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ARNOLD BUCHLI

Schweizer Legenden

GUTE SCHRIFTEN ZÜRICH 1967


URSUS UND VICTOR

Nun ist aber zu wissen, daß aus besonderer Schickung Gottes zuvor, ehe der Kaiser seinen blutigen Spruch über die Maurizische Legion fällte, etliche Befehlshaber mit ihren Soldaten aufgebrochen und weggezogen, die darauf den christlichen Glauben in verschiedenen Ländern bekannt und gepflanzt und zuletzt auch die Märtyrerkrone erlangt haben. Aus ihrer Zahl sind Ursus und Victor mit 66 Gesellen gen Solothurn gekommen, Felix und Regula gen Zürich und Verena nach Zurzach.

Zu Solothurn, der alten, weitberühmten Stadt in der Eidgenossenschaft, predigte St. Ursus mit den Seinen treulich den wahren christlichen Glauben, und es wurden diese frommen Männer den Solothurnern lieb und wert. Das konnten aber die, so aller Christen Todfeinde waren, die beiden Kaiser Diodetianus und Maximianus, nicht leiden, und sie befahlen dem



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Hauptmann Hirtacus, welcher etliche Tage im kaiserlichen Lager sich aufhielt, nachdem sie ihn zu einem Landpfleger in Solothurn eingesetzt, er solle sich bald dorthin verfügen und sonderlich gute Achtung geben auf die flüchtigen thebäischen Kriegsleute, die sich in jener Stadt verborgen aufhielten. Die sollte er gefangen nehmen, den römischen Göttern zu opfern zwingen und, so sie solches nicht tun wollten, ihnen ohne Gnade das Leben nehmen.

Hirtacus wartete nicht lange, ließ die Thebäer ohne Verzug ergreifen, ihre Hände auf den Rücken binden und sie alle als Übeltäter ins Gefängnis führen, da er hoffte, dadurch beim Kaiser in große Gunst zu kommen. Danach befahl der Landpfleger, Ursus und Victor vor ihn zu bringen und redete mit ihnen nach seiner listigen Art anfangs freundlich, sie von ihrem Glauben abzubringen, ihnen bedeutend, es sollte der andern Thebäer Tod ihnen eine Warnung sein und eine Mahnung, Mercur, der damals zu Solothurn ein Schirmgott des ungläubigen Volkes war, zu opfern und sich beim Kaiser wiederum einzustellen. Aber Hirtacus richtete mit seinen glatten Worten nichts aus, sondern erhielt von St. Ursus die Antwort: sie wären einmal getaufte Christen und wollten auch Christen bleiben und als solche sterben.

Darüber entsetzte sich der Landpfleger und befahl in heftigem Zorn, die Gefangenen mit Ketten zu fesseln, und sie wurden geschlagen und hart verwundet. Sodann ließ Hirtacus auf dem Hermesbühl einen großen Haufen Holz zusammentragen und anzünden und die Thebäer dahin schleppen, damit sie in die Flammen geworfen würden, wenn sie den Göttern nicht opfern wollten. Aber da schickte Gott vom Himmel ein gewaltiges Ungewitter. Der Regen löschte das Feuer, und der Sturm riß die Scheiter auseinander, daß die Henkersknechte erschreckt zurückwichen und von dem zuschauenden Volk viele sich zu dem Glauben der Verfolgten bekannten.

Nur der Landpfleger blieb unbewegt und gebot, die standhaften Thebäer hinaus auf die Brücke zu führen, die über die Aar gebaut war, und sie alle daselbst zu enthaupten. Denn weil



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er sie mit Feuer nicht hatte verderben können, gedachte er sie jetzt nicht allein mit dem Schwert, sondern auch mit dem Wasser auszutilgen, um sie der letzten Ehre zu berauben.

Nachdem sie aber auf diese Weise umgebracht und in den Aarfluß geworfen waren, wollte der Allmächtige durch St. Ursus und seinen Gesellen ein wunderbares Zeichen geben. Alsbald nämlich richteten sich der Märtyrer Leiber in dem stark fließenden Wasser auf und wandelten, zu geordnetem Zuge geschart, an das Ufer. Und da sie einen kleinen Weg gegangen, standen sie an einer Stelle, die man noch zeigt, still und sanken, ihre Häupter in den Händen tragend, auf die Knie, als wollten sie anzeigen, daß sie allda zu ruhen begehrten.

Die von den Solothurnern, welche dem christlichen Glauben ergeben waren, begruben sie außerhalb der Stadt in dem wilden Gestäude, da, wo jetzt St. Peters Kirchlein sich erhebt, welchen Ort sich die Gerichteten selber auserwählt. Dies alles ist geschehen, als man zählte 302 Jahr nach Christi, unseres lieben Herrn, Geburt.

Es müssen aber diese Thebäer große, starke Männer gewesen sein, wie man an ihren Gebeinen sehen kann, die heutigen Tages in der Kathedrale der Sarkophag des Hochaltars birgt. Denn folgends, um das Jahr 8oo ungefähr, erweckte Gott seinen Geist in der frommen Königin Bertrada, welche gerne zu Solothurn Hof hielt, ehe sie Pipins, des Königs von Frankreich, Gemahlin ward, und sie ließ St. Ursus zu Lob und Preis in seiner Stadt ein Münster errichten. Dahin wurden hernach seine und seines Mitstreiters Gebeine gebracht.

Ihnen erwiesen die Bürger von Solothurn allzeit hohe Verehrung und setzten zum Zeichen dessen St. Ursus in ihr Siegel ein. Dafür haben die gottseligen Märtyrer die Stadt in Kriegsnot auch in ihren Schutz und Schirm genommen, wie denn im 1318. Jahr nach Christi Geburt geschehen ist, da Herzog Leopold von Österreich sie zehn Wochen lang gar hart belagerte. Die Ursache war, daß die von Solothurn Ludwig von Bayern anhingen und wider Friedrich von Österreich waren, der mit Gewalt König sein wollte.



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Die Stadt einzuschließen, ließ der Herzog eine Brücke über die Aar schlagen, und als der Fluß durch ein Unwetter groß und ungestüm geworden, wollte er den Steg mit Kriegsleuten belasten und verwahren. Aber das Wasser riß die Brücke hinweg, und viele der Knechte ertranken oder wurden fortgeschwemmt. Da fuhren die von Solothurn hinaus, sie zu retten. Und die sie zu länden vermochten, schickten sie dem Herzog zurück. Der aber zog seine Hand nicht ab von der Stadt.

Nun hatte er in seinem Gefolge einen gottesfürchtigen und gelehrten Mann, welcher sein Kanzler und ihm gar lieb war. Derselbige ging in der Nacht vielmal allein bis an den Stadtgraben, zu erkunden, wie die von Solothurn Wache hielten. Und immer erblickte er dann auf den Ringmauern eine große Zahl wohlausgerüsteter Krieger, deren Harnische gar hell glänzten. Und einer unter ihnen, der war größer und gewaltiger als alle andern und hatte vorn auf der Brust ein Kreuz, das strahlte wie die Sonne.

Und eines Morgens begab sich der Kanzler zu dem Herzog, ihm zu melden, was er gesehen. «Allergnädigster Herr», sagte er, «wenn Euer Gnaden mit dem ganzen römischen Reich hundert Jahr vor dieser Stadt läge, Ihr vermöchtet sie doch nicht einzunehmen. Denn ich meine, es seien keine lebendigen Menschen, die auf den Mauern die Scharwacht tun. Ihre Waffen und Harnische glitzern und funkeln wie die Sterne. Es will mir vorkommen, und es kann auch nicht anders sein, als daß Gott ein Aufsehen auf die stolze Stadt hat und die heiligen Märtyrer, so alida ruhen, als Wacht auf die Mauern gesandt, sie zu bewahren, was Euer Gnaden auch daraus ersehen können, daß die Aar mit ihrem reißenden Wasser wider Euer fürstliche Gnaden krieget und viel Eurer Leute ertränkt.»

Als der Herzog das vernommen, geriet er in Zorn und argwöhnte, sein Schreiber habe Verräterei getrieben und sich mit den Bürgern in der Stadt verständigt. Und er ließ ihn ins Gefängnis werfen und in Eisen schlagen. Wie er in den Kerker trat, den Kanzler zu verhören, sagte dieser zu ihm: «Allergnädigster Fürst, ich will meine Unschuld mit Gottes Hilfe beweisen.



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Euer Gnaden wolle diese Nacht mit Euerm Adel und der Leibhut mit mir kommen bis an der Stadt Graben. Dann will ich Euer Gnaden alles, was ich angegeben, zeigen. So Ihr nicht selber seht, was ich gemeldet, dann laßt mich nach Euerm Gefallen hinrichten!»

Als die Nacht angebrochen, da ist der Herzog mit seinen Edelleuten samt seinem Schreiber, der in Ketten mitgeführt ward, bis an den Stadtgraben gegangen, die Ringmauern zu besichtigen. Und daselbst fand er alles so, wie der Kanzler ihm gesagt. Und er bekam davon einen großen Schrecken, ließ seinen Schreiber sogleich der Fesseln entledigen und kehrte in das Lager zurück.

Da es Tag geworden, schickte er auf den Rat seiner Fürsten einen Herold in die Stadt, der hat um einen Frieden geworben. Und nachdem er letztlich die Forderung derer von Solothurn bewilligt, ist er selbdreißig in die Stadt bis vor St. Ursen geritten, hat sein Gebet zu Gott getan und sein Banner Sankt Ursen geopfert. Danach ritt er wiederum in sein Lager, hob es auf und zog mit aller seiner Macht zurück in sein Land.

Der Einzug des Herzogs geschah auf den heiligen Karfreitag, und dessen zu ewigem Gedächtnis trugen an diesem Tag zwei Priester das österreichische Banner unter andächtigem Gesang in dem Münster herum, St. Ursus und seinen Thebäern zu danken für seinen mächtiglichen Beistand in Kriegsnot.


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