Sagen aus dem Berner Oberland
Ausgewählt und herausgegeben von
Walter Menzi
1. bis 5. Tausend
Verlag Landschäftler A-G., Liestal
Frau Ute die Gute
Vorzeiten herrschte im Haslital der altheilige Brauch, dass die Jungfrauen sittig zurückgezogen lebten, keines Jünglings Augenweide zu sein trachteten und den gemeinsamen Tanz, dem sich die Jugend anderer Gegenden ergab, mit Anstand und lieblicher Weigerung verschmähten. Dafür kam alle drei oder vier Jahrzehnte aus dem Hochgebirge ein steinaltes Mütterchen ins Tal, Frau Ute die Gute, die schon seit den Zeiten, da die Haslitaler aus dem Schweden- oder Ostfriesenland mit Hab und Gut an die junge Aare gezogen waren, im Lande gewohnt hatte, unzähligen Menschengeschlechtern bekannt. Doch war der Ort ihrer Behausung immerwährend verborgen geblieben.
Frau Ute die Gute hatte merkwürdig scharfe Augen, auch war sie an seltenen Künsten reich. Geschäftig trippelte sie bei ihrem Erscheinen von Hütte zu Hütte, lud alles Hausvolk vor die Türe, griff den Mädchen prüfend ans Kinn, betrachtete sie guten, doch eindringlichen Blickes und
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endigte ihre Schau mit dem seltsamen Spruche:
Du, du, du, ja du! Diesmal wieder Ruh. Hätt' ich keine gefunden mehr Litt ich siebenmal so schwer. |
Dann nahm sie das Mädchen, dem die Rede gegolten, bei der Hand, und ohne nach dem Wege zu fragen, irrezugehen
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oder zu zaudern, führte sie es zum reichsten, schönsten und besten Jüngling des Tales. Dem legte Frau Ute der Jungfrau Hand in die Rechte, sah ihn nickend an und verschwand, indem sie den Herzen der Brautleute eine inbrünstige Liebe zueinander eingab.
Nie ist erhört worden, dass die Eltern eines Jünglings Frau Utes Wahl missachteten, mochte das zugeführte Mädchen auch arm sein. Jedesmal ward die Weisheit und Güte der geheimnisvollen alten Frau hochgepriesen. Und immer auch kehrte das reinste Glück bei dem auserwählten Paar ein, dessen Hochzeit das ganze Volk jubelnd mitfeierte.
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