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Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Geschlechternamen

Wie Menschen früherer Zeiten oft zu einem Namen gelangten, der sich dann durch lange Geschlechter bis auf unsre Tage erhalten hat, erzählen die folgenden Sagen.

Hoch oben am Brienzersee, zwischen Brienz und der Aare, liegt das Dörfchen Kienholz.

Vor etlichen hundert Jahren stand hier ein großes Dorf nebst einem schönen Schlosse. Da fuhr eines Tages eine Erdlawine vom Brienzergrat hernieder, bedeckte Häuser, Gärten und Wiesen mit Schutt und schwemmte einen Teil davon in den See hinaus, daß dieser , so erzählten die Leute, vom Schlamme noch monatelang trübe gewesen sei.

Es begab sich aber, daß einige Zeit hernach tin Fuhrmann Waren von Brienz nach Meiringen zu schaffen hatte und ihn hiebei sein Weg mehrmals über den hohen Steinschutt führte, unter dem das Dorf begraben lag. Er beobachtete nun, daß sein Pferd sich jeweilen an einer gewissen Stelle unruhig zeigte, der Hund am Boden scharrte und beide nur widerwillig weitergingen. Jetzt bat der Mann um die Erlaubnis, an dieser Stelle ein bißchen zu schürfen. Die Erlaubnis ward ihm erteilt. Er stieß denn auch bald auf ein Kellergewölbe, darinnen sich ein alter Mann und ein Knabe noch lebend vorfanden. Die beiden hatten sich, wie sie erzählten, in dieser Gruft seit der Verschüttung mit Käse, Wein und herabsickerndem Wasser das Leben gefristet.

Der Fuhrmann half den beiden heraus. Der plötzliche Wechsel zwischen dem Modergeruch und der frischen Luft bekam indessen dem Greise nicht gut. Er starb kurze Zeit darauf, derweilen der Knabe am Leben blieb. Er hieß Schnewetter. Zum Andenken an dieses seltsame Ereignis aber nannten ihn die Leute von nun an Kienholz, und noch heute ist das Geschlecht der Kienholz in jener Gegend sehr verbreitet

Eine andre Sage berichtet, wie einst die Lütschine nach einem



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schrecklichen Gewitter über die Ufer trat und das ganze Bödeli überflutete . Hierbei ward manch ein Haus fortgerissen, und viele Menschen ertranken.

Da trieb auf dem Wasser zwischen schwimmenden Baumstämmen, Balken und Holzgeräten auch ein Büblein daher. Das konnte nun freilich nicht schwimmen, hielt sich aber durch. tapfres Rudern und Strampeln mit Händchen und Füßchen über den tobenden Wellen und ward endlich unter die Dachtraufe einer Hütte geschwemmt, wo es auf einem Brette erschöpft liegenblieb. Als das Wasser endlich abgelaufen, fand man den Kleinen, vor Hunger und Kälte wimmernd, sonst aber heil und ganz.

Man forschte nun nach Vater und Mutter. Die aber mußten wohl in der großen Wassernot ihren Tod gefunden haben. Also ward denn das verwaiste Büblein in Pflege genommen, und weil man seinen Namen nicht wußte, wurde es, der Fundstelle gemäß, Traufer geheißen und so das Stammbäumchen eines Geschlechtes, das sich bis um heutigen Tage in Interlaken und anderwärts erhalten hat.

Eine dritte Sage endlich erzählt uns, wie das Geschlecht der Sauser zu seinem Namen gekommen ist.

Auf der Alp Saus, hoch über dem Lauterbrunnental, stand in alten Zeiten ein hübsches Dörflein mit etwa zwei Dutzend Häusern. Die Dächer waren mit Schiefer gedeckt, ringsherum dehnten sich Gärten und grüne Matten. Der Winter war dort noch so milde, wie heutzutage der Mai. Von Reif und Frost und Eis auf dem Wasser wußte man nichts.

Da kamen eines Morgens vom Männlichen herüber graue Nebel gezogen, und als der Hirtenbub seine Geißen zum nahen Seelein trieb, war es zugefroren. Die Tiere schnupperten an der gefrornen Fläche, streckten die Hälse in die Luft, rümpften die Nase und fingen jämmerlich zu meckern an. Jetzt lief der Bub in seiner Angst ins Dörfchen und erzählte es seinem Vater, worauf alle Leute hingingen, mit eignen Augen zu schauen und zu staunen.



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Nicht lange, verdorrten auch die schönen Blumen auf den Auen, der Kuhbrändel, das Silbermänteli und die Bibernell. Und dann fuhr eine schreckliche Seuche über die Leute selber, und alle, alt und jung, mußten sterben.

Einige Zeit nachher stiegen ein paar Leute von Isenfluh ins Saustal hinauf. Wie sie durch das Dörflein schritten, da war kein Mensch zu sehen und alles totenstill. Aus dem Hause aber am Ende der Gasse tönte plötzlich ein klägliches Wimmern an ihr Ohr. Sie traten ein und gewahrten ein Büblein in einer Wiege. Ueber seinem Köpfchen hing, an einer Schnur befestigt, ein großes Stück Brot, so daß es das Kind mit seinen Händchen ergreifen konnte. Die guten Eltern, als sie den Tod nahen sahen, hatten in ihrer Angst das Brot hier angebracht und auf diese Weise das Büblein vor dem Hungertode gerettet.

Die Leute nahmen sich dieses letzten Bewohners des Sausdörfchens an und brachten ihn nach Isenfluh hinab. Weil aber niemand wußte, wie er hieß, nannten sie ihn einfach den Sauser. Als junger Mann zog er später nach Sigriswil, und dort hat sich das Geschlecht der Sauser erhalten bis zum heutigen Tag.


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