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Sagen aus dem Berner Oberland


Ausgewählt und herausgegeben von


Walter Menzi

1. bis 5. Tausend

Verlag Landschäftler A-G., Liestal


Der Freiherr mit der Lecktasche

Johann von Weissenburg lebte mit seiner Gattin, einer Oesterreicherin, auf der Stammburg seiner Väter am Simmenfluss in kinderloser Ehe. Er war ein frommer, biederer Herr und Wohltäter der Armen.

Indessen ereignete es sich, dass seine Gemahlin auf der einsamen Burg von heftiger Langeweile ergriffen wurde, sodass sie einen Ritter aus der Heimat, den sie heimlich liebte, als Gast nach Weissenburg kommen liess. Hier bestimmte sie



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den Geliebten, auf der Jagd ihren Gatten zu erschlagen. Lohnen wollte sie die Tat mit süsser Minnelust. Sobald jedoch der Mord geschehen war, überfiel brennende Reue des Mörders Herz. Wie gehetzt floh er auf das Schloss, wo die Burgfrau freudestrahlend seiner harrte und ihm den Trauring an den Finger streifte. Als hätte der gleissende Schmuck des Mörders Hand versengt, so fuhr er zusammen. Entsetzt schleuderte er den Ring von sich. Unter grässlicher Verfluchung des gottlosen Weibes bestieg er sein edles Pferd; dann jagte er davon, der fernen Heimat entgegen.

Als das Vermächtnis des erschlagenen Freiherrn eröffnet wurde, fand man darin die Bestimmung: er befehle seine Seele Gott, den Leib der Erde, sein Gut den Armen, sein Weib dem Buhlen. Hundert weisse Kühe und eine grosse Allmend für tausendvierhundert Haupt Vieh hinterliess er den Armen. Weil aber Geldgier und Reichtum miteinander gingen und die Reichen diesmal auch arm sein wollten, fiel ihnen entgegen der Absicht des Toten der schönste Teil des Erbes anheim.



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Seit diesem Unrecht wandelt des Freiherrn Geist mit einer Lecktasche auf der grossen Allmend. Er gibt den Kühen Salz zu schlecken. Oft leckt das Vieh der Reichen auch von seiner Hand, dann fällt es ab, wird mager und stirbt. Lecken dagegen die Tiere der Armen, hei! wie gedeihen sie, wie werden sie fett, geben reichlich Milch und bleiben von Krankheiten verschont! So straft der Freiherr von Weissenburg die Missachtung seines letzten Willens; was den Armen menschliche Habsucht stahl, gibt er ihnen doppelt zurück.


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