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Sagen aus dem Berner Oberland


Ausgewählt und herausgegeben von


Walter Menzi

1. bis 5. Tausend

Verlag Landschäftler A-G., Liestal


Die Stollenwürmer

Von Unterseen bis hinauf gegen die Grimsel und im Gadmental liessen sich zuweilen nach schwüler Hitze, oder wenn sich das Wetter ändern wollte, Schlangen mit kurzen, stollenartigen Füssen sehen. Man nannte sie Stollen- oder Tatzelwürmer. Die solche Tiere vor den Augen gehabt haben, geben die Zahl der Füsse mit zwei, vier und auch sechs an; darin stimmen jedoch alle Beobachtungen überein, dass das Unwesen einen dicken, katzenartigen Kopf aufwies. Anfangs des letzten Jahrhunderts wurde ein solches Tier von dem Schulmeister zu Guttannen erblickt; es soll ein Klafter lang und etwa so dick wie ein Mannsschenkel gewesen sein. Auch ein gewisser Hans Kehrli sah



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in der gleichen Gegend eine derartige Schlange, die zehn Junge im Leibe hatte, davon eines ganz weiss gewesen sein soll. Noch in unsern Tagen gibt es hie und da Leute, die Stollenwürmer bemerkt haben wollen. Einmal sei ein totes Tier in einem vertrockneten Sumpfe gefunden und aufbewahrt worden; doch frassen die Krähen das Fleisch, sodass nur das Gerippe übrig blieb.

Dass die Stollenwürmer sehr gefährlich waren, indem sie Menschen und Viehhabe schädigten, wird vielfach bezeugt. Vorzüglich stellten sie den Erdmännchen nach, die sie besonders gehasst haben müssen. Wenn der Stollenwurm zum Angriff bereit war, so stürzte er sich, hochaufgebäumt und die pfeilförmig zugespitzte Zunge weit aus dem giftigen Rachen hervorstreckend, auf den Feind und suchte ihn nach Schlangenart mit dem Schweif zu umschlingen. Auch gab es Stollenwürmer, weniger gefährliche zwar, die den Kühen die Milch aussaugten; dagegen konnte man sich schützen, indem man einen weissen Hahn in der Nähe der Herde hielt. Versichert wird auch, dass es weisse und schwarze Stollenwürmer gab.



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Die weissen, die sich durch ein Krönlein auf dem Haupte auszeichneten, waren seltener als die häufiger vorkommenden schwarzen.

Ein verwegener Mann, der auch etwas vom Zaubern verstand, zog einen Kreis um sich und bannte darauf mit Pfeifen das Gewürm in grosser Menge herbei. Doch lockte er weiter, bis zuletzt ein ganz dicker und abscheulicher Stollenwurm daherkam, sich gegen den Zauberer warf und ihn im Augenblicke zerriss.

Einen sterbensmatt kranken Stollenwurm fand einst ein armes Hirtenmädchen auf der Heubühne seines Elternhauses. Trotz der hässlichen Gestalt des Tieres trat das Kind hinzu und reichte ihm mitleidig eine Schale mit Milch. Gierig leckte der Stollenwurm den kühlenden Trunk. Zum Dank verwandelte er das goldene Krönlein auf seinem Haupt in die Schlangenkönigin und gab sie dem Hirtenmädchen. An die Schlangenkönigin aber waren wohltätige Zauberkräfte gebunden.


Copyright: arpa, 2015.

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