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Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Vom goldenen Zeitalter

Gar schön und lieblich sind die tiefer liegenden Täler unsrer Heimat , bedeckt mit grünen Matten und dunklen Wäldern, durchflossen von rauschenden Bächen und blauen Geen. Steigen wir aber in die Hochtäler hinauf, dann blickt uns überall nackter Fels entgegen, zwischen himmelanstrebenden Zacken und Zinken schlängeln sich grünlich schimmernde Gletscher, lagern sich Eismeere mit erstarrten Wogen und klaffenden Tiefen, dehnen sich stundenlange Schneefelder. Kein Haus, kein Baum ist da zu sehen, kein Laut zu vernehmen als dann und wann das Donnern einer Lawine, das Heulen des Windes oder der langgezogene Pfiff eines Lämmergeiers im dunklen Blau des Himmels. Ob in der Ebene drunten das Korn reift und die Rebe blüht — hier oben ist alles kalt und weiß und tot. In wilder Schönheit leben diese Hochlandstäler dahin, einsam und unberührt gleich einem Stück Vorwelt, das erst gestern aus Gottes Hand hervorgegangen.

Dennoch — so erzählt uns die Sage — soll einst eine Zeit gewesen sein, wo auch in diesen Tälern frisches Leben blühte. Um den schäumenden Bach, der den Talgrund hinabfloß, stand hier und dort ein freundlich Dörfchen, breiteten sich blumige Wiesen aus. Tannen- und Arvenwälder bedeckten die Hänge, darüber erglänzten die sonnigen Alpweiden. Auf ihnen weideten, neben den Kühen, ganze Herden von Gemsen das saftige Gras und näherten sich zutraulich den Sennhütten, um aus des Hirten Hand das Salz zu lecken. Von Zank und Streit wußten die damaligen Menschen nichts. Sie taten auch keinem Tier etwas zuleide und lebten glücklich und sorglos dahin wie die Kinder.

Die Kühe jener Zeit waren von gewaltiger Größe. Sie wurden dreimal des Tages gemolken und ergaben einen solchen Ueberfluß an Milch, daß man Teiche graben mußte, sie darin aufzubewahren, und mit einem Schiff hinausfuhr, den Rahm von diesen Milchseen abzunehmen.



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Die ganze Bergwelt unsrer Heimat muß in jenen Zeiten ein gesegnet Land gewesen fein, und überall dort, wo sich heute gewaltige Eisströme zu Tale winden, breiteten sich damals herrliche Alpweiden aus, die man, weil sie über und über mit Blumen besät waren, Blümlisalpen nannte. Eine solche zog sich von der heutigen Blümlisalp ing Kandertal hinab, eine andre von der Jungfrau ins Tal von Lauterbrunnen. Auch die Täler, durch welche sich jetzt die blauen Fluten des Unteraar-, des Lauteraar- und des Gauligletschers ergießen , sollen einstmals solch blumige Alpen getragen haben.

Wenn es nun aber den Menschen allzugut ergeht, werden sie leicht übermütig, und manch eine Sage berichtet uns, in welcher Weise Gott diese Uebermütigen strafte und die Alp untergehen ließ.

Vom Städtchen Thun aus blicken wir voll Staunen hinauf nach der Blümlisalp — senem Berge, der, in die Lücke des Frutigtales gebettet, wie eine gewaltige Burg gen Himmel ragt. ein blendendweißes Gewand gehüllt, liegt sie breit und mächtig da und schaut von der Höhe ihrer Zinnen ruhig und heiter hernieder auf die furchtbar vergletscherte Welt zu ihren Füßen.

Vor Zeiten aber prangte der Berg in grünem Schmucke, und von den Zinnen weg bis hinab zum Felfenhang breitete sich eine herrliche Alpweide aus. Kaum daß im Sommer ein schmaler Streifen Schnee dicht unter dem Gipfel ungeschmolzen blieb. war es denn eine Lust, die Kühe zu weiden, die Alp ernährte Hirten und Herde in reichlichem Maße, also daß ein wackerer Mann das wohl hätte zu schätzen vermögen.

Es hauste aber auf dem Berg ein Senn. Als der sah, wie die Milch in Strömen floß und sein Reichtum mit jedem Tage wuchs, da faßte ihn der Uebermut beim Schopf. Er riß seine alte Hütte nieder und baute sich eine neue aus braunem Arvenholz, mit Täferwerk und blitzenden Fenstern. Statt aus Brettern und Balken richtete er eine Stiege her aus Käselaibern und schweißte sie zusammen mit goldener Butter. Mit Käselaibern ward auch das Dach beschwert, aus Quark



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ein Zaun um die Hütte erstellt. Und um das Maß noch voll zu machen, lebte er von nun an, die reine Sitte des Landes verachtend, mit einer Magd zusammen, einer schamlosen Dirne, und tat dieser alles zuliebe, was er ihr von den Augen ablesen konnte.

Es begab sich aber, daß seine alte Mutter an einem Sonntag zur Hütte hinanstieg, ihren Sohn zu besuchen.

Müde und durstig geworden vom langen Gehen, erreichte sie endlich die Alp, traute aber ihren Augen nicht, als sie den neuen Stafel *) gewahrte und sah, wie alles außen und innen mit Gottes heiligen Gaben hergerichtet und geschmückt war. Auch ihr Sohn, das merkte sie gleich, war nicht mehr derselbe. Statt wie früher die Mutter herzlich zu begrüßen, sie zu Tische zu laden und ein einfaches Mahl bei muntrer Red mit ihr zu teilen, stand der Junge heute breitspurig vor der Tür, neben ihm die Dirn, beide lachten ihr frech ins Gesicht und boten der freundlich Bittenden höhnisch eine Schale saurer Milch, die sie zu alledem noch mit Sand vermischt hatten.

Der alten Mutter schnürte es das Herz im Leibe zusammen. Ohne die Schale zu berühren, wandte sie sich ab und wankte wie zu Tode getroffen die Alp hinab. Als die Frau aber den Waldsaum erreichte, da drehte sie sich um, hob zornglühend die Faust und rief, daß ihre Stimme gellend in den Flühen widerhallte:

"Ihr Berge, brechet nieder und decket zu meinen Sohn und seine Dirn, die Hütte und all sein Vieh, und rächet den Frevel, den er an feiner Mutter verübt hat!

Schlaff sank die Hand nieder, die zornrote Wange erblaßte. Ein Grauen überlief ihren Leib, und vom Schwindel erfaßt fiel sie hin auf den Boden.

Da ging ein Aechzen und Stöhnen durch du Luft, die Bäche begannen zu rauschen. Ueber den Bergen verfinsterte sich der Himmel, die schwarzen Wolken zuckten ein paarmal auf, murrend grollte der Donner nach. Dann — ein Flammenschein, ein fchmetternder Schlag.



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Am Horne droben, dort wo der Schneestreifen erglänzte, hatte sich der Berg gespalten und spie jetzt unter furchtbarem Getöse einen Hagel gewaltiger Eisblöcke und Gletscherscherben aus. Einer Sturmflut gleich ergossen sich diese über die grüne Alp, bedeckten die breiten Matten und zerschmetterten die Hütte, Senn und Dirn und Vieh, und verwandelten du blühende Weide mit einem Schlag in esne Gletscherwüste.



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Im Abendscheine wankte die arme Mutter zu Tal.

"Du hast gerichtet, Gott murmelte sie leise vor sich hin. Sei gnädig nur der Seele sein!



***
Im Dunkel unfreundlicher Nächte, also erzählt die Sage weiter, bewegten sich von da an flüchtige Schatten auf dem Gletscher. Es war der Senn mit seiner Dirn, die beide von Brändel, der Lieblingskuh des Sennen, hin und her gesagt wurden. Ab und zu hörte man den Unglücklichen stöhnen:

Melkt denn keiner die Kuh, die uns so böse verfolgt? Müssen wir ewig verdammt sein ?

Es versuchte aber ein wagemutiger Hirt aus dem Tale, die Kuh zu melken, um die Alp zu erlösen und auch aus Erbarmen mit den beiden Verdammten.

In finstrer Nacht stellte er das grimme Tier, löste vom Euter du Dornen, mit denen es über und über umwunden war, und hub an, es zu melken. Schon hatte sich der Eimer bis zur Hälfte gefüllt, da klopfte plötzlich jemand dem Hirten auf die Schulter und fragte:

"Schäumt's auch wacker ?"

Nichts argwöhnend, versetzte der Hirte:

"Et freilich. Warum sollt es auch nicht ;

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da griffen seine Hände ins Leere. Die Kuh war verschwunden und stellte sich ihm nie wieder.

Denn schweigend nur vollbringt man solch ein rettend Werk.

Jahrhunderte sind seitdem verstrichen. Doch der Bann, der auf dem Berge lastet, blieb ungehoben und wird es wohl bleiben zum ewigen Wahrzeichen dafür, wie Stolz und Uebermut des Menschen Verderben sind.


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