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Sagen aus dem Berner Oberland


Ausgewählt und herausgegeben von


Walter Menzi

1. bis 5. Tausend

Verlag Landschäftler A-G., Liestal


Die Nidelhexe

Unter dem fleissigen Völkchen von Lauterbrunnen lebte eine junge Frau, die sich absonderlich gut aufs Hexen verstand. Sie besass nur ein einziges, dürres Kühlem und konnte doch jeden Tag eine ganze Brente voll Nidel zu Butter schlagen. Anfänglich meinten die Nachbarn, sie melke anderer Leute Vieh durch einen aufgehängten Axthalm, wie dies die Hexen gewöhnlich zu tun pflegten; doch da man sie nur selten im Stalle sah, musste sie wohl ein anderes Schelmenmittel besitzen. Schliesslich unternahm es ein alter Schuster, sie auszukundschaften. Er begab sich zu ihr, da sie gerade wieder Nidel schlug, und liess sie nach einer Weile abrufen durch einen im voraus bestellten Helfer. Jetzt schaute der Schuster ins sorgfältig verdeckte Butterfass. Zu seinem Erstaunen fand er darin ein briefähnlich zusammengefaltetes, über und über mit Nidel bedecktes Blättchen Papier, das er ohne Besinnen in seinen Hosensack steckte.

Als die Hexe zurückkehrte und unverweilt



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wieder Butter schlug, siehe, da strömte der Nidel weißschäumend, reich fliessend aus der Tasche des überraschten Mannes. Die Hexe erriet den Zusammenhang, ehe der Schuster Zeit fand, das Briefchen von sich zu werfen. Glutrot vor Zorn schrie sie ihm zu: «Das soll mir nicht umsonst angetan worden sein!» Wenige Tage darauf wurde der Schuster von einem bösen Ausschlag befallen. Es geschah dies am Körperteil, der bis dahin auf dem Dreibein gesessen hatte und dies von nun an nicht wieder konnte.

Von diesem Begebnis hörte nun auch der Ehemann des Hexenweibchens, doch wollte er nichts glauben, da sein Mareili ihm sonst gut und zugetan war. Dennoch nahm er sich vor, die Frau auf die Probe zu stellen. Wie er des Abends bei ihr sass, plauderte er viel daher, wie nützlich ein paar kleine Hexenkünste anzuwenden wären, wenn man sie nur besässe, und fände er einen Meister, so würde er gewiss ein aufmerksamer Lehrling sein. «Wenn das dein Ernst ist», raunte die Hexe, «so kann ich dir helfen!»

In der nächsten Mitternacht stellte sie ihren Mann vor sich auf den Düngerhaufen,



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indem sie ihn anwies, dass er genau nachsprechen solle, was sie vorbeten werde. Dann begann sie: «Hier stehen wir auf unserm Mist!» Der Mann wiederholte die Worte vernehmlich, und die Frau fuhr fort: «Und verleugnen unsern Herrn Jesum Christ!» Da aber rief der Mann: «Ich schlage nieder, was hinter und vor mir ist!» Mit diesem Rufe traf er die Hexe so heftig auf den Kopf, dass sie ohne Sterbenslaut tot niederfiel.


Copyright: arpa, 2015.

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