Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

ARNOLD BUCHLI

Schweizer Legenden

GUTE SCHRIFTEN ZÜRICH 1967


DER TOTE ZEUGT

Der heilige Mann Fridolin, denen von Glarus und Säckingen als ihr erster Apostel wohlbekannt, war, wie sein Name anzeigt, sehr beflissen, den Frieden als das beste Kleinod der Christen allenthalben zu befördern und Zwiespalt hinzunehmen. Über sein Herkommen wird gemeldet, sein Vater, Conranus mit Namen, sei König in Schottland gewesen und er, Fridolin, um das Jahr Christi 465 geboren. Desto mehr ist er zu loben, daß er das Geistliche vor das Weltliche gesetzt und von Jugend auf sich aller Leichtfertigkeit und bösen Gesellschaft entschiagen hat.

Er nahm also das priesterliche Amt an und begann mit Ernst und Eifer, in seinem eigenen Vaterland das Wort Gottes zu verkündigen. Doch als ein wahrer Nachfolger Christi und seiner Apostel entschloß er sich, die zeitlichen Güter, so er hatte, an Witwen und Waisen auszuteilen und in freiwilliger Armut davon zu gehen. Als aber in dem Land kundbar geworden, daß Fridolin wegziehen wollte, begleitete ihn eine große Menge Volk mit Trauern und Weinen. Da nahm er von ihnen Urlaub, gab ihnen den Segen und trat in das Schiff.

Nach viel ausgestandener Seenot kam er an das Gestade Frankreichs und zog von einer Stadt zur andern in großer Armut. Etliche Jahre verblieb er zu Poitiers und wartete des Predigtamtes. Darnach gab ihm Gott ein, er solle aus Frankreich ziehen und sich in die Lande am Rhein begeben, um den Völkern dorten den christlichen Glauben zu verkündigen. Es reiste aber der heilige Fridolin nach Deutschland und stieg



Schweizer Legenden-054 Flip arpa

auf den Wasichenberg' im Elsaß. Folgends kam er in die namhafte Stadt Straßburg und richtete daselbst ein neues Stift und drei Kirchen auf. Von dannen zog er nach Burgund und weiter zu den Graubündnern. damit er den Bischof von Chur heimsuchen könnte. Er verblieb aber in der Stadt Chur so lange, bis er das neue Stift samt Kirche jenseits des Wassers Plessur auf einem erhöhten Boden aufgeführt, wo heutigen Tages noch Anzeichen eines Gotteshauses gefunden und «zu St. Hilan» genannt werden.

Als St. Fridolin noch zu Chur war, fragte er fleißig, ob sie ihm nicht von einer Insel zu sagen wüßten, die im Rhein gelegen und noch wüst und unbebaut wäre. Darauf ist ihm eine solche gezeigt und der Weg dahin gewiesen worden. Im Jahre Christi 516 kam er nicht ohne große Mühe der langen Reise nach Säkkingen. Nach seiner Ankunft aber verwunderten sich die umwohnenden Völker sehr, daß er als fremder Mann ohne Gefährten diese öde Insel ohne ihre Erlaubnis besiedelte. Sie meinten, er wäre ein Ausspäher und Viehräuber. Deswegen stießen und schlugen sie ihn unbarmherzig und beleidigten den unschuldigen Mann Gottes, und letztlich jagten sie ihn mit Gewalt und nicht ohne Gefahr seines Lebens von der Insel.

Da zog er gen Paris an des Königs von Frankreich Hof und erzählte Chlodwig die Beschwernisse und Unbilden, so er zu Säckingen von den Einwohnern erlitten hatte. Der fromme König ließ sich die Sache angelegen sein und verlieh Fridolin alle Rechte und Gewalt, die Insel unwidersprechlich zu besitzen, gab ihm auch einen besondern Schirmbrief und einen Geleitsmann. Die Bauern aber, die den heiligen Mann gehörtermaßen übel gehalten hatten, wollte der König nach Gebühr bestrafen. Aber St. Fridolin bat ihn, er sollte den gefaßten Zorn fallen lassen und sie verschonen, dieweil sie aus Unwissenheit solche Schuld begangen.

Nun trachtete er mit allem Fleiß, an welchem Ort der Insel er ein Kloster aufrichten sollte. Als er durch sein getreues Gebet



Schweizer Legenden-055 Flip arpa

zu Gott Frieden und Ruhe vor seinen Feinden und Mißgönnern erlangt hatte, richtete er das Stift auf, St. Hilarius zu Ehren. Also nahm das Kloster seinen Anfang, da man zählte von Christi Geburt an das 521. Jahr. Die Liebe war in dem heiligen Mann tief eingewurzelt. Wenn zu Zeiten die Knaben nach ihrer Art in seinem Garten auf die Bäume steigen wollten, das Obst abzubrechen, kam er oft dazu und half ihnen nach Möglichkeit die Bäume hinauf und hinab zu klimmen, damit sie keinen Schaden davontrügen. Ja, aus großer Demut bot er ihnen dazu seine eigenen Achseln und seinen Rücken. Geschah es aber, daß er einen seiner Jünger von ungefähr dazu kommen sah, so ermahnte er die Knaben väterlich: «Liebe Kinder, steigt herab und macht euch davon, eh einer kommt, euch vertreibt und bestraft!» Also groß war die Liebe dieses Mannes gegen die Jugend, daß er ihnen die Freude gerne gönnte, damit sie zum Guten umso williger und fleißiger wurden.

Glarus, ein Hauptflecken und Ort der Eidgenossenschaft, war zu den Zeiten des heiligen Fridolin von zwei gewaltigen Brüdern und Landesherren, etliche sagen, Grafen, regiert. Dieselben hießen Ursus und Landolf, waren mit großen Reichtümern begabt und hatten im ganzen Land ein großes Ansehen. In diese Gegend zog Fridolin, predigte das Evangelium treulich, bekehrte viele, unter andern auch die beiden Brüder Ursus und Landolf. Denn zu derselben Zeit waren wenig getaufte Christen um Zürich und Glarus zu finden.

Ursus aber faßte eine besondere Liebe zu St. Fridolin wegen seines untadeligen Lebens. Als er nun vermerkt, daß der heilige Mann sich gar emsig der Aufrichtung des Stifts zu Säckingen annahm, hat ihm diese Arbeit so wohl gefallen, daß er aus freiwilligem Herzen dem Gotteshaus Säckingen all sein Gut schenkte, dazu auch den Teil, welchen er von seinem Bruder Landolf ererben sollte. Und damit solche Schenkung ihre ewige Kraft hätte, ließ Ursus Brief und Siegel aufrichten und alles in gebührender Weise vor Gericht bestätigen mit Vorwissen und Gutheißen seines Bruders Landolf. Nun forderte Gott den frommen Herrn Ursus aus diesem Jammertal zu den ewigen Freuden.



Schweizer Legenden-056 Flip arpa

Aber Landolf, sein Bruder, wiewohl ein Christ, so war er doch vom Geiz verblendet, vergaß seiner Versprechung und machte dem heiligen Fridolin viel zu schaffen. Er forderte ihn vor das weltliche Gericht, setzte sich wider das aufgerichtete Testament und begehrte den Teil der hinterlassenen Güter, die Ursus dem Gotteshaus Säckingen mündlich und schriftlich vermacht hatte.

Also mußte der geduldige Fridolin abermals das Kreuz tragen, mit dem Zeitlichen bemüht zu sein und vor den weltlichen Regenten im Rat angesprochen und befragt zu werden. Aber was er vorbrachte und mit Briefen bestätigte, konnte ihm das Recht nicht verschaffen. Er sollte mit Zeugen beweisen, daß Ursus die Erbschaft dem Kloster geschenkt habe. Mit diesem Ausspruch war der Mann Gottes zufrieden in der Hoffnung, der wahre Richter werde ihm aus der Not helfen und die angefochtene Wahrheit an den Tag bringen. Er begehrte aber von dem Richter, daß er ihm Zeit und Ort angebe zu dem künftigen Urteil und Rechtstag, da beide Teile sollten zusammenkommen, und das geschah.

Darauf zog der heilige Fridolin gen Glarus, wo er eine Kirche erbaut hatte, darin Ursus etliche Monate lang begraben lag. Dasselbige Grab ließ er sich öffnen. Da stund nun der heilige Fridolin und rief unerschrocken dem verstorbenen Landesherrn Ursus zu: «Stehe auf in dem großen Namen Gottes, komme hervor und sei mein Zeuge, daß du mir dein Gut geschenkt hast!» Wunderbarlich ist es zu sagen, noch viel wunderbarlicher aber war es anzusehen, wie der hohläugige Kopf und die starren Gebeine aus dem Grab hervorkamen und sich aufrichteten. Den Toten nahm Fridolin an seine rechte Hand und führte ihn den ganzen Weg von Glarus bis zu dem Dorfe Rankweil. Denn allda befand sich das königliche Landgericht an dem bestimmten Tag und Ort. Auch der Landesherr Landolf mit seinen Gönnern, welche die Gerechtigkeit zu unterdrücken begehrten, war zugegen.

Als nun beide Parteien gegenwärtig waren, wendet sich der tote Ursus zu seinem Bruder und spricht mit heller Stimme:



Schweizer Legenden-057 Flip arpa

«Mein Bruder Landolf, warum hast du mich nicht in meiner Ruhe gelassen und hast meine Seele berauben wollen der Gnade, welche ich jetzt empfange darum, weil ich mein Gut an das Kloster Säckingen gegeben habe?» Über diese Rede war Landolf sehr erschrocken und in seinem Gemüt verändert, und er gab ihm zur Antwort: «Lieber Bruder, jetzt stelle ich dir gern deinen Teil zu und will den meinen zu größerer Ehre Gottes auch dargeben. Ich schenke hiemit dies Land Glarus dem Gotteshaus Säckingen.» Und Landolf bat den heiligen Fridolin, er wolle ihm verzeihen, was er wider ihn gehandelt und Gott den Allmächtigen bitten, daß er auch ihn zu Gnaden aufnehme. Also hat Ursus sein Amt, des heiligen Fridolin Zeuge zu sein, verrichtet. Nachdem das geschehen, nahm derselbe den Toten wie vorher bei der Hand und führte ihn zurück gen Glarus. Dort legte sich Ursus wieder in sein Grab.

Es lebte darnach Sankt Fridolin noch sechzehn Jahr. Und er wirkte in dieser Zeit mit seiner Liebe zum Frieden noch an manchen Orten Gutes, so auch im Solothurner Land.

Da hatten auf dem Stürmenkopf die heidnischen Bewohner der Gegend um Bärswil und Grindel einen Tempel gebaut, wie eine Burg so groß und so fest, darin den Göttern der Waldberge Opfer darzubringen. Sie ward aber «die Höllenburg» geheißen. Denn kaum hatte man drinnen die Götzenbilder aufgestellt, als der Satan mit seinem Gefolge von bösen Geistern aus der ganzen Umgebung von dem stolzen Bau Besitz ergriff. Da pflegte er sie um sich zu versammeln und in den Nächten die hohen Mauern in einem Zuge taumelnden Übermutes unter greulichem Pfeifen, Johlen und Winseln zu umjagen, daß den Heiden im Tale selber davor bange wurde.

Die Greuel dieses Götzendienstes schrien zum Himmel, und darum sandte Gott den heiligen Michael hinab, das Gezüchte zu vertreiben. Und der Erzengel scheuchte mit seinem Flammenschwerte die Geister der Hölle. Den Bösen aber ergriff er mit starker Faust und warf ihn zu Boden, daß unter ihm der Felsen sich spaltete und den Teufel verschlang. Darauf stob die Rotte seiner verruchten Anbeter auseinander.



Schweizer Legenden-058 Flip arpa

Und St. Michael wies allen Winden die Höllenburg auf der felsigen Höhe als Zufluchtsort an, und von Stund ab umbrausten Unwetter den Stürmenkopf. Wenn im Sommer die Sonne weit umher im Tale die Ernte reifte, dann türmten sich um die zerfallenen Burgmauern Wolken auf, brauten Gewitter und schlugen die fruchtbaren Fluren mit schwerem Hagel, Mühe und Arbeit des Landmanns vernichtend. Und zuletzt wurden die Bewohner der jedes Jahr wiederkehrenden Sorgen müde und beschlossen, die Gegend zu verlassen, um nicht Hungers sterben zu müssen. Sie rafften ihre Habe zusammen und bereiteten sich, Männer, Weiber und Kinder, auszuziehen.

Da kam durch göttliche Schickung St. Fridolin des Weges geschritten. Der sprach zu den Bekümmerten: «Lieben Leute, mit nichten tut ihr gut daran, von hinnen zu gehen, wo eure Ahnen gelebt und gestorben. Gottes Zorn wird euch folgen ins fremde Land, wohin ihr auch wandert, so ihr nicht ihn allein ehrt, dem alle Macht Himmels und der Erden gegeben. Wendet euch ab von dem heidnischen Götzenwesen, und baut Gott dem Herrn ein Heiligtum da droben auf dem Berge! Dann wird er seine Hand halten darüber und den Fluch, der auf dem Lande lag, in Segen und Wohlfahrt wandeln.»

Da wurden die Bewohner des Tales gar froh, dankten ihm seines Zuspruchs und ließen sich von dem heiligen Fridolin taufen. Und sie taten das Gelübde, ein Kirchlein zu errichten auf der Felsenhöhe. Das geschah. Bald erstand auf «Kirchstätt» am Stürmenkopf eine Kapelle, und seit der Zeit wich die Verwünschung von dem Berge. Die Felder an seinem Fuße waren gesegnet, und in den Heimstätten, die sich um sie erhoben, wohnte ein glückliches Volk.

Noch sieht man auf der Höhe zerfallenes Gemäuer der Höllenburg und den Spalt im Felsen, darin der Böse auf St. Michaels Gebot versank.

Der heilige Fridolin aber kam zu hohem Alter und verschied seliglich zu Säckingen, als man zählte nach Christi Geburt 540.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt