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Kapitel 

Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Die versunkene Stadt

Es ging gegen Mitternacht. Da stapfte ein Mann, sein Pferd am Zügel hinter sich herziehend, den Weg hinan, der zwischen Unterseen und Beatenberg die waldigen Hänge emporführt.

Der Mann schien müde, wie sein Pferd. Er war am Morgen :n aller Frühe von Beatenberg aufgebrochen und in Geschäften ins Unterland geritten, hatte am Nachmittag den Markt in Unterseen besucht, sich daselbst gesäumt, und kehrte nun zu solch später Stunde nach seinem Heimatdorf zurück.

Es war im Spätherbst, die Nacht düster. Schaurig wehte der Wind durch den Wald. Nur dann und wann trat der Mond aus grauem Gewölk hervor und warf sein gespenstisch Licht über den Weg.

Der Mann — eine kraftvoll hohe Gestalt, in einen Reitermantel gehüllt und den Federhut auf dem Kopf — kümmerte sich nicht darum . Er hatte den Weg schon hundertmal zurückgelegt und fand ihn auch im Dunkel. Er war von einfach schlachter Art, wenngleich begütert und von angesehnern Namen, war einem jeden Menschen wohlgesinnt und bemüht, in allen Dingen nach dem Rechten zu sehen.

Wie nun der müde Reiter den dunklen Bergwald hinanschritt, seinen Gedanken nachhängend, das Rauschen der Bäume und das einförmige Hufgeklapper seines Pferdes im Ohr, da raschelte es plötzlich im Gehölz. Er wandte den Kopf nach der Seite und gewahrte , wie ihn zwei Augen durch die Nacht anfunkelten. Gleich darauf trat auch die schlanke Gestalt einer Frau an ihn heran und fragte in flüsterndem Tone:

"Hast du ein mitleidig Herz für eine Unglückliche?

"Ich trau mir das zu antwortete der Mann, schnell gefaßt und ohne einen Augenblick zu zögern.

"Hättest du Geduld, mich eine Stunde anzuhören?" fragte die Frau weiter.

"Wenn dir damit gedient ist, warum nicht.

"Dann folge mir. ES soll dir nichts geschehn.



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Furcht kannte der Mann nicht. Und wenn es galt, einem Menschen sein Los zu erleichtern, dann konnte ihn nichts abhalten, es zu tun.

"Soll ich das Pferd hier lassen ?"" fragte er,

"Nein, führe es mit dir."

Sie bogen vom Wege ab, schritten schweigend den finstern Tannenwald hinan und gelangten nach einer Weile auf die Höhe der Waldegg, wo nach der Sage eine Stadt gestanden haben soll.

Da hielt die geheimnisvolle Frau an.

"Ich bin gleich wieder bei dir", sagte sie leise und verschwand im Gehölz.

Wie jetzt aber der Mann zu sinnen anhob, was ihm wohl die Unglückliche zu sagen hätte, da geschah etwas Wundersames . . .

Er sah sich nebst seinem Pferd auf einmal mitten in einer Stadt. Es war gerade Jahrmarkt, gegen Abend, und die Straßen voll Leben. Bude reihte sich an Bude, mit weisen Tüchern überspannt. Händler boten ihre Ware feil, Wagen und Kutschen fuhren hin und her.

Da sprengte eine Reiterin auf weißem Zelter ) mitten durch die wogende Menge, hielt vor dem Manne an und gab ihm ein Zeichen, sein Pferd zu besteigen und ihr folgen. Er tat es, und beide ritten nun Seite an Seite gemächlich durch die Straßen, vom Sattel hernieder das Leben und Treiben der Leute beobachtend.

Nach einer Weile erreichten sie das Stadttor, gewannen das Frese und ritten nun einem einsamen Waldweg entlang in den stillen Abend hinaus.

Erst setzt warf der Mann einen prüfenden Blick auf seine Begleiterin.

Sie war in ein schwarzes Samtgewand gehüllt. Ein kurzer Mantel hing ihr über die Schultern, und ein Federhut beschattete das feingeschnittene , doch totenblässe Gesicht. In der einen Hand hielt sie die



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Zügel, in der andern aber ein Paar gestickte Reiterhandschuhe mit goldnen Spitzen.

Nachdem die beiden eine Weile langsam dahingeritten, wandte sich die blasse Frau plötzlich ihrem Begleiter zu und hub in leisem, doch leidenschaftlich erregten Tone, wie er ihn vor kurzem im Walde drunten vernommen, zu sprechen an:

"Nun hör auf meine Worte. Ich lebt' vor langen langen Jahren in dieser Stadt, war das einzige Kind vornehmer Eltern und wurde, ach, als solches auch erzogen. Alles an mir gefiel ihnen, und ich durfte tun, was mir beliebte. Es gab keine Laune, der sie nicht nachgegeben, keinen Wunsch, den sie mir nicht erfüllt hätten. Ich war eitel — sie kleideten mich in Samt und Gelde. war hochmütig, prahlte vor andern Kindern mit unserm Haus und unserm Reichtum sie fanden das natürlich. Ich war grausam, hatt' meine Lust daran , ein jeglich Tier zu quälen und junge Hunde und Katzen zu ersäufen , auch draufloszulügen, wo es meinen Zwecken diente — sie wußten das und ließen dennoch mich gewähren. Und also wuchs ich auf, ward glücklich nicht, ward nie zufrieden, und statt das giftige Kraut, das sie mir eingeboren, aus Fleisch und Blut zu tilgen, gedieh es weiter, ward zum gewaltigen Schlinggewächs, am Ende mir und andern zum Verderben. Zum Weinen ist's, was Eltern sündigen an ihren Kindern, und nur in Zucht und Strenge kann der junge Mensch gedeihn und fühlt sich glücklich.

Die Frau seufzte tief auf und blickte einen Augenblick verloren vor sich hin. Dann fuhr sie fort:

"So wuchs ich auf zur schön und stolzen Jungfrau — schön nach außen, von der ganzen Stadt bewundert, im Innern aber voller Leidenschaften, die jeden Augenblick, weil nicht gebändigt, gleich wilden Tieren auszubrechen drohten. Zum Spielzeug wurden mir die Männer. tändelt' nur mit ihnen, und alle beugten sie sich meinem Willen. Doch lieben tat keinen.

Auf einmal aber fing es auch in meiner Seel zu brennen an, und einem Wahnsinn gleich erfaßte mich die Lieb zu einem großen



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blonden Mann mit blauen Augen, nicht schön, doch edlen Anstands und voll hoher Denkungsart, der erst vor kurzem in die Stadt gezogen und in den Kreis der jungen Leut getreten war. Ich wußte nicht, woher er kam, noch, warum mein Herz gerad für ihn entbrannte - 's war wohl, weil er all das zu haben schien, was den Mann ausmacht in meinem Sinn. Ich war von da an wie verwandelt , war wie ein demütig Kind. Ich drängt' mich oft in seine Nähe, ging oft an ihm vorbei, war glücklich, ihn zu sehen, selig, wenn er mit mir sprach, an jedem Tage hoffend, daß auch sein Herz für mich höherschlagen möchte.

Die Zeit verstrich. Zur verzehrnden Glut wuchs meine Liebe. Er aber blieb kühl und gemessen wie zuvor.

Da geschah's, daß auf der Jagd wir beide, von den andern fern, uns trafen in einsam abgelegner Gegend. Da versagt mit einemmal mein stolzer Wille, und ich gestand ihm meine Liebe. Er aber sah mich an und sprach:

"Ich kannte dich, eh du es ahntest, eh noch die Liebe ihre Netze um dich schlug. Du bist wohl schön, und herrlich wärs, wär auch die Seele gleich beschaffen wie dein Körper. Die aber ist ein Garten ohne Gärtner , darin des Unkrauts viel, doch wenig Blumen. lieb dich nicht.

Er hatte wahr gesprochen. Mir aber schien, als hätt' mich jemand ins Gesicht geschlagen. Weiß ward wohl die Wange, weiß mein roter Mund, es glitt die Hand hinab zum Gürtel — hätt ' ich den Dolch daran gefunden, fürwahr, ich hätt ' ihn auf der Stell getötet. Mir das! schrie es in meiner Seele. Mir das! Und glühend wie die Lieb zuvor flammt jetzt in mir der Haß empor.

Antworten tat ich nicht, ritt schweigend mit ihm zu den andern. Mein Herze aber brannte vor Begier, den Schimpf rächen, und ich sann zum Untergang des Manns auf eine böse Tat.

Er ritt ein jung und wildes Pferd. Da braucht's nicht viel, es scheu zu machen. Auch wußt ich wohl, daß uns der Weg bei unsrer Heimkehr von der Jagd ganz hart an einem Fels vorüberführen würde, der wandgäh tief zum Fluß hinunterstürzte. Drauf baut' ich



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meinen Plan, drängt' dicht mein Noß ans seinige heran, und wie wir nun im Lauf an der gefährlich Stell vorüberreiten, gab ich dem jungen Tiere plötzlich einen Schlag, und es geschah, was ich vermutet: hochauf bäumt sich der Rapp, dreht' um sich selber, und stürzt, nicht wissend was er tat, im nächsten Augenblick mit seinem Reiter in die Tiefe. Der Schrei des Manns mir jetzt noch gellt im Ohr . . Wie vom Fieber geschüttelt, schauerte die blasse Frau zusammen.

"Kaum war die schrecklich Tat geschehn, da kam die Neue über mich. Doch war's zu spät. Denn mich traf Gottes Zorn, so wie ich es verdient: am Abend jenes Tages war ich eine Leiche.

Doch auch im Grabe fand ich keine Ruh, mußt' seitdem an die hundertmal zu Pferde steigen und mich hinunterstürzen jenen steilen Fels, um hundertfach zu büßen das Entsetzen, das feuer edle Mann in jenem Augenblick empfunden. Heut aber ist s zum letztenmal, daß es geschieht. Doch mußt' ich ehzuvor es einem Menschen klagen, auf daß mein Herze sich erleichtert fühle, und auch, daß du und andre ziehen mögen ein gute Lehr aus meinem Unglück."

Die Frau hielt ihr Pferd an und fuhr fort:

"Jetzt haben wir das Ziel erreicht. Denn sieh: dort unten, wo der Weg sich naht dem steilen Hang, dort ist das furchtbar Schreckliche geschehn, dort hat ein einziger unbedachter Augenblick, aus ungezähmter Leidenschaft geboren, mein Leben und das Leben jenes edlen Manns vernichtet.

Nun aber, auf! Erweise mir noch diesen Dienst und sag mit mir hin zu dem Felsen. Dort gibst du meinem Pferde einen Schlag, und alles ist vorbei."

Dem Manne war, als sei der Wunsch der blassen Frau Befehl. Er sprengte mit ihr zum Felfenrand, sah ihren Zelter schnaubend in die Höhe steigen, hörte einen Schrei, und niederftürzten Roß und Retterin in den Abgrund . . . .

Und wieder ward es Nacht um ihn. Der Bergwald rauschte, der Mond schien hell. Doch als der Mann den Weg zurückritt, den er mit seiner Begleiterin gekommen, da war die Stadt verschwunden.


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