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Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Die Zwerglein im Haslital

Die Zwerglein, auch Bergmännchen genannt, waren kleine Wesen, nicht größer als sieben- oder achtjährige Büblein, und meist mit Spitzenkappe und braunem Mäntelchen angetan. Sie wohnten in Wäldern und Klüften oder auf Felsenspitzen, gruben in der Erde nach Gold und Silber oder hüteten auf den Alpweiden die Gemsen, so wie die Hirten ihre Ziegen hüten. Sie waren von frommer Art, treuherzig und wohlmeinend, liebten das Gute, mieden das Böse und sahen es gerne, wenn auch die Menschen also taten.

Von den Menschen, freilich, hielten sich die kleinen Leutchen meistens fern und lebten lieber still für sich in den Bergen droben. An Orten aber, wo es ihnen besonders gut gefiel, ließen sie sich auch näher zu ihnen heran, und manch eine Sage erzählt uns, in welcher Weise das geschah und wieviel Gutes sie dabei gewirkt haben.

Ein Ort, wo sich die Bergmännchen lange Zeit sehr gern aufhielten , war das Haslital.

Hier stiegen sie oft, besonders zur Zeit der Ernte, von den Flühen hernieder, lagerten sich auf einem Stein oder kletterten auf die Bäume, von wo aus die Leutchen, nach Art der Bögel im Schatten des Laubes sitzend, den Arbeiten im Felde zuschauten. Legte sich nun ein Schnitter, im heißen Sonnenschein müde geworden, zu einem Schläfchen hin, flugs eilten sie herbei, mähten den Acker zu Ende, banden das Korn in Garben und legten obendrein noch Speise und Trank auf den Nasen.



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Suchte ein Kind im Walde nach Erdbeeren, siehe, da war auf einmal sein leeres Körbchen, das es irgendwo stehengelassen, bis zum Rande mit den herrlichen Früchten gefüllt, und neben dem Körbchen lag auch noch ein Gemskäslein. Oder die Männchen legten heimlich schönen Reisig auf den Weg, damit das holzsammelnde Mägdlein nicht allzuweit suchen müsse. Hatte ein Hüterbube sich vergeblich gemüht , eine verstiegene Ziege vom Felsen herunterzuholen, gleich war



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ein Zwerglein zur Stelle und führte sie ihm wieder zu. Und an den langen Winterabenden halfen sie wohl auch den fleißigen Frauen beim Spinnen des Flachses. War die Arbeit schäkernd beendigt, dann nahmen die Männchen einen Knäuel Hanf zwischen die Beine und ritten auf ihm zum Ergötzen der Frauen durch das Fenster in die Nacht hinaus.


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Auch gingen sie Leuten, die ohne ihre Schuld arm geworden, gern an die Hand.

Wohnte da in einem Dörfchen ein Fadenbeißer. Der hatte so viele Kinder, wie es Steinchen auf der Straße gab, so daß seine Frau am Ende nicht mehr wußte, womit sie all die hungrigen Schnäbelchen füttern solle.

Wie er nun eines Abends Tuch zugeschnitten, um daraus ein Kleid zu arbeiten, lag der Anzug am folgenden Morgen fertig auf dem Tisch, genäht, gebürstet und gebügelt. Der Schneider nahm die Arbeit in die Hand, und als er sah, wie alles so sauber und feder Stich wie von Meisterhand gestochen, da lachte ihm das Herz vor Freude, fragte sich aber vergeblich, wer es denn geschaffen.

Eine geraume Zeit ging das so fort. Alles, was am Abend zurechtgelegt war, lag am Morgen verarbeitet auf dem Tisch, also daß der Mann sein ehrlich Auskommen fand und die hungrigen Mäulchen sich wieder satt essen konnten.

Am Ende aber hätte der Schneider gern gewußt, wie das eigentlich zugehe. Er verbarg sich eines Abends, statt zu Bette zu gehen, in der Stubenecke, hinter den Kleidern, die da aufgehängt waren, und gab acht.

Und siehe da! Um Mitternacht kamen ein paar Männchen hereingeschlichen, setzten sich auf den Tisch und buben an, mit flinken Stichen zu nähen, zu putzen und zu plätten, legten zusammen und ließen nicht nach, bis alles zu Ende gebracht und fertig auf dem Tische lag. Dann sprangen sie schnell wieder fort.

Der Schneider, als er das sah, war hoch erfreut und sann dar



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auf, sich den kleinen Helfern dankbar zu erweisen. Er hatte bemerkt, wie sie alle recht ärmlich angezogen und verfertigte also ein paar winzige Kleidchen, die, wie er dachte, für sie passen würden, legte die Geschenklein statt der zugeschnittenen Arbeit auf den Tisch und verbarg sich wieder, um mit anzusehen, wie sich die kleinen Leutchen dazu anstellten.

Um Mitternacht kamen sie auch wieder herangesprungen und wollten sich gleich an die Arbeit machen. Wie die Zwerglein aber statt des Tuches die niedlichen Kleidchen fanden, verwunderten sie sich erst und bezeigten dann eine gewaltige Freude. Sie zogen sich an, beguckten sich von oben bis unten, strichen die Falten des Kleidchens zurecht und tänzelten vor Vergnügen in der Stube umher. Endlich verschwanden sie, kamen jedoch von da an nicht wieder, weil die kleinen Leutchen es nicht leiden konnten, daß man sie in ihrem Tun belausche.

Dem Schneider aber ging es gut, solang er lebte.



***
Weniger hold gesinnt waren die Zwerglein den Menschen, die unschuldige Tiere mordeten.

Lebte da in Guttannen ein Gemsjäger. Der hatte schon so viele Gemsen geschossen, daß die Leute ihre Zahl im Wirtshaus mit einem



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glühenden Eisen einbrannten. Dem stellte sich einmal, als er wieder auf der Jagd war, ein Erdmännchen in den Weg.

"Lege setzt dein Gewehr auf die Seite! " rief es ihn an. "Die Tiere leben so gern wie du, und es ist ein Unrecht, sie zu töten. Laß sie von nun an in Ruhe, und ich verspreche dir, daß du deswegen nicht darben sollst.

Der Jäger versprach es und kehrte heim. Von da an fand er jeden Sonntagmorgen auf der Schwelle seiner Hütte einige Gemskäsletn, Brot, Aepfel und alles, was er zum Leben bedurfte.

Ein paar Monate dauerte das so fort, und der Mann dachte kaum mehr an sein früher Handwerk. Eines Tages aber erwachte in ihm die alte Mordlust. Er griff nach seiner Waffe und ging aufs neue die gefährliche Bahn.

Kein Mensch hat ihn se wieder gesehn.



***
Erwies man dagegen den kleinen Männchen etwas Gutes, so belohnten sie das in reichlichem Maße.

Mitten im Winter stieg einst ein junger Mann aus Guttannen in die Berge, um Holz zu rüsten.

Wie er nun den verschneiten Wald hinanschritt, schlug plötzlich ein klägliches Geschrei an sein Ohr, gleich dem Geschrei eines kleinen Kindes, das sich nicht mehr zu helfen weiß, und ihm folgte kurz darauf ein Wimmern. Rasch entschlossen eilte der Mann hinter den Felsen , von woher das Geschrei zu kommen schien, und gewahrte hier zwischen den Tannen einen greulichen Stollenwurm ), der seinen schwarzen Leib um irgend etwas geringelt hatte, es zu erwürgen.

Wie der Wurm den Holzer erblickte, rollte er sich blitzschnell auseinander , bäumte sich auf und erwartete zischend und mit gespreiztem



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Rachen seinen Feind. Dieser, ein unerschrockener Mann, sprang auch gleich mit erhobener Art auf das Untier los und spaltete ihm mit einem ein igen Streiche den Kopf, also daß das schwarze Blut den Schnee färbte.

Erst jetzt sah der Holzer, daß das Opfer des Stollenwurms ein Zwerglein gewesen, mit weißem Bart und mit einem roten Mäntelchen angetan. Da hob er das bewußtlose Männchen vom Boden auf, setzte es auf seine Knie, rieb seine Schläfen und träufelte ihm ein paar Tropfen belebenden Enzianwassers ein.

Endlich kam das Männchen wieder zu sich, öffnete die Augen und schaute seinen Retter dankbar an.

"Kennst du mich nicht " fragte es nach einem Weilchen.

"Wirst halt ein Zwerglein sein ", machte der Holzer.

Freilich bin ich das ", fuhr der Kleine fort. "Aber. . .

Da griff es plötzlich an sein Köpfchen, sprang auf seine Füße und überflog mit den Augen den zerstampften Boden. Im nächsten Augenblick setzte sich das Zwerglein ein goldenes Krönchen aufs Haupt und wandte sich wieder dem Manne zu.

Setzt weißt, wer ich bin ", sprach es lächelnd. "Nun, Zwerge sind dankbare Geschöpfe, und ihrem Könige geziemt es erst recht, sich dankbar zu erweisen.



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Mit diesen Worten griff der kleine König in die Tasche und entnahm ihr eine Handvoll Steinchen.

"Hier ", fuhr er fort, sind ein paar Steinchen. Bewahre sie wohl, sie werden dir gute Dienste leisten. Eins davon wirfst ins Wasser an deinem Hochzeitstage, ehe du mit deiner Braut in die Kirche gehst, und später immer wieder eins, wenn du und die Deinen in Not sein sollten. Doch nur dann. Für andre Dinge würdest du dich umsonst bemühen.

Sprach's, wandte sich um und verschwand zwischen den Tannen.

Der junge Holzer verwahrte die Steinchen wohl, und an seinem Hochzeitstage vergab er nicht, vor dem Gang zur Kirche eins davon in die Aare zu werfen.

Als sich am Mittag die Gäste um den Tisch gesetzt und der Bräutigam den Deckel der Schüssel abhub, die Suppe auszuteilen, siehe, da war die Schüssel statt mit Suppe mit Goldstücken angefüllt.



***
In dieser Weise taten die Zwerglein manch Gutes an Mensch und Tier.

Da kamen einst böse Buben auf den Gedanken, den Baumast, auf dem sie mittags zu ruhen pflegten, bis auf eine dünne Stelle durchzusägen. Als sich nun die guten Leutchen zur gewohnten Stunde arglos auf dem Aste niederließen, brach er entzwei, und die ganze Schar purzelte auf den Boden.

Da riefen sie zornig aus:

"Wie ist der Himmel so hoch
Und die Untreu so groß!
Heut noch kamen wir her,
Nun kommen wir nimmermehr.

Sie hielten Wort. Sie zogen sich ins Innere der Berge zurück, und im ganzen Haslital hat man seitdem nicht ein einzig Zwerglein wiedergesehen.


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