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Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Die Schlangenkönigin

Im Frutigtale lebte vor langen Jähren ein reicher Bauer. Der hatte nur ein einzig Kind, ein Töchterlein, das, als es herangewachsen, sein Herz einem armen Sennen schenkte. Der Vater, wie er das erfuhr, war sehr zornig. Er war ein geiziger Mann, wünschte sein Kind reich verheiratet zu sehen und hatte sich hiezu den Sohn eines begüterten Nachbars auserkoren.

Das Mägdlein aber war darüber zu Tode betrübt. ES urte Tag und Nacht in Haus und Hof umher und floh am Ende in die Berge hinauf, um sich dort, fern von den Menschen, feinem Schmerze ungestört hingeben zu können. Eine Ziege war das einzige, das es mit sich führte, um sein Leben zu fristen.

Nun stand einsam in den Felsen droben eine fast zerfallne Hütte. Die ward von allen gemieden; denn darinnen hause, also erzählten die Leute, eine mächtig große Schlange, die jeden mit Haut und Haar verschlinge, der es wage, ihr Versteck zu betreten. Das Mägdlein aber fürchtete sich nicht. Es liebte die Tiere, hatte sein Leben lang keinem einzigen etwas zuleide getan und betrat also, da der Tag sehr heiß war, das schützende Dach, um hier in Ruhe elne Schale Milch zu trinken.

Da rauschte es plötzlich im Laube, das aufgeschüttet den Boden bedeckte, und aus dem Halbdunkel stiegen zwei glühende Augen langsam in die Höhe. Dicht über den Augen aber begann es in allen Farben zu glitzern und füllte den kleinen Naum im Augenblick mit strahlender Helle.

Setzt gewahrte das Mägdlein eine schwarze Schlange, den Kopf mühsam emporgerichtet, und auf dem Kopfe ein Krönlein, von dem das wundersame Licht ausging. Es erkannte auch auf den ersten Blick, daß das Tier wohl krank sein müsse und dürstete. Da trat denn das gute Kind furchtlos hinzu, bot ihm aus hohler Hand die frische Milch dar, und sah mit Freuden, wie gierig das arme Geschöpf trank.



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Auf einmal aber hielt die Schlange inne, hob den Kopf, wie um zu lauschen, und fuhr dann raschelnd ins Laub nieder. Und wie sich jetzt das Mägdlein nach dem Störenfried umsah, siehe, da stand unter der Tür ihr Geliebter, der arme Senn, aufgeregt und außer Atem.

Um Gottes willen, Kind ", rief er, was tust du hier ? Weißt denn nicht, wie gefährlich es ist, diese Hütte zu betreten ?"

Der junge Mann hirtete auf einer nahen Alp die Kühe. Er hatte seine Liebste in die Felsen steigen sehen und war herbeigeeilt, sie zu begrüßen, als das Mägdlein zu seinem Schrecken in das verrufne Gelaß getreten.

Dieses aber wies setzt hin auf das kranke Tier und beruhigte ihn. Dann setzten sich die beiden vor der Hütte draußen auf den steinigen Boden, und das Mägdlein erzählte schluchzend, wie ihr der Vater den reichen Nachbarssohn bestimmt, von dem sie doch nichts wissen möge, und ihr darüber fast das Herz breche.

Jetzt führte der Jungsenn sein Liebchen rasch entschlossen ins Tal hinab, trat keck vor den Vater und bat um die Hand seiner Tochter. Dieser aber, dem der arme Bursche zu gering war, wies ihn mit schnöden Worten von der Tür und verbot ihm jeden weitern Umgang mit seinem Kinde.

Die Strafe für ein solch hartherzig Vorgehen ließ nicht auf sich warten.

Noch in Senem Sommer verlor der Bauer eine Kuh um die andre, und die Leute wollten wissen, es wäre die Schlange gewesen, die die



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Tiere vergiftet hätte. Was ihm noch übrigblieb, das raffte eine böse Seuche hinweg. Die Habe des armen Sennen dagegen, man wußte nicht, wie das geschah, mehrte sich von Tag zu Tag. Herbst kehrte er als wohlhabender Mann ins Tal zurück, derweilen der reiche Bauer arm geworden. Indessen machte das Glück den jungen Burschen nicht übermütig. Er klopfte wieder an die Tür des Mannes, und diesmal erfüllte der vom Schicksal Geschlagene gerne seine Bitte.

Bald darauf wurde die Hochzeit gefeiert. Fröhlich saßen die Geladenen beim Festmahl. Da öffnete sich plötzlich die Tür, und in den Saal rauschte, wie von unsichtbaren Flügeln getragen, eine herrliche Frau in duftigem Gewande, mit rosigen Wangen und einem Krönchen auf dem Haupte.

"Ich bin die Schlangenkönigin ", sprach sie. "Ich komme nicht, euer Fest zu stören. Ich komme, dieser Braut hier zu danken, weil sie mir in der Felsenhütte den Trunk geboten, als ich krank und elend lag. Nimm ", fuhr sie fort, zur Braut gewendet, "nimm also dieses Krönlein zum Lohne dafür. Es wohnen ihm wundersame Kräfte inne. Und sei auch fürderhin hilfreich und gut gegen die Tiere, selbst gegen solche, die sonst von den Menschen verachtet und zertreten werden.

Also sprach die schöne Frau. Dann rauschte sie wieder zum Saale hinaus.

Dem Mägdlein aber und ihrem Manne erging es gut, solange sie lebten.


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