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Sagen aus dem Berner Oberland


Ausgewählt und herausgegeben von


Walter Menzi

1. bis 5. Tausend

Verlag Landschäftler A-G., Liestal


Das Hauri

Ein guter Geist ist das Hauri, in seinem Wirken den Erdmännchen ähnlich, doch mächtiger. Die schönsten Alpen sind sein Wohnsitz. Sein bevorzugter Aufenthalt ist aber die Steinbergalp am südöstlichen Abhang des Hohgant, wo eine Stelle seinen Namen trägt.

Das Hauri liebt die Menschen und schirmt sie vor dem Treiben der bösen Geister des Gebirges. Im Frühling streift es engelgleich über die Triften dahin und lockt die Erstlingsblumen aus dem erwachenden Grund; den Sennen bereitet es eine fröhliche Ankunft auf der Alp und Futter für die Herde; dem alpfahrenden Vieh hüpft es entgegen, und zuweilen kitzelt



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es die Tiere, bis sie in mutwilligen Sätzen, ohne Schaden zu nehmen, den Berg hinantollen. Den Hirten nimmt es die schweren Lasten ab, auch breitet es einen leichten Duft über die Berge, damit der ungewohnte Glanz die Menschen nicht blende. Dann geht es wieder den Kühen voran und zeigt ihnen die besten Weideplätze; ebenso schützt es das Vieh vor schädlichen Kräutern. Im Winter hört des Hauri Sorge für die Herden auf, dafür wacht es über den verderblichen Anschlägen der Geister, von denen die Menschen bedroht sind. Wenn die vereinte Macht der Kobolde eine Lawine zusammengescharrt hat, um sie hohnlachend auf die Häuser herabzuschleudern, zieht das Hauri durch die Lüfte, mahnend und warnend, bis es verstanden wird. Nicht selten ruft seine Stimme die Namen der Bedrohten, öfters dagegen lässt es nur wimmernde Laute ertönen, so eindringlich vernehmbare, dass die Menschen sogleich auch wissen, in welcher Art und von welcher Richtung her sie gefährdet sind. Zaudern die Gewarnten bei der ersten Klage und wollen sie noch nicht fliehen, so ruft das Hauri zum zweitenmal.



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Schaurig ist sein dritter Ruf: Erde und Himmel scheinen dann Schreie zu entsenden, heulendes Gewimmer bricht aus den Schlünden, die ganze Luft ächzt und stöhnt und wie ein blitzender Gewitterschein fliegt das Hauri über den Ort des bevorstehenden Unglückes. Ihm unmittelbar folgt der Zerstörungsgraus. Ganze Berge von Schnee donnern von den Höhen herab, und freudebrüllend werfen sich die bösen Geister auf die Verwüstung.

Vor einigen Jahrzehnten verschüttete eine Lawine das alte, von einem einsamen Knecht und seinen Hunden den Winter über behütete Grimselhospiz; auch damals warnte das menschenfreundliche Hauri. Durchdringend rief es vom Juchliberg her. Die Hunde kannten die Stimme und sprangen auf, um sogleich zu flüchten. Auch ihr Herr eilte ins Freie, doch glaubte er einen hilfeheischenden Passgänger gehört zu haben. Draussen schien freundlich die Sonne, kein Lüftchen regte sich, und nirgends liess sich ein verirrter Wanderer finden. Bloss um den Juchliberg war ein undeutliches Schweben und Flimmern, das sich der Spähende nicht zu erklären wusste. Nun rief das Hauri



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zum zweitenmal, und abermals suchte der Knecht den vermeintlichen Wanderer, auch diesmal umsonst. Darum pfiff er die Hunde zu sich und ging mit ihnen ins Haus.

Zu spät erkannte der arglose Wächter, wessen Stimme er gehört hatte. Kaum dass er sich wieder im Hospiz befand, schien der Himmel polternd zusammenzubrechen; das Licht schwand unter unermesslichen Schneelasten, deren Wucht die Dachsparren wie Strohhalme knickte. Dennoch wurden der Knecht und seine Hunde gerettet, weil es dem Hauri gelungen war, den Deckel des Kamins aufzuklappen. Der Knecht kletterte durch den Schornstein ans Tageslicht, dann zog er die Hunde nach, während die Kobolde ihren Triumph auf dem Aaregletscher feierten.

Das Hauri will seine guten Werke in der Stille üben, es wird zornig, wenn man von ihm spricht, selbst wenn man es lobt. An Vieh und Habe straft es die Schwätzer. Die Hirten des Berner Oberlandes wissen das und achten den Willen des guten Geistes. Auch der Knecht des Grimselhospizes. nachdem er die Märe zu Tal



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gebracht hatte, erzählte sie nicht gern wieder. Wer mochte sich auch die Gunst des Hauri leichtfertig verscherzen,!


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