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ARNOLD BUCHLI

Schweizer Legenden

GUTE SCHRIFTEN ZÜRICH 1967


MAURITIUS

Ägypten, das alte und vielgelobte Land, hatte vorzeiten Theben zur Hauptstadt. Die war gewaltiglich befestigt und mit hundert Toren versehen. Darin wurde St. Mauritius geboren, der von Jugend auf eine besondre Neigung zum Kriegshandwerk bekundet und sich als ein rechter Held erzeigt hat.

Zu jenen Zeiten erhob sich in Ägypten eine gefährliche Empörung, daraus nicht geringer Jammer und Elend in Städten und Flecken entstanden. Theben aber hielt sich zum römischen Reich. Darum erwählten die beiden Kaiser Diocietianus und Maximianus den Ritter Mauritius zum Obersten über alle Thebäer, auf daß er mit seiner Legion den Aufruhr abstelle und den Frieden erhalte.

Als das ganze Ägyptenland durch den treuen Obersten Mauritius wieder zur Ruhe gekommen, hat er bei seiner Legion, die meistenteils im christlichen Glauben geboren, so viel vermocht, daß sie aus Eifer eine Wallfahrt nach dem heiligen Land unternahm, die Stätten zu besuchen, wo Christus Jesus, unser Erlöser, die Marter erlitten und unser Heil mit seinem Blut erwirkt. Zu Jerusalem hat sie der Bischof Zambda angetroffen und sonderlich wohl empfangen, und die, welche noch nicht Christen gewesen, wurden von ihm im Evangelium unterwiesen und getauft. Damit war die ganze thebäische Legion zum christlichen Glauben bekehrt, und die Märe davon kam bald



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nach Theben in die Stadt und erscholl im ganzen Ägyptenland. Nun entstand in Gallien eine Empörung wider die römische Obrigkeit, und Diocietianus rief die bäische Legion aus Ägypten ab unter dem Schein, daß man ihrer höchlich bedürfe, während doch beide Kaiser des Vorhabens waren, alle gottseligen Christen, die wegen ihres unsträflichen Wandels einen guten Namen erlangt hatten, außerhalb ihres Vaterlandes zu vertilgen.

Nach Zurüstung dessen, was auf solcher weiten Reise vonnöten, zog die Legion der mächtigen Meerstadt Alexandria zu, sich daselbst auf die verordneten Schiffe zu begeben. Da sie zu Rom eingerückt, gab Kaiser Diocietianus Mauritius den Befehl, Maximianus, dem andern Kaiser, stracks nach Gallien zu folgen. Mauritius aber eilte mit seiner Legion über den Pofluß und den Jupiterberg 1 ins Unterwallis und traf den Kaiser mit seiner ganzen Kriegsmacht zu Octodurum 2 rastend. Dieser beschloß, sobald man durch die Clus zu Agaunum 3 hindurchgekommen, den Feind anzugreifen. Zuvor aber wollte er seine Abgötter mit einem stattlichen Opfer versöhnen und befahl seinem ganzen Heer, auf dem neu errichteten Altar öffentlich zu schwören, daß alle wider die Aufrührer in Gallien und gleichfalls wider die Christgläubigen als der römischen Götter tödliche Feinde streiten wollten.

Über diesen strengen Befehl entsetzten sich nicht allein die bäische Legion, sondern auch andere Christen mehr, die unter verschiedenen Fähnlein und Hauptleuten den römischen Kaisern dienten. Denn solche abgöttischen Opfer waren ihnen zuvor niemalen zugemutet worden. Und weil Secundus am kaiserlichen Hof wohl verdient und in großem Ansehen war, trat er im Namen der ganzen Legion vor Maximianus mit der Bitte, daß er ihnen und allen Christen solche Opfer erlassen möchte. Der Kaiser aber ergrimmte und gebot, Secundus ge-1



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fangen zu nehmen und dem Vogt Agrestius in der Stadt Vintimilium zu überantworten zur Hinrichtung.

Mauritius hielt es auf den Rat seiner vornehmsten Befehlshaber für das beste, das Lager vor Octodur abzubrechen und nach dem Städtlein Agaunum zu rücken, um so mit Glimpf den unchristlichen Geboten des Maximianus auszuweichen. Der Kaiser aber schickte ihnen ohne Verzug etliche Trabanten nach, sie in das Lager zurückzurufen. Denen antwortete Mauritius sanftmütig, daß sie nach Agaunum gezogen, damit sie als wahre Christen nicht ihr Gewissen beschwerten mit dem Götteropfer. Im übrigen wolle die Legion zum Kaiser halten und das römische Reich beschirmen, auch, wenn es geschehen müßte, ihr Leben dafür einsetzen.

Über diese tapfre und christliche Antwort ward Maximianus zornig, und er befahl ohne alle Barmherzigkeit, je den zehnten Mann, wie sie in ihrer Rüstung standen, nach römischer Gewohnheit mit Ruten zu schlagen und zu enthaupten, damit jeder sehe, wie ernstlich man forthin mit solchen Ungehorsamen verfahren werde. Und wie blutdürstige Wölfe eilten die dazu bestellten Soldaten, des Raubs begierig, sogleich nach Agaun, das Blutbad anzurichten.

Nach dieser tyrannischen Tat traten die Abgesandten des Kaisers wieder vor Mauritius und seine Legion, sie zu ermahnen, daß sie jetzt mit ihnen nach Octodur zurückkehren, das allgemeine Opfer verrichten und sich mit dem Kaiser versöhnen sollten. Allein die ganze Schar der Thebäer gab wiederum die Antwort, sie wolle sich zu Schutz und Schirm des römischen Reiches gebrauchen lassen, aber seinen Göttern könne sie nicht dienen. Die kaiserlichen Botschafter zeigten Maximian an, daß keine Hoffnung bestehe, die bäische Legion von ihrem Glauben abzubringen, ja, daß sie eher den Tod erleiden würden als sich zu dem Opfer zwingen zu lassen.

Da ihm dies vorgetragen wurde, wollte Maximian voller Hoffart und Grimm, als wäre seiner Majestät eine Schmach widerfahren, unverzüglich die ganze Legion töten lassen. In Anbetracht der Stärke seiner Feinde jedoch mäßigte er seinen



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Zorn und gebot, wiederum je den zehnten Mann, wie es die Ordnung gäbe, hinzurichten in der Hoffnung, daß endlich der übrige Haufe sich dem kaiserlichen Willen beugen werde. Allein jetzt trat der Fähnrich Exuperius mit seiner Fahne vor seine Mitsoldaten und ermahnte sie mit kräftigen Worten zur Standhaftigkeit im Glauben und zur Geduld, die Märtyrerkrone zu erlangen. Darauf beschlossen die Thebäer abermals einhellig, man sollte dem Kaiser das Opfer nicht bewilligen.

Solche Rede der thebäischen Legion ward ihm alsbald angezeigt und hinzugefügt, alle Mühe sei verloren. Denn obschon ihr Haufe nunmehr zweimal sei gemindert worden, so wollten doch die übrigen vom christlichen Glauben nicht abstehen, worauf Maximian tief ergrimmt sprach: «Wie dürfen nur meine Kriegsknechte meine Anordnung des Opfers so oftmals verachten? Darum eilt in Haufen auf die Thebäer los! Haut, stecht und zerhackt diese Widerspenstigen! Laßt sie durch eure Wut erfahren, wie groß die kaiserliche Macht Maximiani und die Würde der Götter des römischen Reiches! Überdies soll jedem meiner Soldaten, der einen Thebäer umbringen wird, zufallen, was dem Erschlagenen gehört hat!»

Darauf zog ein ganzes Heer gegen die Thebäer und umringte sie mit wildem Geschrei und Getümmel. damit keiner entweichen könne. Da lösten diese freiwillig ihre Ehrengürtel, legten die Waffen von sich, und also wurden ihrer alle, Junge und Alte, erschlagen. Und am grausamsten gingen die römischen Söldner mit den Häuptern der Legion um, mit Mauritius, dem Obersten, Exuperius, dem Fähnrich, und Candidus, dem Kriegsrat, die sie schändeten, stießen und schlugen, ehe denn sie diese töteten. Die frommen Thebäer aber befahlen ihre Seelen Gott dem Allmächtigen und hatten des Hauens und Würgens kein acht, und es ward das ganze Erdreich ringsum bedeckt mit den Leibern der Märtyrer, und ihr Blut floß in den Rhodan. Das geschah den 22. Herbstmonat im Jahre des Herrn 297.

Den Platz Agaunum, wo der Maurizische Haufe für den christlichen Glauben gestorben, suchten hernach von überall



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her fromme Männer auf, die Märtyrer zu verehren. Das Schwert des heiligen Mauritius ward von ihnen aufgehoben und später von den römischen Kaisern deutscher Nation für würdig erachtet, zum Reichsschwert erhoben zu werden, das die Herrscher mit den übrigen Reichskleinodien lange Zeit auf der Kyburg verwahrten.

Noch später geschahen zu Agaunum auf dem Feld am Rhodan, wo das Blutbad stattgefunden, allerlei Zeichen. Als der Bischof Martinus von Rom durch das Walliser Land zog, begab er sich, von den dortigen Klausnern unerkannt und mißachtet, an den Ort der Marterung, nahm ein Messer, ein Büschel Gras aus dem geweihten Boden zu stechen, und wie er dieses aufhob, floß Blut daraus.

Endlich Anno 513 erbaute der fromme Burgunderkönig Sigismund daselbst ein Gotteshaus samt einem Kloster zu Ehren des Mauritius und seiner thebäischen Legion. Und dies ist die erste fromme Stiftung solcher Art im Schweizerland gewesen.


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