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Kapitel 

Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Das Britschenmännchen

Ein reicher Bauer aus dem Simmental besaß vor Zeiten eine schöne Alp hoch oben am Fuße des Wildstrubels. Er selber ging freilich nur selten hinauf, er überließ es drei Knechten, dort den Sommer über seine Kühe zu hirten.

Diese Knechte waren nun aber etwas leichtfertige Gesellen.

Eines Abends hatte eben einer von ihnen den Britschenreifen mit dem Britschen ) auf den Tisch gestellt. Statt nun daraus einen Käse zu bereiten, griff er in die weiche Masse und hub an, ein Männchen zu formen. Die beiden andern, als sie das sahen, eilten lachend herbei, ihm zu helfen. So erstellte denn der erste den Kopf, der zweite den Rumpf, und der dritte rollte Arme und Veine. Hierauf fügten sie die Teile zusammen und stellten das zwei Fuß hohe Menschlein auf den Tisch.

Befriedigt betrachteten die Sennen ihr Werk. Der dicke Kopf neigte ein wenig auf die Seite, die Augen blickten traurig, aus dem weit geöffneten Munde ragte das Zünglein. Am höckrigen Leib hingen zwei lange Aermchen, die Beinchen waren nach innen gebogen, die Füßchen nach außen gerichtet.

Nun trieben die drei mit dem mißgestalteten Männchen ihren Mutwillen.

Spöttelte der erste:

"Da schaut mir einmal den kleinen Wicht an, wie fein wir ihn hergerichtet haben. Jetzt aber geh, lauf, tu ein paar Sprünge und zeig uns ein bißchen, was kannst.

Das Männchen rührte sich nicht.

Spöttelte der zweite:

"Wenn schon nicht gehen willst, so tu uns den Gefallen und sing ein Liedchen. Mußt sa eine prächtige Stimme haben.

Das Männchen blieb stumm.



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Spöttelte der dritte:

"Und wie stehts denn mit dem Abendgebet ? Hast es schon verrichtet ? Oder kennst das Sprüchlein etwa nicht ? Wart, ich werd es dich lehren. Und damit das Zünglein besser läuft, will ich ihm noch ein wenig nachhelfen.

Ging hin, holte in einer Tasse heiße Käsmilch herbei und goß ihm davon in den Mund. Bog sodann die beiden Aermchen nach innen, also daß die Händchen wie gefaltet in die Höhe ragten, hob den Finger und sagte:

So, mein Bürschchen! Jetzt sprich mir einmal nach, was ich dir vorsage! Und gib gut acht! Es könnte dir sonst übel ergehen.

Und hub an, unter dem Gelächter der beiden andern, in schwülstigem Tone zu beten:

"Unser Vater . . . der du bist . . . im Himmel . . .

Er kam nicht weiter, und jählings verstummte das Gelächter. Wie von einer Schlange gebissen, prallten die drei vom Tische zurück. Ihre Gesichter verzerrten sich. Die Haare standen ihnen zu Berge.

Das Zünglein des weißen Männchens hatte sich langsam zu bewegen begonnen und lallte setzt ein paar Laute, immer dieselben, derweilen der Kopf schwerfällig hin und her wackelte. Nicht lange, da regten sich auch die Aermchen und Beinchen, und erst mühsam, dann ein wenig gelenker, beinelte das seltsame Wesen auf der Tisch



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platte umher, hüpfte plötzlich auf den Boden, von hier auf das Fenstergesims und verschwand in der Nacht.

Nur langsam erholten sich die drei Gesellen von ihrem Schrecken. Dann aber belachten sie den Streich und legten sich aufs Ohr.

Mitten in der Nacht wachte einer der Sennen auf. Hatte da nicht jemand gesprochen ?

Noch schlaftrunken hob er den Kopf und schaute gegen das Fenster. Ueber den Gräten stand der Mond und warf einen bleichen Lichtstreifen auf den Boden des Gadens. Und diesem Lichte schwebte eine kleine Gestalt unruhig hin und her. Er erkannte sie gleich: es war das Britschenmännchen.

Setzt völlig wach geworden, starrte der Bursche erschrocken nach ihm hin.

Den Leib von einer Seite auf die andre werfend, die Arme in der Luft herumschlenkernd, torkelte der sonderbare Gast gleich einem Betrunknen über die weiße Fläche. Und gespensterhaft wie er selber gaukelte sein Schatten neben ihm auf dem Boden hin und her. Ab und zu gurgelte er ein paar abgebrochne Worte hervor, wie einer, der gerne sprechen möchte und doch nicht kann, oder ging wohl auch zum Fenster, klopfte mit seinen stechenden Fingern an die Scheiben und grinste nachdenklich zum gestirnten Himmel hinauf.

Es war für den Sennen ein unheimlich Hinschauen und Hinhorchen. Noch unheimlicher aber erschien ihm das Männchen, als es sich plötzlich nach ihm umwandte und ihn ein ganzes Weilchen bewegungslos anstarrte. Und als es gar wieder Arme und Beine zu bewegen anhub und unter schrecklichen Gebärden auf sein Lager zugetaumelt kam, da packte den Sennen das Grausen, und sein Kopf fuhr im Hui unter die Decke.

Nicht lange, da hörte er auch schon über sich das Schlucken und Lallen, spürte deutlich, wie das kleine Ungeheuer gleich einer Katze auf der Decke herumtälpelte, und ihm lief es heiß und kalt über den Rücken hinab. In seiner Angst, das Scheusal könnte unter die Decke greifen und ihn mit seinen Spinnenfingern erwürgen, hielt er den



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Atem an und stellte sich tot. Und tat nur ab und zu einen kleinen Schnauf, um nicht zu ersticken. Es war ihm gräßlich zumute.

Indessen nahm, wie alles auf der Welt, auch das ein Ende. Er hörte und verspürte endlich nichts mehr, und also streckte er denn seinen Kopf behutsam wieder hervor, um erst nach Luft zu schnappen und sich sodann in der Kammer umzusehen: er war wieder allein und der Spuk verschwunden.

Auch den beiden andern Knechten wartete das Britschenmännchen in den folgenden Nächten mit einem Besuche auf, und von nun an hatten die drei Gesellen keine ruhige Stunde mehr. Es plagte sie fort und fort, erschien ihnen des Nachts im Gaden, hüpfte von hier in die Küche, wo es sich mit Vorliebe am Käskessel zu schaffen machte, oder spukte auf dem Dach und um die Hütte herum. Der Käse, den die Sennen herstellten, blähte sich und verdarb, ein paar Kühe stürzten, man wußte nicht wie das geschah, über die Felsschöpfe zu Tode. Die Sennen hatten setzt das Spotten verlernt, und ihnen ward erst wieder wohl, als sie im Herbst zu Tale treiben konnten.

Die Alp kam in Verruf. Kein Senn getraute sich fürderhin, dort oben das Vieh zu weiden. Das bekümmerte den reichen Bauer sehr, und er fragte bald hier, bald dort, auf welche Weise wohl das böse Männchen zu vertreiben wäre. Doch niemand wußte Nat.

Da kam eines Tages ein Hexenmeister aus dem Wallis ins Tal herüber. Auch dem vertraute der Bauer seine Sorge an.

"Wählet euch im Stall einen jungen Stier aus ", sprach der Hexenmeister , nachdem er ein Weilchen in seinem Zauberbuche geblättert hatte. Gebt ihm reichlich zu fressen, zum Trinken aber nur Vollmilch, und pflegt ihn gut. Tut das sechs Jahre lang, und er wird zum starken Stier angewachsen sein. Dann läßt ihr ihn auf die Alp führen, und alles weitere wird sich finden. Und sollte er's gar mit dem Bösen zu tun haben — glaubt mir, Bauer, er wird auch mit dem fertig werden.

Der Bauer tat, wie ihm geraten. Nach sechs Jahren war aus dem jungen Tier auch wirklich ein gewaltiger Stier geworden, doch fand



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sich weit und breit kein Knecht, der es gewagt hätte, ihn auf die Alp zu geleiten. Schon wollte der Bauer verzagen. Da erbot sich endlich ein Mägdlein, das Wagnis zu unternehmen.

Eines Morgens stieg das wackre Kind die verrufne Alp hinan, den Stier am Seile führend, der gemächlich neben ihm hertrottete.

Kaum waren die beiden vor der Hütte angelangt, da flog die Tür auf und heraus wirbelte das weiße Ungeheuer und stürzte sich fauchend auf den Stier.



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Und ein gewaltig Ringen hub an, ein Brüllen und Toben, als fahre eine Lawine zu Tal. Gleich einer Wildkatze krallte sich der Irrwisch am Tiere fest, bohrte seine stechenden Finger in Hals und Körper, biß und riß und zerrte, also daß das Blut in Strähnen herabtroff . Der Stier, Eisen und Stahl im Leib, den wuchtigen Kopf am Boden, den Schwanz in der Luft, wand und drehte sich, den Gegner abzuschütteln, stand einen Augenblick still wie ein Bock, um im nächsten in hirnwütigem Laufe herumzusagen. Umsonst. Er ward des höllischen Männchens nicht los.

Da — es hatte sich gerade auf seine Hörner geseit — schnellte der Stierkopf mit Riesenkraft in die Höhe, und diesem Ruck war das Ungeheuer nicht gewachsen: es verlor seinen Griff und sauste wie eine Sprungfeder in die Luft. Als es aber nieder kam und kaum den Boden berührte, da war der Stier auch gleich zur Stelle, spießte das böse Männchen auf sein Gehörn und zerstampfte es mit seinen Hufen.

Jetzt war die Alp erlöst. Von jener Zeit an durften dort die Sennen wieder ruhig ihrer Arbeit nachgehen, hüteten sich aber wohl, fürderhin mit heiligen Dingen ihr Gespött zu treiben.


Copyright: arpa, 2015.

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