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Sagen aus dem Berner Oberland


Ausgewählt und herausgegeben von


Walter Menzi

1. bis 5. Tausend

Verlag Landschäftler A-G., Liestal


Gemsjäger Bürki

Gross war der Ruhm des Gemsjägers Bürki von Beatenberg. Wenn andere Schützen meist zu zweien oder mehrern auf die Jagd gingen und gar oft ohne Beute nach Hause zurückkehrten, wandte sich Bürki stets allein den Bergen zu und



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jedesmal kam er mit einem fetten Grattier ins Dorf. Bürki konnte mehr als gewöhnliche Menschen, er war ein Schwarzkünstler. Nur wusste man nicht, ob er die Gemsen bannte, sodass sie ihm vor die Kugel laufen mussten, oder ob er mit Kugeln von jener Art schoss, wie sie der Teufel damals in der Allerheiligennacht auf einem Kreuzwege goss.

Nun drangen aber zwei neugierige Freunde darauf, Bürki bei seinem nächsten Jagdauszug begleiten zu dürfen. Auf diese Weise wollten sie in sein Geheimnis eingeweiht werden. Nach langem Zureden willigte er ein. Frühmorgens am nächsten Tage brachen die Männer auf nach dem Güggisgrat. Dort angelangt, stellte Bürki die beiden Gesellen auf den Anstand. «Gebt wohl acht», sagte er, «jenem hohen Fluhbändchen entlang wird nach kurzer Zeit ein Gemstrüppchen erscheinen. Voran zieht ein starker Bock und ihm folgen einige magere Gemsen. So sehr der schöne Bock die Begierde wecken mag, ihn niederzubrennen -lasst ihn ungefährdet, wenn kein Unheil entstehen soll. Legt auf die magern Geissen an, denn was unter ihnen getroffen wird, erweist



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sich nach dem Schuss als herrliches Stück!»

Jetzt entfernte sich Bürki eine ziemliche Strecke, dann legte er sich nieder wie zum Schlafe, worauf die Grattiere wirklich erschienen. Voran trabte, den Kopf stolz aufgerichtet, der Bock, fast um die Hälfte grösser als die dünnen Tierchen, die ihm folgten. «Die sind nicht das Pulver wert!» dachten die beiden Jäger. Deshalb zielten sie auf den Bock und drückten ab; doch als die Schüsse krachten, erfolgte ein Klirren, als ob sie in Glasscherben getroffen hätten. Im nämlichen Augenblick war der Bock verschwunden und das Gemsenrudel stob davon. Dafür sprang Bürki aus seinem Schlaf empor, indem er schrie: «Teufel, was habt ihr getan? Beinahe bin ich getötet worden!» Heftig fing er seine Brust zu reiben an, er öffnete das Wams und zeigte die Haut voller blauer Flecken, die nur von abklatschenden Kugeln herrühren konnten. Erbost über den Ungehorsam der Kameraden entfernte sich Bürki. Niemand durfte ihn von da an mehr zur Jagd begleiten.

Dafür war das Geheimnis des Gemsjägers



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entsiegelt. Bürki brauchte sich nur auf die Erde zu legen, dann fuhr sein Geist als Gemsbock über die Höhen, wobei ihm die ahnungslosen Gratgeissen zutraulich folgten bis zu der Stelle, wo sein schlafender Menschenkörper im Wildgras lag. Hier verschwand der Bock urplötzlich; an seinem Platz erhob sich Bürki und knallte die verlockten Tiere ab.

Zur Sühne für die Ruchlosigkeit wird Bürki seit seinem Tode als Gemsbock auf den Flühen herumgetrieben, verfolgt von den grauen Schatten erschossener Gemsen. Mancher am Güggisberg streifende Jäger hat das tolle Jagen gehört und den düstern Wildzug gesehen.


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