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Sagen aus dem Berner Oberland


Ausgewählt und herausgegeben von


Walter Menzi

1. bis 5. Tausend

Verlag Landschäftler A-G., Liestal


Blümlisalp

Als eine der schönsten und erhabensten Bergkronen, makellos weiss, rein und wohlgestaltet, schaut die Blümlisalp hinaus in die Lande. Ihre leuchtenden Gletscher, deren Licht nach Kandersteg und ins Kiental hinabflimmert, gehören zu



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den silberglänzendsten des Berner Oberlandes. Früh vor Tag schon funkeln die hehren Firnen, und am Abend, wenn das Glöcklein von Kandersteg seinen Segen ruft, recken sich die Gipfel rotüberglüht zum Himmel empor.

Die Blümlisalp trug vorzeiten weder Schnee noch Eis. Kräuterreiche Matten dehnten sich rings um die höchsten Berge, deren Abhänge noch nicht so stotzig, sondern mit fruchtbarer Erde bedeckt und bis zu oberst blumig bewachsen waren. Nicht umsonst galt der junge Blümlisalpsenn als der reichste Bauer weit und breit! Er hatte eine Herde, so prächtig und gross, wie sie nirgends sonst gefunden wurde. Den herrlichen Kühen, unter denen des Sennen schwarze Lieblingskuh Brändlin die stolzeste war, mussten die strotzenden Euter dreimal des Tages gemolken werden, und die Milch gab Rahm, Anken und Käse in solcher Fülle, dass man den Ueberfluss kaum zu messen vermochte.

Allein mit dem wachsenden Reichtum veränderte sich das früher bescheidene Wesen des Sennen. Sein Herz verhärtete sich und sein Gemüt begann in wildem



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Hochmut zu schwelgen. Seiner armen, mit ihren Kindern im Tale wohnenden Mutter liess er vom Segen der Blümlisalp kein noch so kleines Almosen geben. Dafür erbaute er seiner Geliebten, die zu ihm auf die Alp gekommen war, eine weiche Treppe aus fetten Käslaiben, denn die zarten Füsse des Mädchens sollten kein Steinchen berühren. Als Pflaster mussten die Maurer goldenen Anken in die Fugen streichen. Damit aber die Treppe stets gewaschen und spiegelglatt erhalten werden konnte, wurde vor der Hütte ein Ziehbrunnen errichtet und mit süsser Nidelmilch



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gefüllt; der Handbub stand daneben und ihm war befohlen, die Gottesgabe fliessen zu lassen, sobald sich die Spur eines Trittes auf einem der runden Käse zeigte.

An einem schwülen Tage, als der Senn mit seinem Schatz, der Kathrin, und mit seinem Hunde Ryn auf und ab über die Treppe spazierte, kam die Mutter vom Tale heraufgestiegen; ander Hand führte sie ihre Kinder, und da sie alle müde und hungrig waren, bat sie bescheiden um einige Nahrung. Hellauf lachte da der übermütige Senn: «Ihr sollt Speis' und Trank vollauf bekommen, und der Himmel möge segnen, was ich euch aufzutischen habe!» Damit mischte er Sand mit saurer Milch zu einem schmutzigen Brei, den er der Mutter reichte. Entsetzen über solchen Frevel des Sohnes ergriff die arme Frau. «Also dies ist dein Geschenk, unseliger Tor, den ich verfluche!» rief sie, indem sie ihre Kinder an sich zog und ohne Blick und Gruss davoneilte, so rasch ihre Füsse sie trugen.

Eine Stunde oder mehr mochte vergangen sein, als sich auf der Blümlisalp der Himmel auf einmal in Finsternis hüllte.



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Kalte Windstösse, vor denen die Herde zu fliehen suchte, fegten aus den Klüften über die Wiesen hin; dann erhob sich ein stürmisches Brausen von solcher Gewalt, dass die Berge ringsum erzitterten und niederzustürzen drohten. Schon wagten die Hirten nicht mehr, das Vieh zusammenzutreiben. Rollend und siebenfach widerhallend brüllte der Donner, die Blitze zuckten, schaurig prasselte Hagel aus rabenschwarzen Wolken herab. Am Blümlisalphorn öffneten sich die Tiefen der Erde; wütende Gletscherdrachen wurden befreit und wälzten sich prasselnd wie unversiegliche Ströme auf die einst so gesegneten Auen nieder. Nicht einhalten wollte das Unheil, bis die Blümlisalp kirchturmhoch von Eistürmen bedeckt war. Erst als dies geschehen, verzog sich auch die schreckliche Finsternis. Die Blumen und saftigen Gräser, die Hütte, die Menschen und Tiere der schönen Trift konnten den neuen Tag nicht mehr grüssen. Ein ewiger Gletscher hatte sich auf die Stätte gelegt und sie für alle Zeiten begraben.

An düstern, nebelverhängten Tagen oder in Nächten, die sausenden Schneestürmen



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vorangehen, bewegen sich flüchtige Schatten über den Blümlisalpgletscher - das sind die ruhelosen Geister des Sennen und seiner Geliebten, des Hundes Ryn und der schwarzen Kuh Brändlin, deren Euter mit Dornen umflechten ist. Man hört nicht selten auch den klagenden Ruf des Sennen: «Ich und mi Kathrin, min Hund Ryn und mi Chue Brändlin müssen ewig auf Blümlisalp syn. » Sie könnten erlöst werden, wenn es einem Menschen gelänge, die schwarze Kuh zu stellen und dann zu melken. Einmal unternahm ein Hirte das unheimliche Wagnis. Das grimmige Tier stand ihm und schon war es dem Mutigen gelungen, einen Eimer halb zu füllen, als ein Mann hinter ihm fragte: «Schäumt's auch recht? » Ueberrascht antwortete der Hirte: «Ja, es schäumt ganz wacker!» Wie das Wort seinem Munde entfuhr, sprang die Kuh Brändlin mit wildem Ruck zur Seite in dichtes Gewölk hinein.

Uebermut und Hoffahrt der Menschen haben den Fluch über ungezählte Blümlisalpen heraufbeschworen und dem goldenen Zeitalter, das heute noch währen könnte, ein allzufrühes Ende bereitet.


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