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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

II. BAND

DAS UNGEHEUERLICHE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1922

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA


16. Brunnenfahrt

Ein Agelith hatte drei Söhne. Diese waren so stark, daß sie es allein mit einem ganzen Stamm (arabisch: Duar; kabylisch: thed-dorth) aufnehmen konnten. Die zwei Älteren waren jeder allein einem Kriegshaufen eines Agelith gewachsen. Der Jüngste war imstande, die Leute von sieben Agelith ganz allein zu besiegen, ohne hierzu irgendeiner Hilfe zu benötigen. Der Agelith wußte aber von der Stärke seiner Söhne nichts.

Sie alle drei verließen schon an jedem Morgen das Haus und ritten in das Freie, wo niemand sie sah. Dort unterrichtete der Jüngste sie in der Handhabung des Schwertes. Eines Tages aber sahen die Leute das. Sie verstanden solches nicht und gingen zum Agelith und sagten: "Du bist ein großer und kluger Mann, deine drei Söhne aber sind Narren." Der Agelith hatte aber einen Angestellten. Dessen Sohn ging fleißig zur Jagd. Er kam jeden Abend reich mit Beute beladen nach Hause. Der Angestellte sagte zum Agelith: "Es ist unrecht, daß die Leute so schlecht von deinen Söhnen sprechen. Sie spielen. Das ist wahr. Es kann aber nicht jeder Mann so ordentliche Söhne haben, wie der meine ist, der jeden Abend mit reicher Jagdbeute heimkehrt." Als der Agelith das hörte, ward er traurig und sagte bei sich: "Statt der drei schwachen Söhne möchte ich lieber einen einzigen tapferen Sohn haben, wie ihn dieser mein Angestellter hat."

Der Agelith hatte einen herrlichen Garten. Eines Tages ging er in den Garten, um all die vielen Früchte und Wurzeln zu besehen, die dieser Garten hervorbrachte. Wie er aber durch den Garten ging, sah er, daß dieser Garten täglich beraubt wurde. Er sah die Fußspuren eines Wuarssen, der täglich in den Garten kam, um sich an den Früchten und Wurzeln des Agelith satt zu essen. Der Agelith sah die Verwüstung. Er wurde zornig. Er kehrte zornig nach Hause zurück. Daheim wurde er traurig und ging betrübt in seine Kammer,



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ohne seine Söhne gesehen zu haben. Der Agelith war krank. Er legte sich auf das Bett. Er ließ seinen Angestellten rufen. Er fragte seinen Angestellten: "Hast du die Verwüstung gesehen, die der Wuarssen in meinem Garten angerichtet hat?" Der Angestellte sagte: "Ja, ich habe das gesehen. Es ist traurig, daß deine Söhne, deren Aufgabe es wäre, den Garten zu bewachen, ihr Leben im Spiel verbringen. Wenn du es willst, so soll mein Sohn den Garten bewachen. Mein Sohn ist fleißig und tapfer." Der Agelith sagte: "Ich werde es mir überlegen."

Am andern Morgen ritten die drei Brüder wie alle Tage hinaus zum Zweikampf. Der Jüngste sagte draußen zu den beiden älteren Brüdern: "Wißt ihr, was gestern abend das Herz unseres Vaters bewegte? Wir müssen darauf achten, was daheim vorgeht, wenn wir nicht dort sind. Ihr wißt, daß unser Vater sein Ohr allzuleicht den Worten der anderen leiht, die nichts Gutes von uns sprechen. Und dann wißt ihr auch, daß unser Vater nicht weiß, wie nützlich das Waffenspiel (=träd[e]; arabisirt: l'harb) ist, welches wir alle Tage üben. Wir müssen wissen, was die Leute gestern wieder dem Vater gesagt haben." Die beiden älteren Brüder sagten: "Du hast recht; wir müssen das in Erfahrung bringen."

Als es Abend war, kehrten die Brüder heim. Die Mutter sandte ihnen das Essen. Die drei Brüder sagten: "Wir wollen nichts von dem Essen mehr anrühren, solange sich unser Vater nicht zu uns setzt und mit uns ißt." Die Mutter hörte es. Die Mutter ging zum Vater und sagte: "Deine drei Söhne wollen das Essen nicht anrühren, wenn du nicht mit ihnen ißt." Der Agelith sagte: "Ich kann nicht mit meinen Söhnen essen; ich bin krank." Die Mutter kam zu den Söhnen und sagte: "Der Vater kann nicht mit euch essen; er ist krank."

Die drei Söhne gingen darauf zu dem Vater und sagten: "Vater, sage uns, was du in deinem Herzen hast." Der Agelith unterdrückte seinen Kummer und sagte: "Es ist gut, meine Söhne; wir wollen gemeinsam essen."

Der Vater aß mit den Söhnen zusammen. Nach dem Essen sagte der Agelith: "Meine Söhne, ich habe einen Angestellten; von dem höre ich alle Tage, wie tapfer und fleißig sein Sohn auf der Jagd ist. Alle Leute rühmen mir diesen jungen Mann, von dem ich oft Jagdbeute erhalte. Gestern noch hat mir dieser Angestellte seinen Sohn für eine schwere Sache zur Verfügung gestellt. Sein Sohn ist nicht ein spielender Narr, sondern ein tapferer Mann. Ich habe nicht



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einen solchen Sohn. Ich war gestern noch im Garten (=tib[rlherth) und habe gesehen, daß ein Wuarssen dort große Verwüstungen anstellt. Dieser Wuarssen betrügt mich um die besten Früchte und um die besten Wurzeln in meinem Garten. Ich habe weiter nichts zu sagen, als daß niemand in meinem Hause zu sein scheint, der den Garten schützen kann." Die drei Söhne sprangen auf. Der jüngste der drei Söhne sagte: "Vater, erlaube uns zu gehen, wir haben auch nichts mehr zu sagen." Die drei Brüder gingen in ihre Kammern.



***
Am andern Tage ritten die Brüder wie sonst auch fort und sagten: "Wir gehen wieder zum Waffenspiel." Sie ritten auch bis zu einem Baum an der Quelle, der nahe dem Platze stand. Der Jüngste sagte: "Meine Brüder, hier wollen wir uns besprechen. Laßt uns absteigen." Die drei Brüder stiegen ab und setzten sich im Schatten des Baumes nieder. Der Jüngste sagte: "Das erste, was jetzt zu tun ist, betrifft diesen Sohn des Angestellten unseres Vaters. Ich bitte euch, mir das zu überlassen, mit ihm abzurechnen. Sein Vater hält ihn für stärker und tapferer als uns. Ich will sehen, wie es darum steht. Das zweite ist die Verwüstung, die der Wuarssen im Garten unseres Vaters angerichtet hat. Dieser Wuarssen kommt stets des Nachts. Wenn also jede Nacht einer von uns im Garten Wache hält, kann uns der Wuarssen nicht entgehen. Seid ihr hiermit einverstanden?" Die Brüder sagten: "Wie du es sagst, wollen wir es machen." Darauf begannen sie wie alle Tage ihr Waffenspiel.

Als es gegen Abend war, setzten die drei Brüder sich unter den Baum und warteten auf die Rückkehr des Sohnes des Angestellten, der, von der Jagd kommend, hier immer vorbeiritt. Der Sohn des Angestellten kam. Der jüngste der drei Brüder ging ihm entgegen und sagte zu ihm: "Dein Vater rühmt deine Tapferkeit und deine Kraft. Hast du etwas getan, was dies erklärt? Dein Vater redet Schlechtes über die Faulheit und Schwäche der drei Söhne des Agelith. Hast du etwas getan, um dieses Gerede zu beenden?" Der Sohn des Angestellten sagte höhnisch: "Wer bist du? Was hast du bis jetzt getan? Was ist von dem närrischen Spiel zu erwarten, das ihr jeden Morgen feiert? Was bist du? Du bist nichts als ein Name. Was bin ich? Ich bin Arbeit. Sieh meine Jagdbeute! Jede tote Gazelle sagt soviel Gutes über mich, wie die flachen Säbelhiebe eures Spieles Schlechtes über euch. Hää! Hat mein Vater da nicht



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recht?" Der jüngste der drei Brüder sagte: "Du spielst mit mir?" Der Sohn des Angestellten sagte: "Ja, ich spiele mit dir wie mit einer Gazelle." Der Jüngste sagte: "So komm, steig vom Maulesel! Leg die Beute weg und zieh auch deinen Säbel. Ich will dir heute den Ruhm, den du statt unser unrechtmäßig erworben hast, abnehmen; denn er ist mein Erbteil, und ich werde ihn mehren. Du aber sollst wieder zu dem Nichts werden, aus dem du geboren wurdest."

Der Sohn des Angestellten sagte: "Ich will mich nicht mit dir schlagen. Ich könnte dich töten!" Der Jüngste sagte: "Ich will es aber. Wenn du nicht absteigen willst, so wirst du es müssen." Der Sohn des Angestellten sagte: "Du bist ein Narr. Geh zur Seite und laß mich nach Hause reiten." Der Sohn des Angestellten wollte an dem Jüngsten vorbeireiten. Der Jüngste zog aber seinen Säbel und schlug dem Maulesel mit einem Schlage den Kopf ab. Der Sohn des Angestellten erschrak. Er sprang von dem gefallenen Tier auf und sagte: "Sohn des Agelith! Ich bitte, laß nun die Scherze. Laß mich nach Hause gehen." Der Jüngste sagte: "Zieh deinen Säbel, wie ich es getan habe und wirf die Tierleichen zur Seite." Der Sohn des Angestellten sagte: "Ich bitte dich! Laß mich. Ich will nicht mit dem Sohn des Herrn meines Vaters kämpfen." Der Jüngste sagte: "Ich sage dir nun zum dritten Male: "Zieh deinen Säbel und kämpfe. Wenn du es nun nicht tust, so stecke ich auch meine Waffe ein. Ich werde dann aber einen Knüppel nehmen und dich schlagen, wie man einen Hund verprügelt. Du bist ja im Umgang mit Tieren so geübt, daß dir dies vielleicht lieber ist."

Der Sohn des Angestellten legte seine Gazellen zur Seite. Er zog den Säbel. Der Jüngste sagte: "Schlag du zuerst. Schlag scharf! Ich werde dann flach schlagen, um dich nicht deinem Vater zu rauben." Der Sohn des Angestellten schlug mit aller Kraft. Der jüngste Sohn des Agelith fing mit der Säbeispitze den Schlag auf und sagte: "Nun steh!" Der Jüngste schlug. Er schlug flach. Sein Schlag warf den Sohn des Angestellten um. Der Sohn des Angestellten überschlug sich dreimal. Der Sohn des Angestellten schrie und fiel zwischen die Leiche des Maulesel und die Leichen der Gazellen. Dann aber sprang er auf und lief, so schnell er konnte, nach Hause.

Der Sohn des Angestellten lief zu seinem Vater und sagte: "Mein Vater, die drei Söhne des Agelith sind heute abend mit Knüppeln über mich hergefallen. Sie haben meinen Maulesel getötet. Sie



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haben mir die erbeuteten Gazellen weggenommen und haben mich geschlagen." Der Vater sagte: "Mein Sohn, beruhige dich. Du weißt, die drei Söhne des Agelith sind faule Burschen, mit denen nichts zu machen ist. Ich werde aber schon dafür sorgen, daß ihr Vater sie eines Tages verjagt und dich an ihrer Stelle dafür zu seinem Nachfolger einsetzt." Als der Angestellte das sagte, kam gerade der jüngste der drei Brüder am Hause vorbei. Er hörte die letzten Worte. Er warf die vier Gazellen in das Haus und sagte: "Hier, Angestellter meines Vaters, sind die Lumpen, die dein fliehender Sohn verloren hat. Gib ihm nur viel zu essen, daß er stark genug wird, um der Nachfolger meines Vaters zu werden, nachdem der Agelith seine Söhne verjagt hat." Der Angestellte und sein Sohn erschraken.

Als es Nacht geworden war, machte sich der älteste der drei Brüder auf den Weg. Er ging in den Garten, um auf den Wuarssen zu warten und mit ihm zu kämpfen. Als es Mitternacht war, überfiel den Burschen aber die Müdigkeit. Er schlief ein. Er schlief fest. Der Wuarssen kam. Der Wuarssen pflückte sich eine Menge Früchte, riß Wurzeln aus dem Boden, zertrat die Büsche. Dann kehrte er in seinen Wald zurück. Als es Morgen war, erwachte der Älteste. Er sah um sich und bemerkte, was der Wuarssen angerichtet hatte, während er schlief. Da wurde er traurig und ging betrübt nach Hause.

Am zweiten Abend machte sich der zweite der drei Brüder auf den Weg. Er ging in den Garten, um auf den Wuarssen zu warten und mit ihm zu kämpfen. Er nahm sich fest vor, nicht einzuschlafen. Als es aber um Mitternacht war, konnte er der Müdigkeit nicht mehr widerstehen, sondern schlief ein wie sein ältester Bruder. Er schlief, als der Wuarssen kam. Er wachte auch nicht auf, als der Wuarssen Äste mit Früchten von den Bäumen brach und Sträucher mit Wurzeln aus dem Boden riß. Er hörte es auch nicht, als der Wuarssen mit seiner Beute wieder in den Wald zurückkehrte. Er wachte erst auf, als es Morgen war. Als er dann um sich sah, gewahrte er die Verwüstung, die der Wuarssen angerichtet hatte, wurde traurig und ging betrübt nach Hause.

Am dritten Abend wollte der Jüngste nun in den Garten gehen, um zu wachen. Seine Mutter fiel ihm aber in die Arme, weinte und bat ihn: "Mein Sohn, du bist mir der Liebste von allen, du wirst nicht einschlafen wie deine Brüder. Ich, eure Mutter, kenne euch. Ich weiß, daß du mit dem Wuarssen kämpfen wirst. Er würde dich



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töten oder schwer verwunden. Mein Sohn, ich fürchte mich statt deiner. Mein Sohn, bleib!" Der Jüngste sagte: "Meine Mutter, die Worte unseres Vaters brennen schlimmer als Wunden. Die Worte unseres Vaters sind ein Gift, das einen schlimmen Tod herbeiführt, wenn sie nicht bald ausgewischt werden." Die Mutter weinte.

Der Jüngste nahm seinen Säbel und ging in den Garten. Im Garten trug der Jüngste sich spitze Steine und Dornen zusammen; daraus machte er sich ein Lager, das war so hart und kantig, daß er nicht einschlafen konnte. Als es Mitternacht war, hörte der Jüngste von Ferne her ein starkes Brummen kommen. Das Brummen wuchs an zu einem Sturm. Als es ganz nahe war, wurde es zu einem Donner. Der Wuarssen kam näher und näher. Als der Wuarssen über die Hecke des Garten stieg, packte der Jüngste seine Lanze (=an'schav; Plural: inschaven) und warf sie auf ihn. Der Wuarssen brüllte. Der Jüngste zog seinen Säbel und lief zu der Stelle, an der der Wuarssen über die Hecke gestiegen war. Der Wuarssen war nicht mehr da. Es war da eine Lache von Blut. Eine Blutspur lief von da aus zum Walde.

Der Jüngste kehrte am Morgen in das Haus zurück. Er begegnete seinem Vater. Der Vater sagte: "Mein Sohn, du bist voll Blut bespritzt. Woher kommt dies?" Der Jüngste sagte: "Ich habe mich verwundet. Ich hatte ein kleines Unglück in den Bergen." Der Vater sagte: "Mein Sohn, du bist sonst nicht ohne Lanze gegangen. Wo hast du heute deine Lanze gelassen?" Der Jüngste sagte: "Ich habe im Spiel in dem Walde meine Lanze verloren. Mein Vater, ich bitte dich, erlaube mir und meinen Brüdern eine Wanderung zu unternehmen, damit wir die Lanze wiederfinden können." Der Vater erlaubte es.

Der Jüngste lief zu seinen Brüdern und sagte: "Meine Brüder, ich habe mit der Lanze den Wuarssen getroffen. Der Wuarssen ist geflüchtet. Er hat eine lange Blutspur hinterlassen. Kommt mit und helft mir, die Blutspur zu verfolgen und den Wuarssen zu töten. Unsern Vater bat ich, uns einige Tage für eine Wanderung zu gewähren. Wir wollen uns sogleich Essen bereiten lassen." Die drei Brüder rüsteten ihre Waffen. Sie packten Essen in ihre Taschen und machten sich auf den Weg.

Die Blutspur führte in den Wald. Die drei Brüder folgten der Blutspur. Die Blutspur führte aus dem Walde in eine Ebene. Die drei Brüder kamen in die Ebene. Die Blutspur führte bis an einen



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Brunnen. Die drei Brüder folgten bis zu dem Brunnen. Der Jüngste sagte: "Meine Brüder, der Wuarssen ist hier in den Brunen herabgestiegen. Ich will dem Wuarssen hinab in den Brunnen folgen. Wartet ihr hier am Brunnen. Wartet aber nicht länger als einen Monat. Wenn ich in einem Monat nicht zurückgekehrt bin, so kehrt heim und tröstet meine Mutter." Die drei Brüder nahmen von einander Abschied.



***
D er Jüngste stieg in den Brunnen hinab. Der Jüngste kam auf den Boden des Brunnen und ging hier ein langes Stück, bis er in der Ferne ein Licht sah. Der Jüngste ging auf dieses Licht zu. Je weiter er kam, desto heller und schöner wurde das Licht. Er sah endlich, daß es von einem Hause ausging. Er betrat das Haus und sah, daß ein junges Mädchen darin saß. Dies war das Licht. Denn sie war so schön, daß sie wie die Sonne strahlte und der Jüngste geblendet wurde.

Als das Mädchen den Jüngsten sah, erschrak sie, stieß einen Schrei aus, weinte und bat den Jüngsten: "Geh schnell von hier fort. In diesem Hause wohnt ein gewaltiger Wuarssen. Der Wuarssen wurde gestern verwundet, und nun ist er zornig und denkt an nichts als an Vernichtung. Flieh! Flieh schnell, ehe der Wuarssen dich bemerkt." Der Jüngste lachte und sagte: "Das Fliehen ist nicht meine Sache. Zeige mir lieber den Weg zu dem Wuarssen." Das schöne Mädchen sagte: "Ich bitte dich nochmals, flieh! Ich weiß, wie stark dieser Wuarssen ist. Ich bin die Tochter eines Agelith, und als der Wuarssen mich raubte, hat mein Vater alle seine Leute gegen den Wuarssen kämpfen lassen. Der Wuarssen hat sie aber alle getötet. Und so, wie es den Leuten meines Vaters erging, so ging es auch den Brüdern und Vätern der anderen Frauen und Mädchen, die du in den nächsten Häusern sehen würdest. Fliehe also, ehe der Wuarssen dich bemerkt." Der Jüngste sagte: "Ich bitte dich, zeige mir den Weg."

Das schöne Mädchen sagte: "Geh dorthin, wo du das nächste Licht siehst." Der Jüngste ging auf das nächste Licht zu. Er kam wieder zu einem Haus, in dem ein sehr schönes Mädchen war. Auch diese war die Tochter eines Agelith und sagte zu ihm: "Fliehe, fliehe, ehe der Wuarssen dich bemerkt!" Der Jüngste ließ sich aber den Weg zeigen und setzte die Wanderung fort.

Der Jüngste kam wieder an ein Haus, von dem ein Licht ausging. Dies Licht war aber noch viel heller und strahlender als das, welches



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von der Schönheit des ersten und zweiten Mädchens ausgegangen war. In diesem Hause lag der verwundete Wuarssen, und am Rande seines Lagers saß das junge Mädchen, das so schön war, wie die Sonne. Das Mädchen pflegte den Wuarssen. Das Mädchen stand vom Lager des Wuarssen auf und ging in die Eingangskammer. Es sah den Jüngsten kommen. Es schrie auf und weinte. Es fiel vor dem Jüngsten auf die Knie und sagte: "Oh deine Schönheit! (=schvaha). Oh, daß deine Schönheit nicht durch den Wuarssen zerstört werde!" Der Jüngste hob das Mädchen auf und sagte: "Ich will den Wuarssen töten!"

Das Mädchen sagte: "Ich sehe, daß wenn es möglich ist, den Wuarssen zu töten, so kann es nur durch dich geschehen. Nun merke! Wenn der Wuarssen mit dir kämpfen will, wird er dich in eine Kammer führen, in der vier Säbel hängen, einer von Gold, einer von Silber, einer von Ton und einer von Kork. Er wird dich unter diesen wählen lassen. Nimm den Säbel aus Kork. Er wird dir dann erlauben, den ersten Schlag zu führen. Das nimm nicht an. Laß ihn den ersten Schlag führen. Schlage aber nicht öfter als einmal, wenn der Wuarssen es auch verlangt. Hast du genug Kraft, um den Wuarssen mit dem ersten Schlage zu spalten, so verlange von ihm, daß er den Kopf schüttele. Du mußt siegen. Der Wuarssen muß getötet werden. Denn der Wuarssen hat alle Töchter der Agelith des Landes geraubt." Der Jüngste sagte: "Ich danke dir!"

Der Wuarssen rief aus seiner Kammer: "Ich höre sprechen. Wer spricht dort?" Der Jüngste der drei Brüder rief: "Ich bin es, der Sohn eines Agelith." Der Wuarssen rief: "Komm zu mir, daß ich dich begrüßen kann." Der Jüngste sagte: "Ich bin schon auf dem Wege." Der Jüngste kam zu dem Wuarssen. Der Wuarssen sagte: "Was willst du?" Der Jüngste sagte: "Ich will mit dir kämpfen." Der Wuarssen lachte und sagte: "Das soll geschehen. Komm, wir wollen uns Waffen aussuchen!"

Der Wuarssen führte den jüngsten Sohn des Agelith in eine Kammer, in der ein Säbel aus Gold, ein Säbel aus Silber, ein Säbel aus Ton und ein Säbel aus Kork hingen. Der Wuarssen sagte: "Wähle dir einen Säbel. Der Jüngste ergriff den Säbel aus Kork und sagte: "Diesen Säbel will ich nehmen." Der Wuarssen sagte: "Weshalb wählst du den schlechtesten Säbel? So nimm doch den aus Gold oder aus Silber." Der Jüngste sagte: "Dieser Säbel aus Kork ist mir gerade der beste." Der Wuarssen sagte: "Nun wollen wir kämpfen! Führe du den ersten Schlag; denn du bist der Sohn



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eines Agelith." Der Jüngste sagte: "Nein, führe du den ersten Schlag, denn du hast die Töchter des Agelith geraubt."

Der Wuarssen sagte: "Es ist mir recht!" Der Wuarssen schlug mit aller Kraft zu. Der Jüngste sprang zur Seite. Der Schlag des Wuarssen ging in die Luft. Der Jüngste hob seinen Säbel. Er schlug. Er traf den Wuarssen auf den Kopf. Er spaltete den Kopf. Er spaltete den Leib des Wuarssen. Der Wuarssen stand in zwei Teile zerschlagen vor dem Jüngsten. Der Wuarssen sagte: "Schlage noch einmal!" Der Jüngste gedachte der Worte des schönen Mädchens. Er sagte: "Nein, ich schlage nicht. Schüttle den Kopf!" Der Wuarssen schüttelte den Kopf. Da fiel der Wuarssen auseinander, die eine Hälfte zur Rechten, die andere zur Linken. Der Wuarssen war tot.

Das schöne Mädchen, das im Vorraum gewartet hatte, jubelte und stieß Freudenschreie aus. Die andern beiden schönen Töchter der Agelith kamen herbei, jubelten und stießen Freudenschreie aus. Der Jüngste sagte: "Nun wollen wir wieder nach oben gehen." Er wandte sich an die zwei schönen Frauen der ersten Häuser und sagte: "Ich werde erst euch hinaufbringen. Meine Brüder warten oben auf mich. Sie werden für euch sorgen." Er sagte zu dem schönen Mädchen, das er am Lager des Wuarssen getroffen hatte: "Warte du, die du mir so gut geraten hast, bis ich zurückkomme und dich hole. Packe alles zusammen, was wir aus den Häusern des Wuarssen mit uns nehmen werden."

Der Jüngste führte die beiden schönen Frauen der ersten Häuser zum Brunnenschacht. Er brachte sie nach oben. Er übergab sie einen Brüdern und sagte: "Wartet, ich kehre gleich zurück und bringe das andere." Die beiden Brüder warteten mit den beiden jungen, schönen Frauen und ließen sich alles erzählen, was ihr jüngster Bruder unten verrichtet hatte. Der Jüngste kehrte aber zurück, holte das junge, schöne Mädchen, das ihn so gut beraten hatte und führte es mit einer großen Menge von Schätzen, die sie im Hause des Wuarssen aufgespeichert gefunden hatten, zum Brunnenschacht. Sie stiegen hinauf und kehrten durch den Wald in das Haus des Vaters der drei Söhne zurück.



***
Als der Jüngste mit den zwei Brüdern, dem schönen Mädchen und den zwei schönen, jungen Frauen, dazu mit all den Schätzen zum Hause des Vaters zurückkehrte, begegnete er dem Angestellten seines Vaters und dessen Sohn. Der Jüngste sagte im Vorüberreiten



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zu ihnen: "Was wollt ihr nun meinem Vater erzählen von der Narrheit seiner Söhne und von den flachen Säbelhieben des Waffenspieles? Wenn es euch an Lügen mangelt, fragt mich und meine Brüder. Denn nur, wer die wahre Handlung kennt, kann sie auch umkehren zu einer Lüge und kann das Gold in Mist verwandeln."

Als der Vater seinen jüngsten Sohn mit den drei Frauen und all den Schätzen kommen sah, trat er ihnen entgegen und sagte: "Mein Sohn, ich danke dir. Meine Söhne, ich danke euch. Ich habe nicht gut von euch gesprochen. Verzeiht mir." Der Jüngste sagte: "Mein Vater, dies alles, auch das, was wir mit dem Wuarssen erlebt haben, gehört der Vergangenheit an. Wolle nur in Zukunft dem Arm deiner Söhne mehr vertrauen, als den Zungen der niedrigen Leute."

Der Agelith veranstaltete ein Fest. Der Jüngste heiratete die Agelithtochter, die er am Lager des Wuarssen getroffen hatte. Den Brüdern gab er die beiden schönen Agelithtöchter der ersten Häuser des Wuarssen zur Frau.


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