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Kapitel 

Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Die Zwerglein am Wetterhorn

Auf den Bergen Grindelwalds wohnte vor Zeiten ein ganzes Zwergenvolk mit König und Königin. Die kleinen flinken Männchen, die man auch Toggeli nannte, weil sie nicht größer waren als acht- oder neunjährige Büblein, krabbelten gerne auf der Kuppe des Faulhorns herum, oder auch am Männlichen und am Lauberhorn ihr eigentlicher Wohnsitz aber war der gewaltige Steinbau des Wetterhorns .

Dort oben am Gleckstein, wo noch heute ein paar einsame Föhren aus den Felsen ragen, befand sich der Eingang in den Berg, in dem sie nach Gold und Silber gruben. Ab und zu aber strömten sie, wie Kinder aus der Schule, in Scharen ins Freie, legten sich auf den Felsen, sich zu sonnen und auszuruhen, oder wohl auch um die Gemsen zu melken, die ganz von selber von den Höhen zu ihnen herniederstiegen Und aus der Milch bereiteten die klugen Leutchen dann kleine Käslein, die sie den Armen und Kranken im Tale drunten auf die Türschwelle legten. Auch sonst taten sie viel Gutes. Sie schneiderten und schusterten für arme Leute die ganze Nacht, oder halfen ihnen beim Heuen und Ernten. Sie verlangten dafür keinen Lohn; sie erwarteten bloß, daß man, wenn es nötig war, auch ihnen behilflich sei und überhäuften in solchen Fällen den Helfer mit Geschenken.

In welcher Weise sie das taten, geht aus dem folgenden Geschichtchen hervor.

Noch spät in der Nacht saß ein Weiblein am Webstuhl und webte. Eilfertig flog das Schiffchen hin und her. Auf dem Tische war das Oellämpchen schon fast am Erlöschen. Da klopfte es plötzlich an die Tür. Das Weiblein griff nach dem Licht und öffnete. Draußen stand ein Zwerglein, ein Laternchen in der Hand, aufgeregt und zitternd am ganzen Lew.

Was willst ?" fragte die Frau.

Bitte lispelte ein dünnes Stimmchen, "kommt doch schnell mit



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mir. Unsre Königin erwartet ein Kindchen, und niemand weiß zu helfen.

Das gutherzige Weiblein sagte: ", band sich geschwind eine weiße Schürze um, zog eine Haube über den Kopf und folgte dem kleinen Männchen in die Nacht hinaus.

Sie stiegen und stiegen, gelangten erst an den Fuß des Berges, dann, nach mühsamem Gehen über böse Steine, hoch oben vor eine Tür. Das Zwerglein öffnete, und die beiden betraten einen niedern Gang, wo der Führer aufrecht, seine Begleiterin aber nur gebückt gehen konnte, sollte sich ihr Kopf nicht an der Decke stoßen. Nach und nach aber weitete sich der Stollen, ein ferner Lichtschimmer erhellte bereits die starren Wände um sie her, ein dumpfes Gemurmel scholl an ihr Ohr, dann stand das Weiblein plötzlich mitten im Zwergensaale und wußte sich vor Staunen kaum zu fassen.

Wie das funkelte und glitzerte! Das hohe Gewölbe ruhte auf kristallnen Säulen, die Wände erstrahlten in reinem Golde, und an der Decke hing ein mächtiger Kronleuchter, der mit seinen hundert Kerzlein ein helles Licht verbreitete. Und um sie her wimmelte es von Bergmännchen, die in Gruppen zusammenstanden oder geschäftig hin und her liefen. Das flisperte und pisperte, das summte und brummte, also daß es dem Weiblein zumute war, als wär es in ein Bienenhaus geraten.

Allmählich aber verstummte das Gemurmel, und jetzt erinnerte sich die Frau daran, warum man sie gerufen. So waltete sie denn ihres Amtes und legte alsbald der Königin ein feines Zwergenkind in die Wiege. Des freuten sich die guten Zwerglein über alle Maßen. Sie drängten sich um die Frau, drückten ihr die Hand, und nicht nur eins, nein, ein ganzes Dutzend begleitete die Wohltäterin aus dem Berge zurück ins Freie.

Kaum aber waren sie draußen, als noch ein weiteres Zwerglein herangesprungen kam und dem Weiblein ein ganzes Körbchen voll Kohlen in die Schürze schüttete.

"Da habt Ihr euren Lohn, gute Frau ", sagte es.



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Die Frau dankte, gab aber auf die Kohlen, deren sie ohnehin zu Hause genug hatte, nur wenig acht. Sie hielt die beiden Zipfel der Schürze nur lose in der Hand, und so kam es, daß ab und zu ein Stücklein auf den Boden fiel. Die Zwerglein aber, die sie noch eine Strecke weit den Berg hinunterbegleiteten, riefen ihr jeweilen zu:

"Gib acht, gib acht!
Je mehr du zatt'st, )
Je minder hast!



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Zu Hause angelangt, schüttete das Weiblein die Kohlen verdrießlich auf die Feuerplatte und ging zu Bette.

Als sie aber am Morgen in die Küche trat, da schimmerte und flimmerte es im Herdwinkel — die Kohlen hatten sich in lauter Goldstücke verwandelt. Setzt ging der Frau ein Licht auf, und als sie dachte, wie viel der kostbaren Dinger sie auf dem Wege verloren, da rannte sie stracks den Berg wieder hinauf, fand aber nicht ein einzig Stücklein mehr.


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