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Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Von guten und bösen Geistern

In frühern Zeiten glaubten die Bergleute noch an Geister, an gute wie an böse, die in den Lüften wohnten. Die guten wirkten, also dachten sie sich, im Frühling und Sommer und brachten ihnen Freude und Glück. Die bösen dagegen trieben ihr Unwesen im Winter. Die waren Mensch und Tier feindlich gesinnt und erfüllten sie mit Angst und Schrecken.

Ein guter Geist war das Hauri. Das liebte die Menschen und tat für sie, was es nur konnte.

Im Frühjahr streifte das Hauri mit leisen Schwingen über die Alpweiden hin, schmolz den Schnee, lockte Gras und Blumen aus dem starren Boden und bereitete alles her, auf daß die kommenden Gäste einen gedeckten Tisch fänden. Und wenn diese dann anrückten, die Kühe mit den bimmelnden Glocken, die Ziegen mit den klingenden Schellen, hüpfte es ihnen freudig entgegen und kitzelte sie, daß die Tiere vor Mutwillen zu springen anhuben. Es blies dem Sennen ein frisches Lüftchen um die Ohren, damit ihm die schwere Last der Milchgeräte und Lebensmittel leichter erscheine, und breitete auch einen Dunst über die Berge, auf daß der ungewohnte Glanz der Sonne ihn nicht allzusehr belästige.

All diese Wohltaten verrichtete das Hauri indessen im stillen und verlangte dafür keinen Dank. Ja, es ward sogar böse, wenn man von ihm sprach, auch dann, wenn man es lobte. Wer aber dennoch feinen Mund nicht halten konnte, von dem zog es seine Hand ab, dessen Kühe fraßen schlechte Kräuter, gaben wenig Milch und wurden mager, dessen Ziegen kletterten an unzugängliche Orte, wo sie nicht mehr vor- noch rückwärts gehen konnten. Da mußte denn der ungehorsame Hirte Tag und Nacht in den Bergen herumstreichen und am Ende das wiedergefundene Tier auf halsbrechendem Wege zur Weide hinabtragen.

Im Winter dagegen traten die bösen Geister auf den Plan und bedrohten den Menschen mit Tod und Verderben.



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Im Sommer wohnten sie hoch oben in den Eispalästen der Jungfrau und des Finsteraarhorns. Wenn aber der Winter sein weißes Tuch über die Alpweiden gebreitet, wenn in den verschneiten Hütten des Tales die Männer Holzwaren schnitzten und die Weiber an der Spindel zupften, dann stiegen die Bergriesen, die Schnee- und Eisfrauen von den Höhen hernieder, versammelten sich in den Felsschlünden und begannen hier ein seltsames Spiel. Sie scherzten oder heulten mit den Winden, sie stellten sich auf die eisigen Firsten, forderten einander höhnisch zum Kampfe heraus und bewarfen sich nach Knabenart mit gewaltigen Schneeballen. Stürzte der Gegner, vom Ball getroffen, kopfüber in die Tiefe, so jauchzte der ganze Chor der Zuschauer und klatschte in die Hände, daß die Wände donnernd widerhallten.

Wehe dem Wandrer, der in dieser Seit über Eis und Firn stieg! Ihm folgte die Schneefrau auf Schritt und Tritt. Sie lockte ihn durch hellen Sonnenschein höher und höher, sie führte ihn irre durch falsche Bilder von Berggipfeln, die ihre Hand aus Nebeln geformt, sie überfiel ihn mit Hagel und Schnee. Und war die böse Frau endlich des grausamen Spieles müde, dann ließ sie ihn in einsamer Höhe verhungern oder stürzte den Armen in einen Abgrund, in dem man erst nach Jahren seine zerschellten Gebeine fand.

Oft auch vereinigten sich die bösen Geister zu einem gemeinsamen Angriff auf die Menschen im Tal, trugen gewaltige Massen von Schnee und Eis zusammen und wälzten sie als Lawine nieder auf ihre Hütten, Mann und Frau und Kind unter sich begrabend.

War das gute Hauri auch zu schwach, gegen diese höllischen Mächte des Winters zu kämpfen, so tat es dennoch, was in feinen Kräften lag, die Menschen vor ihren Anschlägen zu warnen. Scharrten sie etwa eine Lawine zusammen, dann hörten die Leute des Tales von der Stelle her, von der die Gefahr drohte, eine klagende Stimme, die nicht die Stimme eines Menschen sein konnte. Zögerten sie dennoch, sich zu retten, so warnte das Hauri ein zweites, dann ein drittes Mal. Beim dritten Male aber war es nicht mehr der nämliche Laut.



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Da schienen Himmel und Erde aufzuheulen vor Angst und Sorge, und gleich einem Gewitterschein fleuchte der gute Geist über die bedrohte Stelle. Diesem letzten Warnruf aber folgte fast unmittelbar das Grausen. Ein dumpfes Donnern in der Höhe, und polternd fuhr die Lawine zu Tal, begleitet von den bösen Geistern, die, auf Felsblöcken reitend, sich hohnlachend ergötzten am Untergange der Menschen und ihrer Wohnstätten.

Eine Sage erzählt uns auch, wie gut es das Hauri mit den Menschen meinte.

Ein Knecht mußte jeden Winter im Berghaus auf der Grimsel zubringen, es zu bewachen.

Eines Tages nun, wie der einsame Mann am Feuer faß, die beiden Bernhardinerhunde zu seinen Füßen, vernahm er plötzlich vom Juchlistock her einen klagenden Laut. Augenblick sprangen die Hunde auf, schossen gegen die Tür, öffneten sie selber und flüchteten ins Freie. Der Knecht, im Glauben, ein verirrter Wandrer rufe um Hilfe, folgte ihnen vor die Hütte und schaute sich um. Kein Mensch war weit und breit zu erblicken. Freundlich schien die Sonne, kaum ein Wölklein am Himmel. Nur um die Spitze des Juchliberges schwebte ein blaßroter Schimmer. Der Mann rief die Hunde, die unruhig umherschweiften, und kehrte mit ihnen in die Stube zurück.

Nicht lange, da hörte der Knecht den jammernden Ton zum zweitenmal, jetzt stärker, eindringlicher. Wieder forschte er nach dem vermeintlichen Wandrer. Vergeblich. Der Schein am Juchliberg aber war dunkler geworden.

Er trat wieder die Hütte, nun selber unruhig geworden gleich den Hunden, die setzt zu heulen anhuben.

Und das Unheil ließ nicht auf sich warten. Ueber dem Juchlistock verfinsterte sich plötzlich der Himmel, und dröhnend fuhr eine gewaltige Lawine den Berg hernieder, stürzte sich über das Haus und begrub es unter Schnee und Schutt. Gleich Strohhalmen waren die Sparren des Daches zusammengebrochen, feder Ausgang schien gesperrt. Nur ein Teil der festen Mauern war stehengeblieben und bewahrte



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so das Haus vor dem gänzlichen Einsturz und die Bewohner vor dem Tode.

Erst jetzt erkannte der Knecht, daß das Hauri ihm die Warnzeichen zugerufen. Dieses aber, in seiner erbarmenden Liebe zu Mensch und Tier, hatte noch mehr getan, hatte, über das Haus fliehend, den Deckel des Kamins aufgeklappt und dergestalt den fast Verlornen einen Rettungsweg bereitet. Also kletterte der Knecht vorsichtig durch den Schornstein ans Tageslicht, zog auch die Hunde herauf und eilte fort, die Kunde vom Unglück ins Tal zu tragen.


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