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Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Die feindlichen Brüder

Etwas unterhalb Zweisimmen liegt auf sonniger Höhe ein Weiler, die Hofstätten genannt. Er besteht aus einem Dutzend heimeliger Wohnhäuser, die von mächtigen Ahornbäumen beschattet sind, und gewährt einen weiten Blick über das anmutige Tal der Simme und hinauf zu den Hängen und Felsen des Niedtrhorns.

Hier oben lebte vor Zeiten ein Mann. Der war alt, und als er seine letzte Stunde nahen fühlte, rief er seine beiden Söhne zu sich und sprach:

Ich habe mein ganzes Leben hart gearbeitet und es damit so weit gebracht, daß ich euch, meine Söhne, ein stattliches Haus sowie auch ein ordentliches Stück Land als Erbe zurücklassen kann. Verwaltet es gut, haltet treu zusammen und vergeßt der Worte nicht: Friede ernährt, Unfriede zerstört.

Sprach's und schloß die Augen.

Ein paar Jahre lebten die beiden Brüder, der Worte des Vaters gedenkend, friedlich beisammen, aßen am gleichen Tisch, bestellten das gleiche Feld, mühten sich und teilten Freud und Leid redlich miteinander.

Das Hauptstück, das der Vater hinterlassen, war eine prächtige Wiese, die sich bis weit zum Wald hinüber erstreckte. Mitten hindurch floß ein klares Bächlein, und neben diesem stand, auf vorfprlngender Anhöhe, ein mächtiger Ahorn, unter dem eine Bank zum Ruhen einlud.

Es war an einem schönen Maiabend. Der Duft der Blüten, die sinkende Sonne, du Fels und Grat vergoldete, lockten ins Freie. Also wanderten denn auch die beiden Brüder nach dem Essen über die Wiese hinauf zum Ahorn und ließen sich hier auf dem Bänklein nieder.

Eine feierliche Stille ruhte über Berg und Tal. In diese Stille hinein tönte, doch ohne sie zu stören, das friedsame Geläute der Kühe, Vie ringsherum weideten, es lispelten die jungen Blätter im



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Ahorn, es plätscherte zu ihrer Seite das Bächlein. Vom Tale herauf, vom weißschimmernden Kirchlein Zweisimmen, hallten wie ein Abendgruß die letzten Glockenklange an ihr Ohr, derweil am Himmel droben ein paar goldumfäumte Silberwolken langsam der Ferne zustrebten.

In solch geweihter Stunde, wo die Hände ruhen und es ist, als ob ein Engel segnend über die stillen Felder schreite, da öffnet sich das Herz gleich dem eines vertrauenden Kindes, und der Mund spricht Gedanken aus, die im sorgenden Alltag ungesprochen bleiben. Also erging es setzt den beiden Brüdern, nachdem sie ein Weilchen stumm und ergriffen in den sinkenden Abend hinausgeblickt. Es legte plötzlich der ältere seine Hand in die des jüngern und sprach mit bewegter Stimme:

"Wie schön ist es doch hier oben! Und gar jetzt, in dieser Zeit, wo alles wächst und blüht. Wie würde sich der Vater freuen, könnte er das auch heute wieder sehen! Und wegen uns beiden, mein ich, brauchte er sich nicht zu grämen, leben wir nun doch schon etliche Jahre zusammen, ohne uns auch nicht ein einziges Mal gezankt zu haben. Und so soll es bleiben."

Der jüngere drückte des ältern Hand.

Ja ", sagte er, ihm warm ins Auge schauend, "so soll es bleiben, solange wir leben. Eher möge dies Bächlein, das setzt so friedlich dahinfliegt, zum Wildbäche anschwellen und unsre schöne Wiese mit Schutt überfluten oder sie gar in die Simme hinunterspülen, als daß wir uns se entzweien werden!

"Das walte Gott! antwortete der andre.

Zwei Jahre nach diesem Frühlingsabend verheirateten sich die beiden, und das väterliche Erbe mußte geteilt werden. Alles ging friedlich vonstatten. Als man aber auf die Ahornwiese zu sprechen kam, hub der Streit an. Seiner Frau zuliebe wollte sie keiner dem andern überlassen, und die Abschiedsworte des sterbenden Vaters, alles gütlich zu schlichten, waren auf einmal vergessen. In den leidenschaftlichen Streit mischten sich auch die Verwandten; von den



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Nachbarn hielten es die einen mit diesem, die andern mit senem Bruder. Bald kam es so weit, daß die beiden Brüder, die bisher keinen Tag getrennt leben konnten, sich mieden wie Feinde. Die Scheidewand zwischen ihnen ward höher und höher, und da alle Versuche , sie zu versöhnen, fehlschlugen, mußte am Ende der Spruch des Richters entscheiden.

An jenem Tage, da der Richter sein Urteil gesprochen, widerhallten am Abend die Räume des Gasthauses in Zweisimmen von den Flüchen der beiden Brüder. Der Unterlegene gebärdete sich wie toll, beschimpfte den Richter und verwünschte seinen Bruder. Dieser blieb die Antwort nicht schuldig, und also waren die beiden nahe daran , aufeinanderzustürzen und sich ein Leid zuzufügen, wenn nicht die als Zeugen berufenen Nachbarn dazwischengetreten wären.

Und weiter glomm der Haß und wuchs in schlaflosen Nächten zum Niesen an. Da griff eine höhere Hand in ihr Schicksal.

Ein Monat war vergangen seit senem Gerichtstag. Da starb plötzlich der eine der Brüder an einem Herzschlag und ward begraben. Der andre, von Gewissensqualen gefoltert, weil sein Bruder unversöhnt von ihm gegangen, begann zu kränkeln, legte sich hin und starb nach kurzem Krankenlager.

Wie durch ein Wunder ward jetzt der böse Streit geschlichtet.

An jenem Tag aber, als man den zweiten der Brüder bestattete, begab es sich, daß ein Mann aus Hofstätten in später Abendstunde die Wiese hinanschritt, die so viel Unheil gestiftet hatte. Da tönte plötzlich vom Ahorn her ein Geräusch an sein Ohr: es schien, als ob dort oben jemand sich mit einem Pickel im Kiese des Bächleins zu schaffen mache. Dem Mann ward unheimlich zumute. Dennoch ging er auf den Baum zu und sah sich dort nach allen Seiten um, vermochte aber niemand zu entdecken, obschon es eine helle Nacht und die ganze Wiese im Lichte des Mondes lag.

Gegen Abend des folgenden Tages zogen sich über dem Niederhorn schwere Wolken zusammen, und in der Nacht brach über Hofstätten ein furchtbares Hagelwetter nieder, wie man es in jener Gegend



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noch nie erlebt. Das Bächlein, das bis setzt so harmlos gewesen und auch bei Gewittern nie über seine Ufer getreten, schwoll im Augenblick zum wüsten Wildwasser an, dessen Fluten, mit Schlamm und Schlossen beladen, sich brausend über die Ahornwiese ergossen. Ein Teil der Wiese ward auch gleich fortgerissen und rutschte in den Simmengrund hinab, derweil der andre, als sich am Morgen du Wasser verlaufen hatten, als ödes Schutt- und Steinfeld zurückblieb.

Doch auch diesem Teile der Wiese ward kein langes Dasein mehr beschieden. Jenes seltsame Pickeln am Ahorn droben ließ sich im Laufe des Sommers noch mehrmals vernehmen, und immer brach daraufhin ein schweres Gewitter aus, das ein Stück ums andre in die Tiefe riß, bis endlich auch die letzte Scholle weggefpült war.

Also hatte sich das Wort erfüllt, das der eine der Brüder an senem Maiabend gesprochen: ihre schöne Wiese ward von den Fluten des Baches hinweggefegt, als sie sich entzweiten und in ihren Herzen du Flammen des Hasses aufstiegen.


Copyright: arpa, 2015.

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