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Sagen aus dem Berner Oberland


Ausgewählt und herausgegeben von


Walter Menzi

1. bis 5. Tausend

Verlag Landschäftler A-G., Liestal


Die Adelbodner Sillernkuh

Das Hahnenmoos und der Sillernberg, zwei dem schönen Dorf auf dem «adeligen Bödeli» angehörende aussichtsreiche Alpen, waren nicht immer, wie dies heute der Fall ist, durch den schluchtartig eingerissenen Sillerngraben voneinander getrennt. Ein Holzgatter bildete die einzige Grenze und verhinderte das gegenseitige Eindringen und Hinüberweiden der Herden.



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Damals fiel zu Anfang eines Sommers ein unzeitiger Schnee aufs Hahnenmoos, sodass die Tiere zwei Tage lang eingeschneit waren und kein Fressen mehr finden konnten. Am dritten Tag wurde beim Gatter ein Stücklein Weideland frei, wohin die hungrige Herde lief, um das noch schneenasse Gras abzurupfen. Dabei wurde eine Kuh von der nachdrängenden Schar durchs Gatter gestossen, vom Sillernsenn sogleich als Eindringling zu Handen genommen und nach Frutigen in den Pfandstall geführt. Von ihrem Besitzer, einem armen Bäuerlein, forderte der Sillernsenn eine hohe Entschädigung wegen Grasraubes. Langwierig war der Prozess, der sich um die wenigen von der Kuh abgerissenen Halme entspann. Endlich einigte man sich dahin, dass der Sillernsenn die Kuh behalten und dafür die Kosten des Gerichtes, die das verklagte Bäuerlein nicht aufbringen konnte, begleichen sollte. Wie schmunzelte der reiche Senn und wie rieb er sich die Hände ob solchem Kauf!

Nach einem Jahr, als es wiederum Sommer geworden war, weidete die Kuh vom Hahnenmoos mit der kleinen Schelle friedlich



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inmitten der stolzen Sillernherde, zum Schmerze des armen Bäuerleins, das gar oft übers Gatter blicken und an das verlorene Tier denken musste. So grasten die Sillernkühe eines Tages den Grat hinauf gegen den kleinen Sillernsee, der tief unter der Erde mit dem See im Hahnenmoos zusammenhängt. Gemächlich erreichte die Herde den Abhang oberhalb des Seeleins. Regen und Nebel hatten das Gras genetzt und den Boden schlüpfrig gemacht. Unversehens glitt hier die Kuh vom Hahnenmoos aus und fiel das Bord hinunter ins unergründliche Wasser des Sillernsees. Wohl suchten die Hirten, die an keinen Unfall, viel eher an eine Entführung glaubten, nach der vermissten Kuh. Sie liess sich nicht finden und man musste im Herbst ohne sie talwärts fahren.

Und wieder ein Jahr darauf -welcher Schrecken verbreitete sich unter den Hirten, als kein Gatter mehr, wohl aber eine tief eingefressene Schlucht das Hahnenmoos vom Sillernberg trennte! Während des Winters hatte sich, zur Strafe für das begangene Unrecht, der zerklüftete Sillerngraben geöffnet. Kein Tier sollte mehr von der einen zur andern Alp hinüber gelangen!



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Auch von der ertrunkenen Kuh stellte sich jetzt die erste Kunde ein, zwar nicht auf Sillern, doch im Hahnenmoos. Schwimmend auf dem Hahnenmoossee wurden Schelle und Halsband gefunden.

Die Kuh selbst wandert unverdrossen, den gleichen verborgenen Weg wie die Schelle und das Halsband gehend, durchs unterirdische Wasser. Einmal wird sie im Hahnenmoos eintreffen. Sobald dies geschieht, ist die Sünde des Sillernsennes beglichen. Dann endlich werden auch die schroffen Hänge des Sillerngrabens wieder Gras und Kräuter tragen, doch die Schlucht selbst kann nie mehr geschlossen werden.


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