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Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Das Tanznärrchen

In einem Dorfe des Simmentals lebte vor Zeiten ein Mägdlein. Das war gewachsen wie ein Tännchen im Wald, hatte ein rosig Köpfchen, zwei helle Augen, ein zierlich Näschen, und wenn's lachte, blitzten die weißen Zähne. Und wie es außen so artig beschaffen, so auch in seinem Herzen. Es war freundlich und bescheiden, war folgsam und fleißig, kurz, war ein Kind, wie es sich Eltern gerne wünschen . Wie nun aber ein jegliches etwas hat, das nicht sein sollte, so auch unser Mägdlein aus dem Simmental: es war ab und zu vom Tanzteufelchen besessen.

Rückte nämlich so ein Sonntag heran, wo die jungen Leute sich dem Tanzvergnügen hingeben durften, schien das Züseli, so hieß das Närrchen, auf einmal wie verhext. Hin war jetzt feine Ruhe, an ein ordentlich Arbeiten kaum mehr zu denken. Wie ein Heupferdchen schoß es, ein Liedchen trällernd, in Haus und Garten herum, sudelte ein bißchen in der Küche, tänzelte dann hinüber in die Stube, das neue Kleidchen zu besehen, schwirrte von hier in den Gaden hinauf und gleich wieder hinab in den Stall, mit den Ziegen zu schäkern. Zum Essen nahm es sich kaum noch die Zeit, und der Nacht fuhr das Mägdlein bald lachend, bald kreischend aus dem Schlafe — lachend, wenn es geträumt, sein Tänzer hätte ihm etwas Luftiges gesagt, kreischend, wenn es etwa vermeinte, man sei ihm aufs Füßchen getreten oder wäre plötzlich nebst seinem Tänzer mit einem andern Pärchen zusammengeputscht. Die guten Eltern, wie sich denken läßt, gaben sich alle Mühe, die Sucht zu bekämpfen, mahnten, wehrten, stellten dem unerfahrnen Ding die bösen Folgen vor Augen. Ach, sie hätten ebensogut dem Fischlein im Wasser sagen können, es solle doch das Schwimmen lassen! Es half alles nichts, und so begnügten sie sich am Ende damit, ihrem Unwillen durch Spötteln Luft zu machen.

Da näherte sich wieder solch ein festlicher Sonntag — es war ein Sonntag im Mai — und schoß dem Züselt auch gleich gewaltig in die Glieder. Tagsüber quecksilberte es nur so herum, war überall und



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nirgends, tat alles und nichts. In seinen Nächten aber ging es setzt stürmischer her denn se, also daß die guten Eltern in der Nebenkammer erschrocken die Hände zusammenschlugen und sich fragten, ob ihr Kind etwa fieberkrank geworden und man nicht besser täte, den Arzt zu holen.

Endlich war es Sonntag.

"Ich bin dann schon froh ", seufzte der Vater nach dem Mittagessen , .wenn dieser Tanzsonntag für einmal wieder vorbei ist. Das ist ja nicht mehr zum Aushalten.

Das Züselt strahlte.

"Und ich ", meinte es lachend, ich möcht am liebsten, ein jeder Tag wär ein Tanzsonntag.

"Das glaub ich schon ", fuhr der Vater ärgerlich fort. Aber weißt, Kind, irgendein rechter Bursche, der dich etwa zu einem Glase Wein einladet, der tanzt sicher nicht mit einem solchen Närrchen wie du bist. Man hat mir sa auch erzählt, du müssest immer im Gange stehenbleiben.

Jetzt fuhr das Mägdlein auf.

Wen geht's was an ?"" sagte es schnippisch. "Uebrigens ist es mir gleich, mit wem ich tanze.

"Dann, von plötzlichem Uebermut ergriffen, sprang es vom Stuhl, legte die beiden Hände, nach außen gekehrt, an die Schläfen, riß seine Aeuglein sperrangelweit auf und rief:

"Und wenn ich selbst mit dem da tanzen müßte, so ist mir das gleich. Wenn ich nur tanzen kann!

Rief's, schwänzelte hinauf in die Kammer, besah sich im Spiegel, zupfte an den Kettlein, glättete die Falten seines Röckchens und husch! ging's hinunter auf die Straße und gleich hinüber zum Tanzplatz, um nur sa keinen Tanz zu versäumen. Es tanzte bald mit diesem, bald mit jenem, keinem aber fiel es ein, das Mägdlein zu einem Glas Wein einzuladen, und mißmutig gedachte es der Worte des Vaters.

Da erschien gegen Abend ein flotter Bursche auf dem Platze. Er war braun gekleidet, hatte schwarzes Haar, und ein seltsames Feuer glühte aus seinen Augen. Er kam auch gleich auf das Mägdlein



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und lud es zum Tanze. Hei, wie jetzt die Veine flogen! Einen solch gewandten Tänzer hatte sie noch nie gehabt! Und als der Tanz zu Ende, ließ er das Dirnchen auch nicht stehen wie die andern. Er führte sie vielmehr recht artig zu Tische, bestellte ein gutes Glas Wein, plauderte und scherzte und tanzte dann den ganzen Abend mit ihr — nur mit ihr. Sie war selig. Und als der ritterliche Bursche sich erbot, sie nach Hause zu begleiten, da durfte das Mägdlein doch auch nicht nein sagen, um so weniger, als sie gedachte, ihn dem Vater zu zeigen. Wie wollte sie dann seine Worte Lügen strafen!

Als die beiden zu Hause anlangten, klagte der Verehrer plötzlich über Schmerzen in den Füßen. Sie wäre halt, meinte er lächelnd, eine gar flinke Tänzerin, wie er noch keine gehabt, und wenn er selber auch kein übler Tänzer sei, so habe sie ihm doch ein bißchen zu schaffen gemacht. Das Mägdlein glaubte das gerne, und als sie ihr Liebhaber ersuchte, ihm doch die Schuhe auszuziehen, da ließ sie sich auch gleich in die Knie, löste die Riemen und zog den einen Schuh aus.

Jetzt aber tat das Mägdlein jählings einen Schrei, und das Köpfchen flog in die Höhe. Das war sa nicht der Fuß eines Menschen, der da zum Vorschein kam, das war ein Bocksfuß — sie hatte mit dem Teufel getanzt!

Heulend lief sie hinüber zu den Eltern und war kaum imstande, zu erzählen, was sich zugetragen, so sehr hatte der Schrecken ihre Zunge gelähmt. ging der Vater hin, sich den seltsamen Vogel näher anzusehen. Der aber war verschwunden, verschwunden von Stund an auch die Tanzsucht des Mägdleins, und Eltern und Kind lebten wieder im Frieden.


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