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Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Die verlornen Kühe

Die Zwerglein wohnten im Winter tief in den Bergen drin. Sommer aber stiegen die muntern Leutchen auf die Alpen hernieder und beschäftigten sich hier ganz wie die Sennen, nur daß sie statt Kühe und Ziegen Gemsen hüteten. Aus der Milch dieser Tiere, die sich ohne Scheu von ihnen melken ließen, bereiteten sie wohlschmeckende Käslein, welche die wundersame Eigenschaft besaßen, daß sie nie aufgingen, wenn man ein Stücklein von ihnen übrigließ. Auch halfen die Bergmännchen oft den Hirten, doch nur solchen, die sich redlich mühten, und knüpften daran gewöhnlich noch ein Gebot, das diese strenge zu befolgen hatten, sollte ihnen kein Schaden widerfahren.

Worin ein solches Gebot etwa bestehen mochte, geht aus der folgenden Sage hervor.

Auf der Alp von Stramen, westlich von Grindelwald, war einst ein Hirte mit Heuen beschäftigt.

Wie er sich nun mitten in seiner Arbeit nach dem Wetter umschaute und sich fragte, ob es bis zum Abend noch halten werde, stand plötzlich ein Zwerglein vor ihm und bat um eine Handvoll Heu. Der Senn sah den Knirps verwundert an, und da dieser nicht größer war als ein siebenjähriges Büblein, rief er lachend:

Et warum auch nicht! Und nimm dir nur gleich so viel, als du in einer Bürde fortzuschaffen vermagst. An einer bloßen Handvoll haben deine Gemslein sicher nicht genug.

Das Zwerglein schien mit diesem Bescheid zufrieden. Es trat in den Stadel ), und bald darauf regnete es Heu aus dem Giebel.

Der Senn schaute ihm zu, verwunderte sich erst, wie flink die Arbeit vonstatten ging, staunte, als in kurzem ein gewaltiger Haufen Heu am Boden lag und traute endlich seinen Augen nicht, als er sah, wie das Wichtlein alles in eine Bürde zusammenband, diese auf seine Schultern lud und sich anschickte, sie fortzutragen. Da rief er:

"Halt, du kleiner Schelm! Also war die Sache nicht gemeint.



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Wenn du mir so viel wegnimmst, wird's um mein Vieh im Winter schlecht bestellt fein.

Das Zwerglein aber sagte:

"Mach dir deswegen keine Sorge. Ist all dein Heu verbraucht, werd ich wieder zur Stelle sein, und alles wird sich finden.

Sprach's, und lief mit seiner Bürde dem nahen Walde zu.

Ein harter Winter zog ins Land, der Frühling war noch fern, da hatte der Senn all sein Heu bis auf ein Restlein verbraucht. Jetzt ward ihm angst und bang um seine lieben Kühe.

Wie der Hirte nun eines Tages auf dem Heuboden hin und her ging und sich in seiner Not keinen Nat wußte, siehe, da streckte plötzlich das Bergmännchen sein Köpflein aus dem Balkenwerk und rief:

"Von heut ab vertraue deine Kühe nur mir an. Du aber geh jeden Morgen in den Stall und verrichte dein Tagwerk, als ob all deine Tiere noch im Stalle ständen. Eins aber mußt du mir versprechen: du darfst während dieser Zeit nicht fluchen oder sonst ein grobes Wort gebrauchen.

Der Mann traute anfänglich der Sache nur halb, willigte aber endlich ein und sprach:

"So nimm sie halt, in Gottes Namen. Auch versprech ich dir, genau zu tun, wie du sagst.

Einen Augenblick später trieb das Zwerglein die Kühe aus dem Stall und über die verschneite Alp hinauf in die Berge. Mit wehem Herzen schaute ihnen der Hirte nach.

Er tat getreulich, wie ihm geboten. Jeden Morgen und Abend ging er in den Stall, zog dort den Kittel an, nahm die Gabel zur Hand und stellte sich, als ob er den Mist fortschaffe. Warf sodann mit Gebärden Heu in den Nechen, führte sein Vieh hinaus zur Tränke, nahm die Melchter, hockte nieder und tat, als melke er eine Kuh um die andre, rief sie beim Namen, pfiff oder summte ein Liedlein und verrichtete alles genau, wie er es zu tun gewohnt war, als die Tiere noch im Stalle standen. Auch gab der Hirte wohl acht, daß seinem Munde kein Fluch oder sonst ein böses Wort entschlüpfte — eine



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Sache, die ihm gar nicht so leicht fiel, da er bisher im Umgang mit den Tieren stets wacker geschimpft und geflucht hatte, wenn nicht gleich alles nach seinem Wunsche ging. Er merkte setzt auch, warum ihm das Zwerglein gerade dieses Verbot auferlegt, und wunderte sich über die klugen und alleswissenden Leutchen.

Eines Abends nun, wie er im Begriffe stand, die Leitkuh, den Gabel, zu melken, oder doch sich vorstellte, er tue es, da riß ihm plötzlich die Geduld: er sprang auf, schmetterte den Melkstuhl in eine Ecke und hub zu wettern an, was das Zeug hielt.

"Das ist sa gar keine Arbeit ", schrie er, "und nur ein Narr kann sie verrichten. Ein Narr ist aber auch der kleine Wicht, der sie mir auferlegt hat. Wär der doch nur droben in seiner Höhle geblieben, statt mir meine Kühe wegzunehmen! Wer weiß übrigens, ob er sie mir jemals zurückbringen wird.

Er beruhigte sich indessen wieder, schämte sich gar der bösen Worte und tat seine Arbeit noch getreulicher als zuvor. Sein loses Maul aber nahm der Senn von nun an fest in die Zucht.

Da lachte endlich der Frühling ins Land, und als der Mann sah, wie setzt das Gras unter dem warmen Strahl der Sonne zu grünen anfing, da ward ihm das Herz schwer, und er sehnte sich mehr denn



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se nach seinen lieben Kühen. Wie würde er sie hätscheln und pflegen! Kein böses Wort sollten sie se wieder zu hören bekommen!

Es war am ersten Maitag. aller Frühe schon öffnete der Senn die Stalltür und tat, als ließe er, nach gutem Landesbrauch, sein Vieh hinaus ins Freie treten.

Da war ihm plötzlich, als höre er den lieblichen Ton des Glockengeläutes . Er schaute auf und gewahrte auf der Höhe der Weide eine ganze Sennerei von Kühen, sieben Stück an der Zahl, die setzt bimmelnd und bammelnd zu ihm herabgeschritten kamen. Das mußten wohl seine Kühe sein. Mit dem scharfen Auge des Aelplers entdeckte er auch gleich, daß sie setzt alle rund und fett geworden. Und neben jeder Kuh sprang, bald mit den Vorderfüßen, bald mit den Hinterfüßen auffchaukelnd, ein lustiges Kälbchen. Hinter dem Häuflein Vieh aber schritt das Zwergmännchen, ein Salztäschlein auf der Seite und eine mannslange Rute in der Hand. Das blickte heimlich lächelnd schon aus der Ferne nach dem erstaunten Hirten, der wenig begriff, wie ihm geschah, und der nur immer das stattliche Vieh anstarrte

Endlich war es völlig nahe gekommen, so daß der Senn auch die strotzenden Euter der Kühe wahrnehmen konnte. Da trat das Zwerglein durch den Haufen hervor, wies, ohne ein Wort zu sagen, nach dem Euter der Leitkuh, legte sodann seine Hand auf den Mund, zeigte nach dem Himmel und wies abermals nach der Kuh hin. Jetzt lief dem Hirten ein Schauer den Rücken hinab: dem Euter fehlte eine der vier Zitzen. Nun verstand er auf einmal die Gebärden des Männchens und erinnerte sich, wie er im leeren Stande gerade diese Kuh, den Gabel, melken wollte, als seinem Munde die bösen Worte entschlüpften.

Den Sennen hat man von jener Stunde an nie mehr fluchen gehört. Er ward, dank dem guten Zwerglein, ein wohlhabender Mann.


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