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Sagen aus dem Berner Oberland


Ausgewählt und herausgegeben von


Walter Menzi

1. bis 5. Tausend

Verlag Landschäftler A-G., Liestal


Der Schadburgwolf

Wer auf einem der frohbewimpelten Dampfschiffe den gletscherkühlen Brienzersee befährt, sieht unter der Roten Fluh bei Ringgenberg die Ueberreste eines Burgbaues, von dem die Sage zu melden weiss, warum er nie fertig geworden ist.



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Schadenburg oder Schadburg wird die Ruine genannt, und wie immergrünes Epheu, vom Winde durchzittert, raunt die Märe um ihr zerbröckelndes Gestein.

Am untern Ende des Brienzersees waltete einst der grausame, von den Bauern Wehrwolf, von seinen Knechten «der Wolf» geheissene Zwingherr von Ringgenberg über Land und Volk. Er war gross und hager und seine Gestalt stak im Harnisch früh und spät. Rot beleuchteten Bart und Kopfhaar sein wildbleiches Gesicht, aus dem die gelben Augen arglistig funkelten. Eine schwere Armbrust von gewaltiger Spannkraft trug er, übers Knie gelegt, vor sich hin, wenn er sein rabenschwarzes Pferd ritt, und der Bolzen des Zwingherrn traf den fliegenden Vogel so sicher wie den schwimmenden Fisch.

Einst sprengte der Wehrwolf durch Geldswil. Das kleine Dorf Iseltwald am jenseitigen Ufer gedachte er heimzusuchen. Indem sein Streitross den steinigen Pfad bezwang, erblickte er vor einer der Hütten einen unbekannten schönen Mann, angetan als ein Fischer, aber doch besser, als sonst des Landes und Berufes Brauch war. «Bursche, woher bist du und was



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treibst du auf meinem Grund? » fuhr der Wehrwolf den Fremdling an. Darauf antwortete der Fischer bescheiden, er sei aus dem niedern Lande heraufgekommen, ein freier Mann, und habe hier ein freies Hüttchen gekauft. Das war dem Junker unrecht, dass der Mann frei sein sollte, doch wollte er für diesmal nichts wider ihn tun. Nun aber trat zum Unglück des Fischers Töchterchen aus der Hütte, schmuck nach der Weise freigeborener Jungfrauen gekleidet. Arges kam darüber dem Zwingherrn in den Sinn. «Wessen ist die Dirne», rief er, «und was tut sie so üppig in meinem Land und macht die Weiber hoffärtig? » Der Fischer entgegnete: «Herr, es ist mein Kind, und was es trägt, geschieht mir zu Gefallen. » Nachdem der Ritter diese Worte gehört, stellte er sich freundlich gegen den Fischer; sogleich befahl er ihm, am dritten Tag mit dem Kind aufs Schloss zu kommen. «So bin ich des Besuches huldreich gewärtig», grinste der Wehrwolf, «und dem Töchterchen will ich Ehr' antun, weil sie hübsch und jung ist und gar einen freien, mannhaften Vater hat!»

Am dritten Tage sah der Zwingherr



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schon früh vom Turm auf den See hinaus. Es war ihm hundertmal leid geworden, dass er den Fischer nicht gleich auf den ersten Morgen bestellt, so gross war seine Ungeduld und Begier. Aber jetzt hatte er sich trefflich eingerichtet. Den Vater wollte er abseits schaffen und das Mädchen zu Handen nehmen. Um den Fischer sicher zu machen, schickte er die Knechte aufs Jagen und Fischen; am Burgtore sollten nur zwei alte Knappen stehen. Dem Leibdiener war befohlen, beim Vorhäuschen Holz zu spalten, damit er hinter den Ankommenden herschleiche und ihre Flucht hindern könne.

Mürrisch empfing der Leibdiener den kummervoll, jedoch gefasst aussehenden Fischer und das Töchterchen. Die Gäste beim Ritter anzumelden weigerte er sich mit ungeschlachten Worten, auch habe er schweres Holz zu spalten, davon er nicht lassen wolle. «Büblein», donnerte ihn der Fischer an, «lauf und sage dem Junker, der Klaus sei da!» Zugleich zückte er sein Schwert, schwang es furchtbar über den Diener, schlug es auf das Holz nieder und spaltete Keil und Stamm glatt und sauber der Länge nach mit einem Streich.



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Dem Schlossknecht standen die Haare zu Berg. Ohne Säumen nahm er Urlaub und rannte zum Wehrwolf, ihm vermeldend, welch greuliche Mannskraft der Fischer gezeigt habe. «Blendwerk und Höllenbetrug ist das», fluchte der Zwingherr, «und den Gesellen will ich nicht sehen! Lass' ihn laufen, indes den Abschied will ich



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ihm segnen!» Nach der schweren Armbrust greifend, eilte er auf die Lauer ins Gebüsch. Wie er dann des Fischers Kahn zurückgleiten sah, legte er an und schoss; doch verfehlte der Bolzen das Ziel. Statt den Vater zu treffen, sauste der Pfeil an dessen Brust vorbei ins unschuldige Herz des Mädchens. Ohne laute Klage bettete der Fischer das tote Kind an seine Seite und ruderte heimwärts über den See. Dort begrub er, was ihm das Liebste gewesen. Als dies geschehen war, verliess er die Gegend auf dem Pfad nach den hohen Bergen.

Vielleicht war es die ruchlose Tat, die dem Wehrwolf von nun an keine Ruhe mehr liess, sodass er ein neues Schloss zu bauen begann, dreimal fester als Ringgenberg, mit zyklopischen Mauern, Gewölben, Kellern und heimlichen Gängen. Wie da der Ringgenberger eben einmal bemerkte, wie sehr dem Werke ein kundiger Meister fehlte, trat ein stiller, feiner Mann zu ihm, mit fast grauem Haar und langem, schwarzwildem Barte. Seines Zeichens ein Baumeister, sei er von Rom die Strasse gereist, ausgeplündert worden und kaum dem Unfall entsprungen; an dem herrliehen



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Schlosse möchte er einen Zehrpfennig verdienen. Närrisch kam es dem Ringgenberger vor, dass ihm gerade zu dieser Stunde ein Mann in den Weg lief, wie es sein Wunsch war. «Es ist gut, Männchen, du sollst Arbeit erhalten und guten Lohn dazu!» sagte der Ritter, und eifrig wies er auf die ungeheuern Mauern, an denen der Meister eines langstieligen Hammers Stärke zu messen begann. «Ja, klopf nur zu, das hält entgegen! Gnade Gott denen, die da hineinkommen!» lachte der Wehrwolf.

Wie die herrliche Burg denn heissen. werde, begehrte der Meister zu wissen, als er mit dem übermütig Höhnenden hoch über dem Werkplatze stand. Auf diese Frage begann der Burgherr ein abscheuliches Gelächter: «Schadenburg, wer's merken will!» schrie er laut, dass alle es hören mussten. In diesem Augenblicke hob der demütig gebückte Meister sein Angesicht zernüberglüht; schreckliches Feuer funkelte aus seinen Augen; beidhändig schwang er den unförmigen, schweren Hammer, und mit der Stimme des Fischers rief er den Ritter an: «Oder Freiburg, wer's merken will!» Gewaltig



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schlug er den Hammer auf den Ritter nieder, der mit zerschmettertem Haupte von der Mauer mitten unter die Frohnenden fiel.

Niemand von den Werkleuten dachte daran, den starken Rächer seines Kindes zu greifen. Heiteren Angesichts, still und bedächtig stieg er vom Gemäuer herab, schritt durch die erstaunten Arbeiter dahin, grüsste sie kopfnickend und ging ohne Zagen davon, als hätte er ein Böcklein getötet. Er soll nach dem gelobten Land ans Grab des Heilands gezogen sein.


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