Wesen gekommen war, und nachdem dies auch geantwortet hatte, erwachte der Gatte.

Asphor'ulehóa sprang auf. Er fragte seine junge Frau: "Wer hat dir den Rat gegeben, das Licht versteckt zu halten?" Die junge Frau sagte: "Den Rat haben mir meine Schwestern gegeben." Asphor'ulehóa nahm sein Kleid zusammen, öffnete die Tür und eilte von dannen. Die junge Frau sagte bei sich: "Was habe ich getan! Ich verdränge meinen Gatten, der mir immer nur Gutes getan hat! Ich will ihn aber nicht lassen. Ich will meinem Gatten folgen." Die junge Frau lief hinter Asphor'ulehóa her. Asphor'ulehóa ging schnell und mit großen Schritten. Die junge Frau konnte ihm nur schwer folgen. Asphor'ulehöa ging sehr weit. Die junge Frau glaubte vor Müdigkeit sterben zu müssen.

Als Asphor'ulehóa derart sehr weit und sehr schnell gegangen war, kam er an ein großes Gehöft. Er trat an die Tür, um sie zu öffnen. Er wandte sich um. Er sah seine junge Frau. Asphor'ulehóa sagte: "Du folgest mir?" Die junge Frau sagte: "Ich bin deine Frau, ich will dich nicht lassen, ich habe das Recht, dir zu folgen." Asphor'ulehóa sagte: "Ich gehe jetzt aber in dieses Gehöft, es ist das Gehöft meiner Mutter, die eine Teriel ist. Die Teriel verschlingt alle Menschen, die in ihre Nähe kommen! Meine Mutter wird dich auch verschlingen, wenn sie dich hier sieht!" Die junge Frau sagte: "Es ist mir gleich, ob ich verschlungen werde; ich bin deine Frau und bleibe bei dir." Asphor'ulehóa sagte: "Dann komm." Er ging in das Gehöft voraus. Sie folgte ihm.

Asphor'ulehóa führte seine Frau in das Gehöft und an die Quelle. An der Quelle stand eine Palme und darum Gebüsch. Asphor'ulehóa sagte: "Ich will dich vor meiner Mutter schützen. Steige aber nicht von der Palme herab, bevor sie nicht bei meinem Namen geschworen hat, dich nicht töten und verschlingen zu wollen." Danach wandte er sich an die Palme und sagte: "Asphor'ulehóa befiehlt dir, dich zu beugen." Darauf beugte die Palme sich tief zur Erde herab, so daß die Krone die Erde berührte. Asphor'ulehóa sagte zu seiner Frau: "Nun steige in die Krone und verbirg dich zwischen den Blättern." Die junge Frau tat es. Dann sprach er wieder zur Palme: Asphor'ulehóa befiehlt dir, dich wieder zu erheben." Hierauf stieg die Palme wieder in die Höhe, so daß die junge Frau oben über der Quelle in der Palmenkrone saß. Sie konnte von oben ihr Spiegelbild in der Quelle sehen.

Asphor'ulehóa ging in das Haus.



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In der Mitte das Haus,

in dem die sieben Töchter des auf Reisen gegangenen Vaters wohnen. Unten die Teriel, die in das Haus eindringen will. (Zu Nr. 28.) Originalzeichnung eines Kabylen



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Nach einiger Zeit kam die Teriel, die Mutter Asphor'ulehöas, nach Hause. Es war Nacht. Die Teriel begrüßte ihren Sohn und fragte: "Wie geht es dir, mein Sohn? Ich sehe dich jetzt selten." Der Sohn sagte: "Ich habe Durst nach einem Trunk ganz frischen Quellwassers." Die Teriel sagte: "Das sollst du sogleich erhalten." Die Teriel nahm einen Krug und ging zur Quelle.

Die alte Teriel beugte sich über die Quelle, um Wasser zu schöpfen. Da sah sie im Wasserspiegel das Bild der jungen Frau, die oben in der Baumkrone saß. Die Teriel glaubte, die schöne junge Frau sei im Wasser, stellte den Krug beiseite und wollte sie fangen, um sie zu töten und zu verschlingen. Sie griff mit beiden Händen in das Wasser, so daß es sich kräuselte und Wellen bildete. Das Bild der jungen Frau in der Palmenkrone verschwand. Die Teriel glaubte, die junge Frau sei ihr im Wasser entronnen. Darüber wurde sie so wütend, daß sie ihren Krug am Boden zerwarf.

Die alte Teriel kam in das Haus zurück zu ihrem Sohne. Asphor'ulehóa fragte: "Hast du mir das Wasser gebracht?" Die Teriel sagte: "Der Krug ist mir zerbrochen." Der Sohn sagte: "So nimm einen andern Krug." Die Teriel nahm einen andern Krug und ging zu der Quelle zurück.

Als die Alte an die Quelle zurückkehrte, hatte das Wasser sich beruhigt, und sie sah sogleich wieder das Bild der jungen schönen Frau. Die Teriel wollte sie wiederum fangen, um sie zu verschlinger Sie griff wieder in das Wasser, das sogleich Wellen bildete. Die Teriel geriet wieder in Wut und zerwarf ihren Krug. Zornig kai sie zurück, nahm einen dritten Krug und kam, nachdem alles wieder in gleicher Weise vor sich gegangen war, zurück.

Die Teriel kam zum vierten Male zur Quelle. Da sah sie, dur ein Geräusch in der Baumkrone veranlaßt, nach oben und sah ob die junge Frau in der Baumkrone sitzen. Die Teriel setzte sogleich ihren Krug hin und wandte sich zu der schönen jungen Frau. Sie sagte zu ihr: "Komm doch herunter, du schöne junge Frau. 1 will dir im Hause ein sehr gutes Essen vorsetzen." Die junge Frau sagte: "Nein, ich bleibe hier oben." Die Teriel bat sie wieder und wieder. Die junge Frau sagte: "Ich komme nicht, wenn du mir nicht schwörst, daß du mich nicht töten und fressen willst." Die alte Teriel sagte: "Ich schwöre dir bei Gott, daß ich dich nicht töten und fressen will." Die junge Frau sagte: "Dieser Schwur genügt mir nicht. Schwöre mir bei deinem Sohne Asphor'ulehóa, daß du mir nichts antun willst, daß du mich nicht töten und nicht fressen



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willst." Die alte Teriel wurde böse. Sie sagte aber: "So schwöre ich dir denn bei meinem Sohne Asphor'ulehöa, daß ich dich nicht töten und verschlingen will."

Darauf stieg die junge Frau herunter. Die alte Teriel führte sie in das Haus und sagte zu ihrem Sohne: "Hier habe ich eine schöne junge Frau im Garten gefunden. Da ich ihr habe schwören müssen, sie weder zu töten noch zu verschlingen, ist sie mir zu nichts nutze. So nimm du sie denn und heirate sie." Asphor'ulehóa ergriff seine Frau bei der Hand und sagte: "Dann nehme ich diese junge schöne Frau aus deiner Hand als deine Gabe als Gattin entgegen und werd sie von nun ab als meine Gattin, die du, meine Mutter, mir gegeben hast, halten und schützen."

Als am andern Morgen die Teriel sich fertig machte, auf ihren Acker zur Feldarbeit zu gehen, rief sie die junge schöne Frau in den Hof und sagte: "Ich will nicht, daß du unnütz im Hause herumlungerst, wenn ich dich auch meinem Sohne zur Frau gegeben habe. Reinige also den Hof. Du siehst, der Hof ist sehr groß, und es ist allerhand Schmutz darauf. Du hast ihn so zu reinigen, daß, wenn ich heute abend zurückkomme, nicht ein Staubkorn mehr zu sehen ist. Wenn ich noch ein ganz kleines Staubkorn sehe, werde ich dich verschlingen." Die alte Teriel ging.

Die junge Frau erschrak, warf sich auf die Matte und weinte. Sie weinte, denn sie wußte, daß sie das, was die Teriel verlangt hatte, nicht ausführen konnte. Als es Mittag war, kam Asphor'ulehóa zurück. Er sah seine junge Frau weinen und fragte: "Was ist dir? Hat meine Mutter dir etwas Schlechtes gesagt ?" Die junge schöne Frau sagte: "Deine Mutter hat mir gesagt, ich solle bis heute abend den Hof so reinigen, daß kein Staubkorn mehr zu finden sei. Wenn ich das nicht ausführe, wolle sie mich verschlingen. Das kann aber kein Mensch ausführen, und so werde ich heute abend getötet werden. Deshalb weine ich." Asphor'ulehöa lachte und sagte: "Wenn das alles ist, so komm und iß mit mir gemeinsam; dann sei nur fröhlich, es hat keine Gefahr für dich. Das werden wir schnell erledigen."

Asphor'ulehöa aß mit seiner Frau zu Mittag. Nach dem Essen ging er zu der Mauer des Hofes und schlug gegen die Mauer. Er sagte: Asphor'ulehóa befiehlt dir, daß aus der Mauer viel Wasser fließt. Es soll so viel Wasser fließen, daß der Hof mit Wasser gefüllt ist und daß das Wasser jedes Staubkörnchen, das hier liegt,



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wegspült. Asphor'ulehöa befiehlt dies." Aus der Mauer sprang sogleich Wasser. Es floß so viel Wasser, daß der ganze Hof mit Wasser bedeckt war. Das Wasser lief ab. Es trug allen Schmutz und das allerkleinste Staubkörnchen mit sich fort. Der Hof war selbst blank wie ein Wasserspiegel. Abends kam die Teriel vom Acker heim. Sie ging über den Hof. Sie sah nach allen Seiten. Sie konnte kein Staubkörnchen finden und sagte zu der jungen schönen Frau: "Du bist geschickt." Am andern Tage machte die Teriel sich wieder fertig, auf ihren Acker zu gehen. Sie rief die junge schöne Frau und sagte zu ihr: "Heute werde ich dir einen ganz besonderen Wunsch von mir sagen: Ich möchte bis heute abend hier in einem Sacke von jedem Vogel je eine Feder haben. Der Sack muß voll von Federn sein, von jedem Vogel soll je eine Feder sein, und es darf nicht eine Feder fehlen. Wenn dir dies nicht gelingt, so werde ich dich heute abend töten und verschlingen." Die alte Teriel ging, nachdem sie das gesagt hatte, auf ihren Acker. Die junge schöne Frau setzte sich hin und weinte. 'Sie weinte den ganzen Morgen und jammerte: "Das kann ich unmöglich! Das kann ich unmöglich! Heute abend wird mich die Teriel verschlingen."

Mittags kam Asphor'ulehöa heim. Er fand seine junge schöne Frau weinend und fragte sie: "Was hast du, daß du so traurig bist? Sicherlich hat dich meine Mutter in so trübe Stimmung versetzt." Die junge schöne Frau sagte: "Deine Mutter verlangt bis heute abend von mir einen Sack, gefüllt von Federn, von jedem Vogel eine, und es darf keine fehlen. Wenn ich das nicht bis heute abend zu schaffen vermag, so will sie mich töten und verschlingen." Asphor'ulehöa lachte und sagte: "Wenn es sonst keine Schwierigkeit gibt, so wollen wir in aller Ruhe essen und die Sorge fahren lassen."

Asphor'ulehöa aß mit seiner jungen Frau und sagte dann zu ihr: "Gehe mit einem leeren Sack auf den nächsten Hügel. Rufe in meinem Namen alle Vögel, sage ihnen, daß ich krank bin und ein Kissen brauche; sage, daß jeder Vogel eine Feder in den Sack werfen soll. Es wird keine Feder fehlen." Die junge schöne Frau nahm einen Sack und ging auf einen Hügel. Sie richtete sich auf und rief: "Alle Vögel, hört mich in Asphor'ulehöas Namen! Hört! Asphor'ulehöa ist krank und braucht ein weiches Kissen, und deshalb sollt ihr für Asphor'ulehöa in diesen Sack jeder eine Feder hineinwerfen, so daß der Sack ganz voll wird und keine Feder fehlt!"



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Alle Vögel hörten das. Alle Vögel kamen herbei. Jeder Vogel flog über den Sack hinweg und ließ eine Feder hineinfallen, bis der Sack voll war. Die junge schöne Frau ging mit dem Sack voller Federn wieder nach dem Gehöft zurück. Als es Abend war, kam die alte Teriel vom Felde zurück. Die alte Teriel sah den Sack voll Federn und sagte zu der jungen schönen Frau: "Du bist geschickt."

Am andern Morgen machte die alte Teriel sich wiederum bereit, auf den Acker zu gehen. Sie rief die junge Frau herbei und sagte: "Du hast gestern die Federn sehr geschickt zusammengebracht. Heute nun fordere ich von dir, daß bis zum Abend jeder Vogel die Feder zurückerhält, die von ihm kommt. Ich will nicht, daß irgendeine Feder übrigbleibt, oder daß irgend ein Vogel eine falsche Feder erhält. Ordne dieses alles ganz genau, so daß sich bei mir kein Vogel beschweren kann. Beschwert sich bei mir ein Vogel oder sind bis zu meiner Rückkehr heute abend nicht alle Federn wieder richtig zurückgegeben, so töte und verschlinge ich dich." Die Teriel sagte das und ging von dannen. Die junge schöne Frau begann aber wieder zu weinen und zu jammern.

Asphor'ulehóa kam am Mittag nach Hause. Asphor'ulehöa fand seine junge schöne Frau weinend und fragte sie: "Was fehlt dir? Was hat meine Mutter nun wieder Schlimmes verlangt? Sage es mir. Es wird nicht so unmöglich sein, daß wir es nicht vermöchten." Die junge schöne Frau sagte: "Deine Mutter hat von mir verlangt, ich solle alle Federn, die ich gestern eingesammelt habe, heute wieder jedem einzelnen Vogel zurückgeben, so daß keine Feder übrigbleibt, kein Vogel eine falsche Feder erhält und kein Vogel sich beschweren kann, und daß bis heute abend alles geregelt sei. Sonst will deine Mutter mich töten und verschlingen." Asphor'ulehóa lachte und sagte: "Dies ist sehr einfach. Komm laß uns erst in Ruhe essen und dann die Sache schnell erledigen."

Asphor'ulehöa setzte sich mit seiner jungen Frau zum Essen und sagte, nachdem alles abgeräumt war, zu ihr: "Nimm den Sack mit Federn, den du gestern eingesammelt hast und gehe wieder auf den gleichen Hügel. Rufe in meinem Namen wieder alle Vögel zusammen, danke allen Vögeln in meinem Namen und sage ihnen, ich wäre nicht mehr krank, ich hätte das Kissen und ihre Federn nicht mehr nötig, und jeder Vogel solle die Feder, die er gegeben habe, sogleich wieder zurücknehmen und wohl darauf achten, daß keine Feder dabei verkommt!"



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Die junge schöne Frau nahm den Sack mit Federn und ging mit ihm auf den Hügel. Sie rief: "Alle Vögel, hört mich in Asphor'ulehöas Namen! Asphor'ulehóa dankt euch, daß ihr ihm gestern, als er krank war, jeder für sein Kissen eine Feder gegeben habt. Asphor'ulehöa ist heute nicht mehr krank und braucht eure Federn nicht mehr. Asphor'ulehóa läßt euch sagen, jeder Vogel solle seine Feder zurücknehmen und wohl darauf achten, daß keine Feder dabei verkommt!" Die junge schöne Frau öffnete den Sack. Sogleich kamen von allen Seiten die Vögel vorbei. Kein Vogel blieb aus. Alle Vögel kamen. Jeder Vogel flog an dem Sack vorbei, nahm eine Feder und flog damit von dannen. Es währte nicht lange Zeit, da war der Sack leer und keine Feder mehr zu sehen. Die junge schöne Frau ging mit dem leeren Sack nach Hause. Als die alte Teriel abends vom Acker nach Hause kam, ging sie an dem leeren Sack vorbei. Als sie die junge schöne Frau sah, sagte sie: "Du bist geschickt."

Am andern Morgen rüstete die alte Teriel sich beizeiten zum Gang auf ihren Acker. Vorher aber rief sie die junge schöne Frau zu sich und sagte: "Du hast bis gestern alles, was ich von dir verlangt habe, sehr geschickt ausgeführt. Nun will ich dir eine Aufgabe geben, die etwas schwieriger ist. Sieh, ich nehme hier einen Krug mit Wasser und einen Krug mit Milch. Ich gieße das Wasser in die Milch. Deine Aufgabe ist es, das Wasser und die Milch bis heute abend wieder voneinander zu trennen. Gelingt dir das, so ist mein Wunsch erfüllt. Gelingt es dir nicht bis heute abend, so werde ich dich töten und auffressen." Damit ergriff die alte Teriel den Topf mit Wasser und goß den ganzen Inhalt in den Topf mit Milch. Nachdem sie das getan hatte, ging sie. Die junge schöne Frau aber warf sich auf die Erde, weinte und klagte: "Jetzt werde ich sicher von der Teriel verschlungen werden."

Mittags kam Asphor'ulehóa nach Hause. Er fand seine junge schöne Frau weinend auf der Erde. Er fragte: "Was gibt es nun heute wieder?" Die junge schöne Frau sagte: "Heute kannst du mir auch nicht helfen. Deine Mutter hat Milch und Wasser zusammengegossen. Ich soll das Wasser bis heute abend von der Milch trennen. Das kann niemand." Asphor'ulehóa sagte: "Du hast recht, das kann niemand, und ich sehe, meine Mutter will dich unbedingt töten und verschlingen. Sei aber ohne Furcht. Ich habe deinem Vater versprochen, dich zu schützen, und wenn du auch ungehorsam warst, indem du einmal das Licht nicht ausgelöscht



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hast, so will ich trotzdem mein Wort halten, auch wenn es mir schwer wird. Sei also außer aller Sorge." Dann aß er mit seiner jungen schönen Frau und wartete auf die Rückkehr seiner Mutter, der Teriel.

Als es Abend war, kam die Teriel vom Acker nach Hause. Die Teriel ging sogleich zu dem Kruge, in dem die Milch mit dem Wasser gemischt war, sah hinein und sagte zu der jungen schönen Frau: "Heute hast du das, was ich dir aufgetragen habe, nicht ausgeführt; heute werde ich dich töten und verschlingen". Die junge schöne Frau weinte. Asphor'ulehöa trat aber herein und sagte zu seiner Mutter:

"Meine Mutter, du hast mir die junge schöne Frau selbst als Gattin zugeführt, nachdem du bei meinem Namen geschworen hattest, ihr nichts tun zu wollen." Die alte Teriel sagte: "Sie kann aber Wasser und Milch nicht trennen, deshalb werde ich sie verschlingen." Asphor'ulehöa sagte: "Du hast, trotzdem du bei meinem Namen geschworen hast, meiner jungen schönen Frau nichts antun zu wollen, ihr jeden Tag mit Tod und Verschlingen gedroht." Die Teriel sagte: "Ich werde sie heute auch verschlingen, denn sie kann Wasser und Milch nicht trennen." Asphor'ulehóa sagte: "Du hast bei meinem Namen geschworen. So nimm denn das auf dich, was du willst. Aber ehe du meine junge schöne Frau täglich mit Drohungen quälst und sie zum Schluß doch noch verschlingst, will ich sie lieber selbst töten und dir und deinen Schwestern vorsetzen." Die alte Teriel sagte: "Ich muß sie verschlingen, denn sie kann Wasser und Milch nicht trennen."

Asphor'ulehöa sagte: "So höre mich denn! Rufe deine Schwestern für morgen zusammen. Ich will euch ein Gericht nach euerm Geschmack vorsetzen und will mit Feuer und Fett nicht sparen!" Die alte Teriel sagte: "Ich freue mich, mein Sohn, daß du deine Mutter mehr liebst als dieses dumme schöne Mädchen. Ich werde alle meine Schwestern einladen. Töte nur die junge Frau und spare mir nicht mit Fett und Feuer!"

Asphor'ulehóa ging fort. Er rief seine junge schöne Frau herbei und sagte: "Verstecke dich. Laß nicht merken, wo du bist!" Als die junge schöne Frau versteckt war, ging er hin und brachte einen Ochsen herbei. Am andern Morgen war seine Mutter, die Teriel, kaum zu ihrem Acker weggegangen, da trat jener in das Zimmer, in dem gegessen werden sollte und sagte: "Asphor'ulehöa will,



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daß die Erde sich öffne und eine tiefe Kluft zeige." Sogleich entstand in der Mitte des Zimmers ein tiefes, tiefes Loch. Asphor'ulehóa sagte: "Asphor'ulehóa will, daß der Grund der Erde mit Fett und Feuer gefüllt und der Mund der Erde mit einer Matte und Erde darüber verhüllt werde." Da entstand in der Tiefe sogleich eine Schicht von Feuer und Fett, über der Öffnung aber eine Matte mit Erde darüber, so daß der Boden der Kammer aussah wie früher.

Asphor'ulehóa ließ den Ochsen schlachten und braten und mit viel Fett begießen. Alles war angefüllt mit dem Geruch von Fett. Als die Zeit kam (der Erzähler weiß nicht, ob es Abend oder Mittag ist und widerspricht sich darin mehrfach), zu der Asphor'ulehóa die Schwestern der Teriel eingeladen hatte, hörte man sie von allen Seiten zusammenströmen und die Mutter Asphor'ulehóas und sich untereinander begrüßen. Alle aber dankten Asphor'ulehóa und sagten: "Du bist ein guter Sohn, daß du deiner Mutter die eigene Frau vorsetzt. Du bist ein guter Verwandter, daß du die sämtlichen Schwestern deiner Mutter eingeladen hast."

Als alle angekommen waren, hieß Asphor'ulehóa die sämtlichen Teriels in die Speisekammer treten. Als alle Teriels in der Kammer waren, sagte er: "Nun tretet in die Mitte und der Schwur meiner Mutter erfülle sich!" Die Teriels traten in die Mitte, in der die Matte lag, die nur wenig mit Erde bedeckt war. Die Matte gab nach. Alle Teriels stürzten in die Öffnung, in der unten Feuer und Fett waren. Asphor'ulehóa sagte: "Mutter, bei meinem Namen hast du geschworen!" Asphor'ulehóa sagte: "Asphor'ulehóa befiehlt, daß das Feuer alles hinnehme!" Er machte die Tür der Kammer zu. Er ging dahin, wo er seine junge Frau zurückgelassen hatte und sagte zu ihr: "Komm mit mir in unser Haus zurück. In Zukunft sollst du mich dort auch bei Tage sehen. Komm!" Asphor'ulehóa ging mit seiner jungen schönen Frau von dannen. Hinter ihnen brannte das Gehöft der Teriel ab.

Damals sind alle Teriels verbrannt.


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