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ARNOLD BUCHLI

Schweizer Legenden

GUTE SCHRIFTEN ZÜRICH 1967


ST. JODERN GLOCKE

Zu den Zeiten Kaiser Karis des Großen lebte in Burgund ein Priester mit Namen Theodulus. Der ward wegen seines tugendsamen Lebens und seiner Geschicklichkeit von männiglich geliebt und hoch geachtet. Und als um das Jahr unseres Heilands und Erlösers 790 der selige Althaus, Bischof im Wallis, entschlief, wurde durch gemeinsame Wahl der Walliser mit Kaiser Karis Bewilligung der Priester Theodulus zu seinem Nachfolger erwählt. Aber je höher dieser in Würden erhoben ward, desto mehr nahm er zu in der Andacht und wohltätigem Trachten.

In einer Nacht wurde dem Bischof Joder' offenbar, daß der heilige Vater in Rom des Augenblicks in Gefahr schwebe und gewarnt werden müsse. Unschlüssig, wie er das ausführen könnte, öffnete der heilige Theodul das Fenster und sah vor dem Schlosse Valeria drei Teufel munter miteinander tanzen. St. Joder rief sie an und fragte sie, wer von ihnen der flinkste sei. Da antwortete der erste, er sei so geschwind wie der Wind. Der zweite sagte, er laufe wie die Kugel aus dem Rohr. «Das sind nur faule Bäuche gegen mich», lachte der dritte, «ich fliege durch die Welt wie ein Weibergedanke. » Diesem als dem Schnellsten machte der Heilige den Vorschlag, er wolle sein werden, wenn er imstande sei, ihn unverzüglich nach Rom und wieder nach Sitten zurück zu bringen, noch bevor am Morgen die Hähne krähten. Der Teufel nahm das Anerbieten mit Freu-1



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den an und stellte einen schwarzen Hahn als Wächter auf die Stadtmauer. Aber auch St. Joder brachte einen Hahn, und zwar einen weißen, und hieß ihn auf den Dachgiebel des Schlosses fliegen, nachdem er ihm wohl eingeschärft, er dürfe sich in der Frühe nicht etwa verschlafen.

Die Reise ward angetreten. Der Teufel spannte seine Fledermausflügel aus, und im Nu war der heilige Theodul in Rom. Er warnte den Papst noch zur rechten Zeit und erhielt von ihm aus Dankbarkeit eine Glocke zum Geschenk. Der Satan mußte nun auch noch diese mit aufladen und nach Sitten heimtragen.

Die Turmuhren hatten noch nicht die zweite Stunde des Morgens angezeigt, als der behende Teufel mit seiner Doppellast glücklich zu unterst auf der Planta ankam. Das ward der weiße Hahn auf dem Schloßdach auch sogleich inne und fing schleunigst aus vollem Halse zu krähen an. Jetzt erwachte auch der schwarze Gockel auf der Stadtmauer und schrie ebenfalls. so laut er konnte.

Da ergrimmte der Teufel sehr, daß er die Wette verloren, und warf die Glocke mit solcher Gewalt zu Boden, daß sie neun Ellen tief hineinsank. Der heilige Theodul aber rief: «Dona, Dona, lit!» Und die Glocke fing in der Erde drin zu läuten an, immer lauter, bis sie läutend wieder zum Vorschein kam.

Der Teufel mußte sie ihm lassen. Sie wurde in den Turm gehängt, als «St. Jodern Glocke» gar berühmt und tat gegen Ungewitter Wunder, wie es denn von ihr in einem alten Liede heißt:

«Wan man die glock anziechen tut
und gat nach irem willen,
daß man si lut mit reinem mut,
das wetter tut sich stillen:
gar grusamlich sicht mans in lufften schyben, 2
die glock tut es vertriben
mit irem ton so rych,
uff erd ist nit jr gelych.»


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