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Kapitel 

Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Der schwarze Mann

Auf einer Alp im Haslital war es vor Zeiten nicht ganz geheuer . So oft ein Senn es unternahm, hinaufzusteigen und dort sein Vieh zu weiden, verlor er, man wußte nicht wie, ein paar seiner schönen Kühe. Also kam es, daß die Hirten ihre Herden lieber auf eine andre Weide trieben, wo sie sich sicher fühlten. Die verrufne Alp blieb aber gleichwohl nicht ganz verlassen. Man sehe auch jetzt noch, so sagten die Leute, aus dem Hüttendach den blauen Rauch aufsteigen und höre die Herdenglocken erklingen; doch sei nicht ein einzig Tier zu erblicken. Ab und zu nur weide eine Kuh im saftigen Grase. Dann vernehme man eine Stimme: "Wer mich in einer Stunde fertigmelkt und eine Nacht in der Hütte verbringt, wird die Alp erlösen.

Manch wackrer Bursche ging hinauf, das Wagestück zu versuchen, kehrte aber nicht wieder zurück. Da kam eines Tages ein junger Melker aus dem Entlebuch ins Tal. Als der hörte, was die Leute sich erzählten, erklärte er gleich, auf die Alp zu steigen und sie zu erlösen. Man wehrte ihm ab. Umsonst. Der kühne Sennbursch bestand auf feinem Vorsatz, und an einem Morgen, zur Zeit der Alpauffahrt, machte er sich auf den Weg.

Als er die Alp betrat, ward ihm doch ein bißchen seltsam zumute. Kein Lüftchen wehte von den Felsen, die starr wie Totengesichter auf ihn niederblickten. Wie erstorben schienen auch Gras und Blumen unter seinen Füßen, und leiser als anderswo murmelten hier die Wässerlein.

Vor der Sennhütte angelangt, rief er mit lauter Stimme, ob denn niemand da sei. Tonlos verhallte die Stimme, und still blieb es wie zuvor. Jetzt graute dem jungen Melker, daß er nahe daran war, zu entfliehen. Er ermannte sich aber und pochte an die Tür.

Die Türe sprang auf wie von selber, und der Senn trat in die Hütte. Ueber dem Herde hing ein mächtiger Käskessel, darunter flackerte ein Feuer. Doch hörte man weder das Holz knistern noch



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einen andern Laut. Da erblickte er eine Seitentür. Er öffnete sie und betrat einen Stall, in dem eine Kuh mit vollem Euter stand. Das mußte wohl die Kuh sein, die er zu melken hatte, wenn du Alp erlöst werden sollte, dachte der Senn, setzte sich hin auf das Melkerstühlchen und begann seine Arbeit.

Einen Eimer um den andern entzog er dem Euter. Schon hatte der Tapfere fein Werk beinahe vollendet, da hörte er auf einmal schwere Tritte, du sich der Hütte näherten. Im nächsten Augenblick ward die Türe aufgerissen und herein trampte eine fürchterliche Gestalt, schwarz und rußig und mit einem ungeheuerlichen Kopfe, der von einem wilden Wald von Haupt- und Barthaaren umrahmt war.

Der Ungeheuerliche trat auf den Sennen zu und faßte ihn an der Schulter.

"Was tust du hier ?" schnaubte er.

Der Senn fuhr ruhig mit Melken fort und sagte kein Wort.

"Antworte ", brüllte der Niese, oder es wird dir ergehen, wie es den andern ergangen.

Der Melker schwieg auch jetzt.

Nun versuchte ihn der Schwarze auf mancherlei Art in seiner Arbeit zu stören. Der Senn aber achtete seiner nicht, und als die Stunde herum war, hatte er auch seine Arbeit beendigt.

Er stand auf, öffnete eine andre Tür und trat in die Alpstube. Auf einem Tische stand alles sauber zum Essen hergerichtet. Er setzte sich hin und begann zu essen. Der andre setzte sich neben ihn und tat wie er. Nach dem Essen legte sich der Senn zu Bette. Gleich legte sich der Schwarze neben ihn, und der Senn fühlte, wie seine Glieder eiskalt waren.

Um Mitternacht erhob sich der Riese, holte aus der Küche Licht und Schaufel herbei und befahl dem Sennen, ihm in den Keller zu folgen.

Der Melker aber tat, als hätte er's nicht gehört und blieb ruhig liegen.



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Jetzt bat ihn der Niese ein zweites, dann ein drittes Mal, und seine Stimme klang immer ängstlicher, flehender.

Da stand der Melker endlich auf und folgte dem unheimlichen Mann hinunter in den Keller. Hier begann der Niese zu hacken und zu schaufeln, bis endlich ein großer Kessel zum Vorschein kam, der mit Gold- und Silberstücken angefüllt war. Sie hoben den Kessel zusammen aus dem Loch, worauf der Schwarze den Schatz in drei Haufen teilte.

"Du hast dich wacker gehalten ", sagte er mit fast menschlich klingender



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Stimme, "und die Alp ist nun erlöst. Zum Dank dafür magst du diesen Haufen für dich behalten, den mittleren gibst denen, die hier ihre schönen Kühe verloren haben, den dritten aber den Angehörigen der jungen Sennen, die bei ihrem Wagestück ihr Leben gelassen.

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als ein Donnerschlag erfolgte, daß die Wände wankten und dem Melker zumute war, es breche die Hütte über seinem Kopfe zusammen. Wie aber der letzte Widerhall in den Bergen verklungen und er sich umschaute, stand neben ihm nicht mehr der ungeschlachte Riefe, da stand neben ihm ein schöner junger Senn mit feinem, doch blassem Gesicht, der ihm dankbar zulächelte, dann sich umwandte und langsam zur Türe hinaustrat .

Einen Augenblick später verließ auch der Melker die Hütte. Wie umgewandelt war setzt die Alp, über die er mit erleichtertem Herzen hinabschritt. Ringsherum weideten ein paar Kühe das saftige Gras, und ihre Glocken himmelten und bammelten, daß es eine Lust war. Auch blies ihm ein frisches Lüftchen um die Ohren, das Bächlein an seiner Seite lief wieder eilig plaudernd über Sand und Stein, und aus der Ferne erklangen die freudigen Töne eines Alphorns. Die tote Alp, auf der so viele Jahre ein Fluch gelastet hatte, war durch eines Sennen Mut und Klugheit zu neuem Leben erstanden und wieder ein Segen für den, der dort sein Vieh weidete.


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