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Sagen aus dem Berner Oberland


Ausgewählt und herausgegeben von


Walter Menzi

1. bis 5. Tausend

Verlag Landschäftler A-G., Liestal


Die guten Leutlein im Oberland

Kaum zwei Fuss hohe Wesen waren die Zwerge oder «Teggeli» oder «guten Leutlein» des Oberlandes, die vorzeiten in Feld und Wald, Haus und Hof den Menschen viele Dienste erwiesen. Sie hausten unter grossen Steinblöcken, in verlassenen Berghütten und hauptsächlich in Felsenhöhlen, die sie zu mächtigen Hallen umgestaltet und mit Kristallen, Gold und Edelsteinen geschmückt hatten. Der Körper der Männchen schien von ziemlich ebenmässiger, derjenige der Weibchen nicht selten von ausnehmend schöner Form zu sein, bloss dass der Kopf, auf dem die meistens grün gekleideten Männchen ein spitzes, rotes Käppchen trugen, viel zu gross war für die kleinen Gestalten. Auch fehlte ihnen stets etwas an den Füssen, was sie mit Fleiss zu verstecken suchten; entweder hatten sie eine Zehe zu wenig oder sie besassen Ziegen- und Gänsefüsse. Es kam auch vor, dass sich die Männchen in Menschenmädchen verliebten, die erst dann, wenn sie den



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Namen des Zwerges erraten konnten, der aufdringlichen Werbung entgingen. Da aber Churri-Murri, Muggistutz, Chussi- Mussi, Hans Oefelichächeli noch als gangbare Zwergnamen galten, musste man das seltsame Wort immer durch List zu vernehmen suchen.

Den guten Leutlein gefiel es ausnehmend im Oberland, ihr Lieblingsaufenthalt war jedoch das Haslital. Dort kamen sie in ganzen Scharen von den Flühen herabgezogen, am häufigsten zur Erntezeit, wenn sie, auf Steinen und Baumästen sitzend, den arbeitenden Bauern zuschauen konnten. Das Schaffen rüstiger Hände war ihre beste Freude und erweckte ihre Teilnahme. Sobald die Erntearbeiter ihr Mittagschläfchen hielten, oder wenn gar schlechtes Wetter im Anzug war, was die Zwerge tagelang zum voraus wussten - husch, wurde von ihnen das Korn aufgeschichtet und zur Heimfahrt bereitet. Einstmals fand ein Bauer seine ganze Frucht abgemäht, obschon sie erst kümmerlich reif war. Da er glaubte, Bosheit habe sein Brot zur Unzeit geschnitten, fuhr er die Garben schimpfend zur Scheune. Indes ward er bald andern Sin



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nes, denn nach einigen Tagen verwüstete ein Hagelwetter die Felder der Nachbarn und es blieb kein ungebrochenes Hälmchen stehen.

In futterarmen Jahren übernahmen die guten Leutlein die Fütterung von Kühen und Ziegen, ja des ganzen Viehbestandes der Menschen. Bei solchen Gelegenheiten führten sie die Tiere hinweg nach den unauffindbaren Zwergenställen im Innern der Berge. An derartige Dienstleistungen knüpften sie gewöhnlich sonderbare Bedingungen. So hatten sie einem Sennen alle seine mageren Kühe zur Pflege mitgenommen; er sollte dafür, wenn die Tiere im Frühling wehlgenährt wiederkehren würden, kein einziges Haupt beim Namen nennen. Als aber die Zeit der Alpauffahrt gekommen war und die Teggeli mit der Herde der Fluh nachgefahren kamen, konnte der Senn die Freude nicht zurückhalten und er brach in den Ruf aus: «Hoho, die Gäbe! ist ämel alle z'weg!» Kaum dass das letzte Wort verhallt war, lag die bei ihrem Namen genannte Kuh, von den Felsen herabgestürzt, zerschmettert vor ihm. Wenn auch das am Vorwitz seines Herrn unschuldige Tier von den Toggeli



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in den Abgrund gestossen werden konnte, so zeigten sich die Zwerge doch als die besten Hüter, wenn das Vieh an stotzigen Hängen graste. Auf Weidplätzen in der Nähe der guten Leutlein verunglückten niemals weder Kühe noch Ziegen, und verlaufene Tiere wurden gewöhnlich zur Nacht sorglich nach Hause geführt.

Wie viele Wohltaten waren sonst noch den guten Leutlein zu danken! Gegen arme Kinder, die im harten Winter zum Holzsammeln ausgeschickt worden waren, zeigten sie sich besonders mitleidig. Bald legten sie ihnen den schönsten Reisig hin, bald gaben sie ihnen kleine wehlschmekkende Käslein, die sich nie aufzehren liessen, wenn man jedesmal ein Restchen aufhob, ebenfalls schenkten sie Geldstücke, deren Eigenschaft darin bestand, dass sie zum Besitzer zurückkehrten, so oft sie auch ausgegeben wurden. Endlich halfen die Toggeli den fleissigen Mädchen bei der Flachsbereitung. War die Arbeit schäkernd vollbracht und wollten die Zwerge heim, so nahmen sie ein Hanfknäuel zwischen die Beinchen und ritten auf ihm zum Ergötzen der Menschen durchs Fenster fröhlich von dannen. In vielen Häusern



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dienten sie ganz und gar wie dienstbare Knechte, hielten das Geschirr rein, putzten die Pferde, säuberten die Ställe und taten so tausend Dinge zauberhaft flink und aufs Pünktchen genau. Viele Geheimnisse der Natur waren ihnen bekannt, weshalb sie auch als geschickte Aerzte walteten und heilsame Tränklein für Menschen und Vieh zu brauen verstanden. Hinwiederum kam es vor, dass sie selbst ratlos waren, dann nämlich, wenn ihre Weibchen ins Wochenbett kamen. In diesem Falle baten und bettelten sie, bis ihnen eine kundige Bauernfrau nach der Felswohnung folgte. Auf recht ärgerliche Weise pflegten sie solchen Dienst jeweilen zu entgelten. War der Lohn nicht dürres Laub, so dann sicher ein Häufchen Kohlen, das die beschenkten Frauen auf dem Heimweg missmutig verstreuten, bis sie an irgend einem zurückgebliebenen Restchen sahen, dass sie lauteres Gold weggeworfen hatten.

Und doch begannen die Menschen, die Teggeli mit schlimmen Streichen zu plagen und sie auf diese Art allmählich ganz aus dem Lande zu treiben. So hatten boshafte Buben den Baumast, auf dem die



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Zwerge auszuruhen pflegten, bis auf eine dünne Stelle durchsägt, sodass er brach, als die muntern Männchen arglos darauf versammelt waren. Schreiend purzelten sie alle zu Boden, worüber die Missetäter ein lautes Gelächter anhoben. Auch hatte man den Stein, der ihr Lagerplatz war, glühend gemacht, denn man wollte sich am drolligen Jammer der Gebrannten ergötzen. Wieder zu einer andern Zeit hatten Neugierige einen Garten mit Asche bestreut, um zu sehen, was für Füsse die Zwerge hätten. Als sich nun Gänsefüsschen abgedrückt hatten, flohen die guten Leutlein auch hier mit dem zürnenden Ruf: «O böse, böse Welt!» Ueberall wo sie schieden, geschah dies weniger im Zorn als voller Betrübnis. Die Trennung fiel ihren Herzen schwer, daher wichen sie auch nur Schritt für Schritt. Erst als die letzten Wohnungen am Schreckhorn verödet waren, fügten sich die guten Leutlein ins Schicksal und suchten ihre eigentliche Heimat im Innern der höchsten Eisberge auf.


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