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Ein Kratten voll

Lauterbrunner Sagen


Gesammelt von Hans Michel


Die Rottalherren

Da und dort im Unterland ertönt, gewöhnlich zur Hochsommer- und Erntezeit, die Luft in seltsamem Tosen und Knallen. Oft vernimmt man es auch gegen den Spätherbst hin.

Zu Bleienbach im obern Aargau hört man ein Jagen und Sausen wie von einem grossen Reiterzuge, und nicht der wilde Jäger sei Ursache davon, sondern die Herren von Rotental.

Bis gen Murten und Solothurn zu meinen etliche aus dem Volk: "Die Rottalherren exerzieren, es gibt ander Wetter."

Das Rottal war ehedem eine wunderschöne Blümelisaip hoch in einem Kessel an der Südwestseite des Jungfrauberges, von wo ein Pass ins Wallis führte. Glücklicher wäre das Los der Bewohner dieses Teiles des Landes gewesen, hätte nicht zu jener Zeit die Willkür grausamer Herren auf ihnen gelastet. Allein niemand war seines Eigentums sicher, und selbst die Frauen und Jungfrauen des Tales entgingen nicht den Verfolgungen dieser Wütriche. Ihr gottloses Treiben konnte jedoch nicht ungestraft bleiben. Der Zorn des Himmels erwachte. Als einstmals einer von ihnen, der böseste von allen, ein junges Hirtenmädchen verfolgte,



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kam plötzlich in jähem Sprunge ein grosser, schwarzer Bock, welcher noch niemals auf der Alp erblickt worden war, der fliehenden Jungfrau zu Hilfe. Mit furchtbarem Stosse schleuderte er den Verfolger über eine steile Felswand hinab in den Abgrund. Gleichzeitig aber erzitterten ringsum die Berge, und unter herabrollenden Felsstücken und Eismassen verwandelte sich das einst so blühende und fruchtbare Tal in eine traurige Gletschereinöde, die es noch heute ist. Von jenem schrecklichen Augenblicke an wurde das Tal nur noch selten von Menschen betreten.

Zu ewiger Busse verdammt ziehen die, die den Zorn des Himmels über die Täler brachten, noch



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heute, ihr Schicksal in dumpfen, eigentümlichen Tönen beklagend, durchs Land. Man hört bald die Trommel schlagen, bald die unseligen Geister auf entsetzliche Weise heulen.

Dem Gunten-Joosi haben die Gespenster aus den Tälern von Lauterbrunnen und Grindelwald in Gestalt eines kohlschwarzen, drolligen Böckleins in das vergletscherte Tal hinauf nachlaufen müssen. Wenn dann mit dem Zauber unbekannte Leute das hübsche, lustige Tierlein von ungefähr haben streicheln wollen, da hat der Gunten-Joosi immer mit dem Finger gedroht und gesagt:

"Nit, nit! strych mer d's Böcki nit,
Wenn d' nit sälber ins Rottal witt!"

Aus dem Emmental führte der Mühle-Seiler ganze Trüpplein Geister hinauf. Sie schwebten in Menschengestalt hinter ihm her, jedoch ohne den Boden zu berühren. Wenn dann der Mühle-Seiler mit so einer Schar Geister nachts daherkam, trug er immer den Hut unter den Armen. Begegnete ihm alsdann etwa ein Mensch, so sagte er geheimnisvoll zu ihm: "Syt su guot, und gaht uf d'Syte, es chömet da Herre!" Dann hörte man ein Geräusch, als wenn eine Schar Pferde dahertrappelte.

Am Eingange des wilden Rottales wurden vor Zeiten die bösen Geister der Abgeschiedenen in verschlossenen Gefässen in die Fels- und Eisschründe verbannt. Alle argen Menschen müssen nach ihrem Tode hier in dieser Alpenhölle ihren Aufenthalt nehmen.


Copyright: arpa, 2015.

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