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Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Herr Heinrich von Strättlingen

In frühern Jahrhunderten gab es in unsrer Heimat noch Burgen und Schlösser, deren graue Türme hier und dort aus den schwarzen Tannen der Wälder ragten oder von hohem Felsen niederblickten ins Tal. Darinnen hausten oft wilde Gesellen, Raubritter genannt. Die lebten ohne Zucht und Gewissen auf eigne Faust dahin, stahlen dem friedlichen Hirten seine Kühe weg, überfielen, mit Keule und Speer bewaffnet, den ruhig vorüberziehenden Kaufmann und beraubten ihn feiner Waren, oder führten Krieg mit ihresgleichen oder mit den Bürgern der Städte. Nichts war diesen Leuten heilig, nicht Tier, nicht Mensch und sein Eigentum, und Raub und Mord oder Trunk und Spiel das einzige, woran sie Vergnügen fanden.

Ein Ritter andrer Art war der junge Herr von Strättlingen, dessen Schloß sich unfern vom Seeufer zwischen Spiez und Thun erhob. Er muß, also wird uns berichtet, ein schöner Mann gewesen sein. Blonde Locken umwallten sein edel Gesicht, und ein langes Kleid mit goldverziertem Kragen und goldnem Gürtel umschloß seine hohe Gestalt. Und vornehm wie sein Aeußres war auch sein Herz, das stets bereit, einem jeden Menschen Gutes und nichts Böses zu tun.

Herr Heinrich spielte gerne auf der Laute, und die Klänge, die ihren Satten entquollen, waren ihm lieber als der Schwerter Klang. Dazu sang er mit seiner mächtigen Stimme herrliche Lieder, sang von der Schönheit der Frauen, von Sonn' und Blumen, wenn der Frühling erwacht, von der Liebe felger Lust und ihrem Leide. Doch auch in der Liebe galt diesem Mann ein reines Mädchenherz mehr als aller Glanz und Reichtum, und manch esne stolze Ritterstochter wartete vergeblich auf den Tag, wo er um ihre Hand anhalten und sie als Braut auf sein Schloß führen würde.

Es lebte aber um jene Zeit drüben über dem See am Hünibach, einem Wässerlein zwischen Oberhofen und Thun, ein fromm Mägdelein, Stha genannt. Die hatt ', also stehet in Büchern zu lesen, einen goldnen Blumenkranz im Haar, hatt' spiegellichte Augen und ein



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Mündel rot, und trug ein grünes Kleid, das an Hals und Händen mit Gold eingefaßt und mit goldnen Querstreifen gezieret war. Ihr Vater, Herr Gerhard, hatte unschuldig fast all fein Hab und Gut verloren und war darüber aus Herzenleid gestorben, Frau und Töchterlein in Armut zurück lassend. Nun fügte es aber der Himmel, daß der reiche und vornehme Herr von Strättlingen das arme Mägdlein kennen lernte, und ihr, da sie also züchtiglich und demütig war, seine Liebe schenkte, auf daß erhöhet werde, wie das oft geschiehet, die da bescheidentlich gesinnet sind.

Es geschach nun oftmals bi nächtlicher Wile — also fährt der damalige Geschichtenschreiber in seiner altertümlichen Sprache weiter — wann der Mond stand am Himmel und tät werfen sin milden Glanz über das dunkele Wasser, da ritt der gut Herr Heinrich von sinem Vaters Schloß hinab zum See, bestieg allda ein Schifflein und ruderte selbsteigen dem Hünibache zu. Aber mitten uf dem Wasser zündet ' er ein Scheit Kienholz an und macht ' ein feurig Zeichen damit , drü Mal im Kreis geschwungen, und löscht's dann plötzlich us, daß es gar wundersam war zu sehen, und den Lüten Bucht, es spg ein bös Nachtgespenst.

Dem war aber nit also. Denn Fräulein Itha verstand solch Zeichen gar wohl, und freut ' sich deß in ihrem jungen Herzen us der Maaßen. Und wie nun Herr Heinrich landet' und still das Ufer hinauf eilet ', da fand er sin Herzlieb warten bi dem kleinen Steg, der über'm Bache lieget, und führt' es zum Bächihölzlin *) unter etlich Buchenbaum, und faßen allda vertraut in dem Waldeszelt, und koseten, also wie das etwa noch niemand in aller Süßigkeit hätt' ufschrieben könnt.



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Dieweilen aber menschlich Sachen all wandelbar, und vorab Liebesglück unstet ist, also hat das auch der edel Herr Heinrich zu sinem großen Herzenleid erfahren müssen.

Es geschach nemlich uf ein Tag, daß Herr Wolfhart, der ein Zwingherr war zu Oberhofen, us zu sagen ritt, und kam gen Abend hin, da Fräulein Itha mit der fromm Mutter wohnete. Er sach das Fräulein in dem Wurzgärtlein steh'n, und wundert' sich ob ihrer lichten Schönheit sehr. Dieweil der Herr aber ein ungeschlachter Degen war und eines wüsten Angesichts, auch sonst nit ritterlich gen dem süßen Frauengeschlechte, mocht ' er sich nit getrauen, die schöne Maid zu gewinnen mit Sucht und Minnedienst, also daß er daruf dacht', sin Willen zu han durch Gewalt und Hinterlist.

Herr Wolfhart hatt' gar bös und tückisch Knecht, deren er etlich uschickt', und ließ das Fräulein hinweg führen des Nachts, und ihr Häubelin und Handtüchlin in das Wasser werfen, also daß bald ein Geschrey usging, wie das holdselig Mägdelein gar sämmerlich ertrunken wär in dem See. Da klageten denn gar viel, daß solch harter Tod sie betroffen hätt'. Doch füget es des Himmels Güte, daß die fromm und leidend Mutter des so großen Schreckens nit starb und gar viel Trostes fand bi redlichen Lüten, die sich höchlich verwunderten der bittern Armut, darin die gute Frau lebt', dieweil das Fräulein Stha nit viel Klagens se davon gemachet hatt'.

Was aber dem Fräulein geschach in dem Schlosse, da sie gefangen saß, zu Oberhofen, das kann einer glauben, und hatt' der Zwingherr doch kein Glück nit, und wollt ihm nit werden, was sin bss Herz bebegehrete. Drum, und als sich der Herr verschmähet sach von der minniglichen Maid, ergrimmet' er heftiglich, und ließ sie werfen in den finstern Turm, da siner Widersacher viel er hat verderben lassen, und wollt' nit genennet haben ihren Namen, bis sie gar verschmachtet wär. Das geschach aber nit, dieweil ein alter Mann Mitleid hatt mit dem gefangen Mägdelin und sie heimlich mit Speis und Labung erquickete.

Wie nun uf ein Tag der gut Herr Heinrich auch wieder kam gefahren



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über den See und wollt' finden sin feines Lieb, und es aber nit fand an dem Steg, und den Buchen nit, da ward sin Herz beschweret us der Maaßen. Er fraget aller Stille den Sachen nach, und ward ihm bericht't von dem Häubelin und Nastüchlin, und da glaubet er's am End selber, dieweil das schön Mägdlein gar oft am Wasser zu wandeln pflegt', und doch das Ufer von der Wellen Ansprung gar übel unterfressen war.

die Betrübnis des edelen Herrn, als er solch grimmen Unfall vernommen, kann nit in Worte gefasset werden. Er riß sich sin gelbes Haar us und jammert lut, daß er uf Erden nie mehr solch Mägdelein tät finden. Und ging hin in das Buchenwäldchen, und setzt' allda mit siner Hand einen Marfelstein ) zu einem Andenken an fein Lieb, und schnitzet' daruf fein säuberlich ein abgeknicket Veilchen. Darunter aber grub er in Reimesweis, wie hernach stehet:

Mir tät für minen ganzen Lenzen
Ein einzig Blümlein gnuog erglänzen.
Nun Itha nieder liegt, als welk ein Veil,
Wird auch kein Frühling se min Tell.

Und über etwas Zit, da macht' der edel Herr von Strettlingen sich uf und wollt' in diesen Landen nit fürder syn, und ritt gen Hof zu einem Herzogen in Schwabenland und wollt' sechen, ob er verwinden könnt sin Herzenleid. Er vermocht' es aber nit, denn uf allen Wegen vor sinen Augen stand das abgebrochen Veil, da kunnt er sich nit andrer Blumen se gefreuen, und auch nit sines schönen Saitenspiels.

Da geschach es, daß Ritter Wolfhart gar eines unverfechnen Todes verblich, also wie oft plötzlich hinfahret ein böser Mensch in siner schweren Sünd und Missetat. Und als nun der junge Herr Walther, des Herrn Wolfharts einziger Guhn, die Herrschaft übernahm, da ließ er ziechen us dem Schloß, was da gefangen saß, um durch Milde wieder gut zu machen, was der Vater gesündiget hatt'. Also auch



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ward in ihre Freiheit gesetzet die holdselig Fräulein Itha, die sich setzt fast glychet einem Marterbild, mehr wyß denn roth.

Es eilet alsobald die fromme Maid zu ihrer Mutter, die trurig saß bi frömden Lüten, und beklaget hatt' das herzliebe Töchterlin. Dann aber bezähmet die holdselig Maid nit mehr ihr groß Verlangen, und ging zu dem Hölzlin, da einst sie gar oft gewandelt mit Herrn Heinrich ihrem Fürgeliebten, deß sie in der Zit allstet gedenket hatt'.

Da machte denn das Mägdlein gar verwunderliche Augen, als sie allda ihr eigen Grab ersach und las die Denkgeschrift daran, derweilen sie doch mit lebendem Leibe herum gehet. Doch war gar bald auch des Fräuleins Herz betrübet ob des edlen Ritters Abwesensein in also fernen Gauen, und hätt' auch ihm setzen dürfen ein solches Mal, was aber unterblieben ist, dieweil von sinem Tod keine Mahr ins Land nie kommen war. Und wie jetzt das Mägdlein weiter darüber sinnet, da fasset' sie ein gar sonderbar Beschluß und ließ dar setzen einen zweiten Marfelstein neben den ersten, und daruf hauen ein ander Veil. Das aber stand gerader denn ein Bolz, und war darunter geschrieben ein Reim mit etwa solchem Bericht:

Wohl tut der Wintersturm es schicken,
Daß Blümlein als ertödt sich bücken.
Wann aber Lenz her kummt mit lichtem Schyn,
Bald wieder sie ganz ufrecht syn.

Nach zwey oder drü Zahren ward der gut Herr Heinrich aller Pracht und Hoffart in frömden Landen müd, und kehrt' in allem Stillen heim, da auch grad Herr Rudolf, sin Vater, großem Siechtum lag und nach sinem Suhne verlangte, auf daß er ihm möcht Schloß und Herrschaft überantwurten.

Wie nun der Junkherr von Thun us ritt, da gemahnt's ihn mächtiglich , daß er sollt' zu den alten Buchen gahn, allwo er sinem Lieb den Denkstein ufgerichtet hatt'. Also trieb er sin edeles Roß fürbas, und kam ungesäumet ins Hölzlin hinuf, tat vom Rößlin springen



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und eilet voll Weh und Drang den Pfad hinan, der ihn zum Denkstein führete.

Der großen Verwunderung aber war kein Maaß, als nun der gute Herr Heinrich die zwey ufstehenden Male sach, und las den gar trostrychen Spruch uf Fräulein Ithas Marfelstein, und betrachtet' den ufrechten Stock des Bells. Je und se ein unbändig Mann, sprang er vor Freuden hoch empor, und warf sin Hände nach allen Siten hin, als wollt' er greifen, ob es irdisch Ding noch wären da herum. Er hüpfete dann uf sin Roß und ritt durch Dick und Dünn und Stein und Gedörn zu dem kleinen Husele hin, da Fräulein Stha samt der alten Mutter ehmals gewohnet hatt', und stürmet hinyn ohn Ufenthalt mit aller Manneskraft, daß Niet und Nagel wichen. Darob ent



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satzten sich die Frauen gar sehr, daß sie fliechen wollten us dem Fensterlein , und doch sich umsachen nach dem grimmen Ungetüm.

O was großer Freuden folget' Setzt aber da dem langen Herzenleid! Denn Fräulein Itha erkannte gestracks den viel lieben Herrn Heinrich, dem sie ganz ihr Herz verlobet, auch wann sie nit gewußt', ob er ihr die lange Zit her treu geblieben wär'. Da hätt' ob all dem Herzen und Umfangen nit ein Bienlein mögen unverdrucket inmitten fyn, und ward geküsset, die verlornen bösen Jahr mit ganzem Ernst zu bessern.

Erst am späten Abend, wann in den Bäum' die Nahtegal, das guot Vogelin, zu schleuchzen anhob, brach Herr Heinrich uf, und ritt im Sternenschyn nach sin Vaters Schloß. Und fand allda den guten Herrn us der Maaßen siech, doch hoch gefreuet, daß er sin Suhn noch vor dem Tode sechen kunnt.

Der gute Herr Heinrich, als der Herr Vater war gestorben, tat sin Bestes, daß guter Fried' im Lande blieb, und all sin Volk war ihm ganz freudiglich zugetan. Und uf einen Tag geschach es, daß er sin teures Lieb . . .



***
Hier bricht leider die Handschrift des damaligen Geschichtenschreibers ab. Indessen dürfen wir getrost annehmen, Herr Heinrich habe nun sein teures Lieb als Schloßherrin an seine Seite gesetzt und sei mit ihr glücklich gewesen bis an sein Ende.

Copyright: arpa, 2015.

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